Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
Maßnahmen, die den Bürger belasten, sowie sonstige Entscheidungen, die i.S.d. Wesentlichkeitstheorie wesentlich sind, nur dann ergreifen, wenn hierfür eine wirksame und anwendbare gesetzliche (Ermächtigungs-)Grundlage vorhanden ist (Rn. 9 ff.).
1. Inhalt
125
Dies gilt ohne Weiteres zunächst für den Inhalt der Maßnahme. Die von der Behörde mit dem Verwaltungsakt im Einzelfall getroffene Regelung muss von der jeweils einschlägigen Ermächtigungsgrundlage abstrakt vorgesehen sein.[9]
Beispiel[10]
Auf telefonischen Hinweis einer besorgten Anwohnerin hin, dass auf der Fahrbahn vor ihrem Haus seit Monaten ein Pkw mit ausländischem Kennzeichen unbewegt geparkt sei, ließ die baden-württembergische Gemeinde G diesen abschleppen und in der Folge auf einem städtischen Grundstück verwahren. Nachfolgend forderte G von dem anhand der Fahrgestellnummer ermittelten Halter H des Pkw unter Hinweis auf § 16 Abs. 8 S. 2 StrG BW mit Bescheid die Kosten des Abschleppens (60 €), der Begutachtung (12,50 €) und der Verwahrung (2,50 €/Tag × 98 Tage = 245 €). H ist der Auffassung, dass der Bescheid insoweit rechtswidrig sei, als G damit 245 € Verwahrungskosten geltend macht. Für diese müsste er nach § 16 Abs. 8 S. 2 StrG BW nämlich nicht aufkommen. Ist diese Ansicht zutreffend?
Ja. Gem. § 16 Abs. 8 S. 2 StrG BW können die Kosten der Verwahrung nicht geltend gemacht werden. Nach dieser Vorschrift kann die Straßenbaubehörde dann, wenn Anordnungen zur Beendigung einer unerlaubten Sondernutzung nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgversprechend sind, den rechtswidrigen Zustand zwar auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen. Doch Kosten i.d.S. sind nur diejenigen, welche bei der Beseitigung des rechtswidrigen Zustands anfallen, nicht hingegen die Kosten einer anschließenden Verwahrung eines abgeschleppten Fahrzeugs. Gerade diese werden hier aber von G in Höhe von 245 € gegenüber H geltend gemacht.
2. Form, sog. „VA-Befugnis“
126
Bedient sich die Verwaltung im konkreten Fall der Handlungsform des Verwaltungsakts (Rn. 39 ff.), so muss die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nach wohl h.M.[11] nicht nur den Inhalt der mit dem Verwaltungsakt getroffenen Regelung abdecken (Rn. 125), sondern darüber hinaus auch speziell zum Handeln der Verwaltung gerade in der Form des Verwaltungsakts (VA) berechtigen.[12] Das Erfordernis dieser VA-Befugnis resultiert ebenfalls aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes (Rn. 9 ff.). Denn unabhängig vom Inhalt stellt allein schon die Handlungsform „Verwaltungsakt“ für den Bürger eine Belastung dar, die der gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Die Belastung folgt jedenfalls daraus, dass zur Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft (Rn. 296) – und damit der verbindlichen Festlegung der Rechtslage – des regelmäßig rechtswidrigkeitsunabhängig wirksamen Verwaltungsakts (vgl. § 43 VwVfG) gegen diesen fristwahrend ein Rechtsbehelf eingelegt werden muss, vgl. §§ 70 Abs. 1, 74 Abs. 1 VwGO.
JURIQ-Klausurtipp
Schließen Sie sich in der Klausur der vorstehenden Auffassung an, so hat dies für die Fallprüfung folgende Konsequenz: „Erlässt die Behörde einen Verwaltungsakt, obwohl sie keine gesetzliche VA-Befugnis hat, ist der Verwaltungsakt schon allein deshalb rechtswidrig […]. Auf die Frage, ob der Verwaltungsakt inhaltlich rechtswidrig ist, kommt es dann gar nicht mehr an.“[13] Abhängig von der jeweiligen Aufgabenstellung kann Letzteres jedoch ggf. hilfsgutachterlich zu prüfen sein.
