Datenschutzrecht. Jürgen Kühling
id="ulink_08ec9ae2-b5cc-578e-b4b8-2f0e8378df03">Das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 Var. 3 GG schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs.[1] Dabei wird der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses nicht allein auf den Kommunikationsvorgang und den Kommunikationsinhalt, sondern auch auf die Kommunikationsumstände erstreckt.[2] Dazu gehören insbesondere Informationen darüber, „ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist“.[3] Anderenfalls wäre der grundrechtliche Schutz unvollständig. Unter die näheren Umstände der Kommunikation fallen daher vor allem Verkehrsdaten.[4] Denn diese haben einen selbständigen Aussagegehalt, da sie im Einzelfall beachtliche Rückschlüsse auf das Kommunikations- und Bewegungsverhalten einzelner Kommunikationsteilnehmer ermöglichen können. Häufigkeit, Dauer und Zeitpunkt von Kommunikationsverbindungen geben Hinweise auf Art und Intensität persönlicher sowie geschäftlicher Beziehungen und lassen auf den Inhalt bezogene Schlussfolgerungen zu.[5] Bestandsdaten nach § 3 Nr. 3 TKG gehören dagegen grundsätzlich nicht zu den näheren Kommunikationsumständen.[6] Denn diese beziehen sich nicht auf den Kommunikationsvorgang, sondern stellen lediglich die notwendigen Informationen zur Vertragsabwicklung zwischen dem jeweiligen Diensteanbieter und den Kunden dar. Zu den näheren Umständen der Kommunikation gehören also alle Verkehrsdaten und sonstigen Umstände, die den jeweiligen Telekommunikationsvorgang individualisierbar und nachverfolgbar machen. In territorialer Hinsicht stellte das BVerfG jüngst klar, dass das Fernmeldegeheimnis nicht nur innerstaatlich Geltung erfahre, sondern es die deutsche Staatsgewalt auch im Ausland zu binden vermag und somit von einer grundsätzlich umfassenden Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt auszugehen sei.[7] Dieses Urteil enthält weitreichende Folgen für die Arbeit der Nachrichtendienste und anderer im Ausland tätiger deutscher Staatsgewalt.[8]
Anmerkungen
Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.6.1984, 1 BvR 1494/78 = BVerfGE 67, 157 (172) – G10; Beschl. v. 9.10.2002, 1 BvR 1611/96 u. 1 BvR 805/98 = BVerfGE 106, 28 (35 f.) – Mithörvorrichtung.
BVerfG, Urt. v. 2.3.2006, 2 BvR 2099/04 = BVerfGE 115, 166 = MMR 2006, 217 (219) – Kommunikationsverbindungsdaten. Dem Verfahren lag die Verfassungsbeschwerde einer Richterin am Amtsgericht zu Grunde, die sich gegen die Anordnung der Durchsuchung ihrer Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen gewendet hat. Die Durchsuchung diente dazu, Kommunikationsverbindungsdaten auf dem PC und dem Mobiltelefon der Richterin zu ermitteln, die einen Nachweis für Kontakte mit einem Reporter hätten ergeben können.
BVerfG, Urt. v. 2.3.2006, 2 BvR 2099/04 = BVerfGE 115, 166 = MMR 2006, 217 (219) – Kommunikationsverbindungsdaten; Beschl. v. 4.2.2005, 2 BvR 308/04 = BVerfGK 5, 74 = NJW 2005, 1637 (1639); Urt. v. 12.3.2003, 1 BvR 330/96 u. 1 BvR 348/99 = BVerfGE 107, 299 = NJW 2003, 1787 (1788); vgl. auch Beschl. v. 20.6.1984, 1 BvR 1494/78 = BVerfGE 67, 157 (172) – G10; Beschl. v. 25.3.1992, 1 BvR 1430/88 = BVerfGE 85, 386 (396) – Fangschaltungen.
Verkehrsdaten i.S.d. § 3 Nr. 30 TKG sind Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Eine Auflistung der Verkehrsdaten findet sich in § 96 Abs. 1 TKG.
Vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 2.3.2006, 2 BvR 2099/04 = BVerfGE 115, 166 = MMR 2006, 217 (219) – Kommunikationsverbindungsdaten; Urt. v. 12.3.2003, 1 BvR 330/96 u. 1 BvR 348/99 = BVerfGE 107, 299 (320).
Anders stellt sich die Sachlage dann dar, wenn Bestandsdaten zu spezifischen Verkehrsdaten übermittelt werden. Dann ist das Fernmeldegeheimnis einschlägig. Diese umstrittene Frage spielt eine Rolle bei den Auskunftsverlangen von Urheberrechtsinhabern und Strafverfolgungsbehörden gegenüber Internet-Access-Providern bei der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Form von illegalen Downloads, vgl. dazu u.a. LG Stuttgart, Urt. v. 4.1.2005, 13 Qs 89/04 = MMR 2005, 624 (624). Siehe auch unter → Rn. 88 und 98.
BVerfG, Urt. v. 10.5.2020, 1 BvR 2835/17 = NJW 2020, 2235 (2243) Rn. 105; dazu auch Uerpmann-Wittzack, JURA 2020, 953; Link, Grundrechtsbindung der Bundeswehr im Ausland, 2020, S. 49 f.
Dazu Uerpmann-Wittzack, JURA 2020, 953 (956).
b) Abwägungstopoi
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Im Rahmen des Fernmeldegeheimnisses zieht das BVerfG im Wesentlichen dieselben Abwägungstopoi wie beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. hierzu oben → Rn. 77 f.) heran. Ergänzend spielt jedoch entsprechend dem Verwendungskontext die Nähe der Daten zum Kernbereich privater Lebensgestaltung eine Rolle. So genießen Inhaltsdaten eines konkreten Gesprächs einen intensiveren Schutz als bloße Verkehrsdaten, die nicht zur Kenntnisnahme von Gesprächsinhalten führen.[1]
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Besondere Aufmerksamkeit verdient ferner der Charakter des Internets als spezifisches Medium der Rechtsverletzung. Entsprechend der Wertung des BVerfG im Beschluss zu den Fangschaltungen, das zur Rechtfertigung dieses Eingriffs darauf abstellte, dass Fangschaltungen ein „besonders wirksames, oft sogar das einzige Mittel der Gegenwehr“ darstellten,[2] liegt es nahe, an die Reaktion auf einen medienspezifischen Missbrauch mit medienspezifischen Abwehrmitteln geringere Rechtfertigungsanforderungen zu stellen. Dies könnte möglicherweise Datenzugriffsrechte von Urheberrechtsinhabern gegenüber Internet-Serviceprovidern, über deren Dienste illegale Downloads erfolgen, leichter legitimieren (vgl. hierzu unten → Rn. 98).
Anmerkungen
BVerfG, Urt. v. 3.3.2004, 1 BvR 2378/98 u. 1 BvR, 1084/99 = BVerfGE 109, 279 = NJW 2004, 999 (1010) – Großer Lauschangriff.
Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.3.1992, 1 BvR 1430/88 = BVerfGE 85, 386 (400 f.) – Fangschaltung.
c) Insbesondere: Richtervorbehalt
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Richtervorbehalte sollen für Fälle besonders schwerwiegender Grundrechtseingriffe fehlenden oder zu spät kommenden Rechtsschutz kompensieren.[1] Im Zusammenhang mit Grundrechtseingriffen bei Wohnungsdurchsuchungen begründet das BVerfG den verfassungsrechtlich vorgegebenen Richtervorbehalt in Art. 13 Abs. 2 GG mit dem hohen Schutzgehalt dieses Grundrechts.[2] Im Rahmen des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 Var. 3 GG ist die Situation indes aus verfassungsrechtlicher Sicht schon mangels expliziter grundgesetzlicher Vorgabe eines Richtervorbehalts unklarer. Das BVerfG