Beweisantragsrecht. Winfried Hassemer
und Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“[24] bezeichnet wird, die Leitlinien der Rechtspolitik bestimmt. Andererseits ist klar, dass das Beweisantragsrecht zu denjenigen strafprozessualen Institutionen gehört, welche einer auf „Vereinfachung“ und „Effektivierung“ bedachten Politik am ehesten anheim fallen.[25] Diese Erkenntnis erleichtert es, die Position des Beweisantragsrechts in einem kriminalpolitischen Klima zu verorten.
Anmerkungen
Der Gang der Reform im Überblick ist nachzulesen bei Rüping/Jerouscheck Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 1998, S. 80 ff. und 86 ff.; detaillierter bei Eb. Schmidt Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1983, §§ 284 ff., 287 ff.
Vgl. zur unterschiedlichen Rechtslage in Preußen, Sachsen und Bayern die instruktive Darstellung bei Schatz Beweisantragsrecht, S. 42 ff.; zur Rechtslage in Hessen-Nassau: Hoffmann Der unerreichbare Zeuge, S. 37 ff.
Vgl. zur Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelungen: Schatz Beweisantragsrecht, S. 57 ff.
Im Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des GVG vom 28.6.1935, RGBl. I, 844; zu den Reformbestrebungen um die Jahrhundertwende: Schatz Beweisantragsrecht, S. 72 ff.
RGSt 1, 61.
RGSt 1, 189; weitere Nachweise aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bei Schatz Beweisantragsrecht, S. 85.
Vgl. hierzu Rn. 249 ff.
RGBl. 1925 I, 475.
Im Gesetz zur Abänderung der StPO vom 27.12.1926, RGBl. 1926 I, 529.
RGBl. 1932 I, 285.
Vgl. hierzu Schatz Beweisantragsrecht, S. 102/103. Zeitgenössische Kommentare: Hellwig JW 1932, 2672; von Pestalozza JW 1932, 2675; Koffka JW 1932 1930.
RGBl. 1935 I, 844.
RGBl. 1939 I, 1658.
RGBl. 1942 I, 508.
Zur Reaktion der Rechtsprechung auf diese Gesetzesänderungen vgl. Schatz Beweisantragsrecht S. 117 ff.
BGBl. 1950 I, 455, 629.
BGBl. 1979 I, 1645.
Siehe auch Hamm NJW 1993, 289, 293.
BGBl. 1993 I, 50.
BGBl. 1994 I, 3186.
BGBl. 2017 I, 3202, 3209; hierzu: Börner JZ 2018, 232.
Vgl. hierzu Hamm StV 2018, 535.
Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017, BGBl. I, S. 2208.
Hierzu Hassemer StV 1982, 275 ff.
Vgl. auch BGH Beschl. v. 14.6.2005 – 5 StR 129/05 = NJW 2005, 2466 = StV 2006, 113 m. Anm. Dahs = JR 2006, 125 m. Anm. Gössel = JZ 2005, 1010 m. Anm. Duttge und BGH Beschl. v. 23.9.2008 – 1 StR 484/08 = BGHSt 52, 355 = NJW 2009, 605 = StV2009, 64.
Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts
III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts
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Seiner Funktion nach ist das Beweisantragsrecht nicht lediglich eine menschen(rechts)freundliche Verbesserung der Interventionsrechte des Beschuldigten im Strafverfahren und auch nicht lediglich eine Ergänzung der richterlichen Aufklärungspflicht; es bezweckt nicht nur eine Konkretisierung dieser Pflicht. Es ist viel tiefer begründet; es folgt nämlich zwingend aus der menschlichen Wahrnehmungs- und Beurteilungsfähigkeit sowie aus dem verfassungsrechtlich gestützten Prinzip, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt des Verfahrens ist.
Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 1. Vorurteil und Sinnerwartung
1. Vorurteil und Sinnerwartung
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Das Beweisantragsrecht ist ein Teil der Beweisaufnahme im Strafverfahren und ein Instrument der Wahrheitsfindung. In der Beweisaufnahme hat das Gericht die Tatsachen festzustellen, welche als empirische Grundlage des Urteilsspruchs benötigt werden. Hier geht es also um „Wahrheit“, um empirische Erkenntnis. Nur ein Urteil, dessen Tatsachenfeststellungen den Tatsachen entsprechen, kann auch gerecht sein. Tatsachenfeststellung ist fast immer ein