Allerdings: Auf die Frage nach der behördlichen VA-Befugnis ist in der Klausur überhaupt nur dann einzugehen, wenn der Sachverhalt dafür einen Anhaltspunkt bietet.[14]
Nach der Gegenmeinung[15] ist eine spezifische Ermächtigung zum Handeln gerade durch Verwaltungsakt als der typischen Handlungsform der Verwaltung gegenüber dem Bürger dagegen nicht erforderlich. Vielmehr ergebe sich die VA-Befugnis bereits aus dem allgemeinen Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger, aus der Ermächtigung zur Tätigkeit aufgrund öffentlichen Rechts bzw. aus Gewohnheitsrecht.
127
Letztlich dürfen die Unterschiede zwischen diesen beiden Auffassungen (Rn. 126) allerdings nicht überbewertet werden, verfährt doch auch die h.M.[16] hinsichtlich der Frage, ob der jeweiligen Norm eine VA-Befugnis entnommen werden kann, recht großzügig. So müsse diese Befugnis nicht ausdrücklich in der gesetzlichen Grundlage erwähnt sein; vielmehr genüge es, wenn sich die VA-Befugnis dem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lässt. So enthalten beispielsweise reine Ge- bzw. Verbotsnormen ohne eigene Vollzugsregelung selbst zwar keine VA-Befugnis (anders dagegen z.B. § 26 Abs. 1 S. 1 GentG und § 3 Abs. 1 VereinsG, die ausdrücklich zum Erlass einer „Anordnung“ bzw. „Verfügung“ ermächtigen). Doch kann die Verwaltung auf Verstöße gegen diese leges imperfectae[17] auf Grundlage der ordnungs- bzw. polizeirechtlichen Generalklausel (§ 14 Abs. 1 OBG NRW, § 8 Abs. 1 PolG NRW; vgl. ferner § 3 PolG BW, Art. 11 Abs. 1 bay. PAG) gleichwohl mittels eines Verwaltungsakts reagieren (unselbstständige Verfügungen). Die Ge- bzw. Verbotsnormen gehören zur objektiven Rechtsordnung und sind damit Schutzgüter i.S.d. ordnungs- bzw. polizeirechtlichen Generalklausel.[18] Umgekehrt wird auch von Vertretern der vorstehend erwähnten Gegenmeinung eine VA-Befugnis insoweit verneint, als es um die Durchsetzung von Ansprüchen der Verwaltung aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geht (Rn. 94); Entsprechendes gilt für privatrechtliche Ansprüche der Verwaltung.[19] Denn wenn die Verwaltung mit dem Bürger einmal eine einvernehmliche Regelung getroffen, d.h. sich auf die Ebene der Gleichordnung mit diesem begeben hat, so gilt dies konsequenterweise auch hinsichtlich der Durchsetzung von Ansprüchen aus derartigen Beziehungen. Ebenso wie der Bürger ist daher auch die Verwaltung gehalten, im Streitfall ihre vertraglichen Rechte gerichtlich – und gerade nicht einseitig durch einen von ihr selbst geschaffenen Verwaltungsakt als Vollstreckungstitel (Rn. 39) – geltend zu machen. Dass von der Verwaltung gewährte Leistungen (z.B. Subventionen), die ihren Rechtsgrund ursprünglich in einem Verwaltungsakt hatten, der später aber mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist, ebenfalls durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden können (Kehrseitentheorie), ist in § 49a Abs. 1 S. 2 VwVfG ausdrücklich normiert (hierzu siehe Übungsfall Nr. 4).
Beispiel[20]
Die Geschäfte des Einzelhändlers E florieren, so dass er sich entschließt, zusätzliche Verkaufsräume im Innenstadtbereich zu schaffen. Zu diesem Zweck plant E die Errichtung eines fünfstöckigen Kaufhauses auf einem Grundstück, welches unmittelbar an die städtische Fußgängerzone angrenzt. Aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse im Innenstadtbereich ist E jedoch nicht in der Lage, die erforderlichen Kfz-Stellplätze zu schaffen. Zusammen mit dem Bauantrag für das Kaufhaus beantragt E daher zugleich einen Dispens vom Stellplatzerfordernis. Nach eingehenden Verhandlungen einigen sich E und die zuständige Behörde B in einem Verwaltungsvertrag darauf, dass E 25 000 € für den Ausbau des Innenstadtparkplatzes zahlt und B im Gegenzug den benötigten Dispens erteilt. Kurz nach Vertragsschluss muss E jedoch feststellen, dass ihm die Kosten seiner Geschäftsexpansion „über den Kopf gewachsen“ sind und er die 25 000 € daher nicht zahlen kann. Daraufhin erlässt B einen