Beweisantragsrecht. Winfried Hassemer

Beweisantragsrecht - Winfried Hassemer


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       [5]

      Nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus dem materiellen Schuldprinzip, dass die Ermittlung des wahren Sachverhalts als „das zentrale Anliegen des Strafprozesses“ anzusehen ist (vgl. BVerfGE 140, 317, 345; BVerfGE 133, 168, 199; BVerfGE 130, 1, 26; BVerfGE 122, 248, 270; BVerfGE 118, 212, 231). Zum Ziel des Strafverfahrens heißt es in anderen Entscheidungen des BVerfG: „Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege, die zum Schutz der Bürger den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten Verfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll.“ (BVerfG Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, Rn. 111; ebenso BVerfGE 107, 104, 118/119).

       [6]

       Oben Rn. 21 ff.

       [7]

      Vgl. Mauz Das Spiel von Schuld und Sühne. Die Zukunft der Strafjustiz, 1975, S. 5 ff.

       [8]

      Vgl. Marxen Der Kampf gegen das liberale Strafrecht. Eine Studie zum Antiliberalismus in der Strafrechtswissenschaft der zwanziger und dreißiger Jahre, 1975, S. 171 ff.; über den nationalsozialistischen Gesetzgeber gibt Marxen allerdings weniger Auskunft als über die Strafrechtswissenschaft jener Zeit.

       [9]

      BVerfG StV 1990, 1, 2; BVerfGE 34, 238, 247; vgl. auch BVerfGK 18, 194, 203 und BVerfGK 18, 444, 448.

       [10]

      Vgl. etwa BGHSt 38, 214, 220 und BGHSt 14, 358, 365.

       [11]

      Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 261 Rn. 1; s. ergänzend auch Kühne in: Löwe-Rosenberg, Einleitung Abschnitt H, Rn. 26.

       [12]

      Ausführlich dazu Hassemer Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 1990, S. 153 ff.; vgl. ferner Volk in: FS Salger, S. 411; Lampe in: FS Pfeiffer, S. 353 ff.

       [13]

      Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Beweisantragsrechts vgl. Pohlreich Das rechtliche Gehör im Strafverfahren, S. 136 ff.; Jahn in FS für Hassemer, 2010, 1029 ff.

      Inhaltsverzeichnis

       I. Formlose Informationsweitergabe und Beweiserbieten

       II. Beweisanregung

       III. Beweisermittlungsanträge

       IV. Der bedingte Beweisantrag

       V. Beweisanträge im engeren Sinne

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      Das Strafverfahren ist – trotz all seiner Formalisierungen und gesetzlichen Absicherungen – ein kommunikativer Prozess. Es vollzieht sich während eines bestimmten historischen Zeitraums und befasst sich mit zeitlich (oft weit) zurückliegenden Vorgängen, über die es häufig unterschiedliche Vorstellungen und Erinnerungen gibt. Der verbale Austausch und Streit darüber ist – ganz anders als die Texte, mit denen die Juristen sonst umgehen – im besten Sinne des Wortes „Szene“. Kein Verfahren ist wie das andere. Sowohl in der zeitlichen Ausdehnung als auch in den Inhalten, im „Klima“ und deshalb auch im Ergebnis hängt das Strafverfahren von zahlreichen Variablen ab. Zu diesen Variablen gehören insbesondere die Aktionen und Interaktionen der Verfahrensbeteiligten.

      Diese Aktionen und Interaktionen sind durch Regeln nicht vollständig determinierbar. Sie beruhen auf Situationen, auf prozessualen Erfahrungen, auf persönlichem Temperament, auf der Stärke von Durchsetzungsinteressen oder auch auf dem Verhältnis des Verteidigers zu seinem Mandanten. Zu welchem Ergebnis oder Zwischenergebnis eine Aktion im Verfahren führt, ist gemeinhin nur undeutlich vorherzusehen.

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      Angesichts dieser Gegebenheiten wäre es unvernünftig, eine Einflussnahme auf Inhalt und Umfang der gerichtlichen Tatsachenfeststellung nur im Beweisantrag zu sehen. Der Beweisantrag ist gewissermaßen nur die oberste, die am stärksten formalisierte aus einer Reihe von Einflussmöglichkeiten, welche den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung stehen. Von prozessualer Erfahrung, von psychologischer Einfühlung und von Fingerspitzengefühl für Verfahrenssituationen hängt es ab, welches Instrument der Verteidiger verwendet, um die Beweisaufnahme zugunsten seines Mandanten zu beeinflussen. Er kann sich auf eine bloße Anregung beschränken, er kann Nachforschungen über denkbare weitere Zeugen beantragen, und er kann förmlich seinen Wunsch nach Anhörung einer bestimmten Person im Gerichtssaal vorbringen und auf diese Weise zu Protokoll geben. Selbst ein beiläufiger Hinweis auf eine weitere Aufklärungschance während des Schlussvortrags kann in der konkreten Prozesslage geschickt (oder eben auch ungeschickt) sein. All diese verschiedenen Formen des Verteidigungsvorbringens, von der schlichten Information des Gerichts über die Beweisanregung im weiteren Sinne, den Beweisermittlungsantrag bis hin zum Beweisantrag zielen auf eine Beeinflussung der gerichtlichen Wahrheitssuche und Tatsachenfeststellung. Die einzelnen Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme unterscheiden sich dabei nicht nur nach dem Grad ihrer Formalisierung, sondern auch nach ihrem Verhältnis zur Aufklärungspflicht. Sie sind im Folgenden danach unterschieden, mit welcher Intensität die Aktualisierung der Amtsaufklärungspflicht mit einem Beweiserhebungspetitum verbunden wird. Zwischen der schlichten Aufbesserung des richterlichen Informationsstandes über Beweismöglichkeiten und dem absoluten und unbedingten Antrag auf eine bestimmte Beweiserhebung mit der konkreten Behauptung eines erwarteten Beweisergebnisses kennt das Strafverfahrensrecht ein ganzes Spektrum unterschiedlich intensiver Beweisbegehren.

      Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › I. Formlose Informationsweitergabe und Beweiserbieten

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      Die Aufklärungspflicht ist vom Gesetz (§ 244 Abs. 2 StPO) als eine absolute und von Interventionen der Verfahrensbeteiligten


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