Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht. Christina Konzelmann
§ 266 a Rn. 8.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 2. Die Begriffsbestimmung der Akzessorietät
2. Die Begriffsbestimmung der Akzessorietät
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Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Strafrecht in unterschiedlicher Weise von anderen Rechtsgebieten abhängig ist. Für die hier angesprochene Inbezugnahme außerstrafrechtlicher Rechtsbegriffe ist eine pauschale Begriffsbeschreibung der Akzessorietät in Sinne von „Abhängigkeit“ jedoch nicht ausreichend. Der strafrechtliche Akzessorietätsbegriff umfasst vielmehr verschiedene Erscheinungsformen, sei es zum einen als begriffliche Abhängigkeit des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten, mit der Folge, dass außerstrafrechtliche Begriffe nach außerstrafrechtlichen Gesichtspunkten auszulegen sind oder zum anderen aus Sicht der Strafrechtsfolge, die ausschließlich oder zusätzlich an den außerstrafrechtlichen Rechtssatz anknüpft oder auch in dem Sinne, dass die Gesamtheit der Rechtsfolgevoraussetzungen von außerstrafrechtlichen Vorgängen und Entscheidungen abhängig ist.[1] Das Strafrecht sichert dabei dieselben Werte, an denen die Gesamtheit der Rechtsnorm ausgerichtet ist und weist damit in seiner Eigenschaft als Schutzrecht eine enge Verknüpfung mit benachbarten Rechtsgebieten auf.[2] Die anfangs der Akzessorietät des Strafrechts zugrunde liegende Erwägung, dass das Strafrecht als ein „unselbständiges, innerhalb der Gesamtrechtsordnung von anderen abhängiges Gebilde den bereits durch andere Rechtsteile begründeten Rechtsgutsschutz nur noch um seine Sanktion ergänzt“[3], gilt mittlerweile als überholt. Es steht außer Frage, dass das Strafrecht mit den anderen Rechtsgebieten eine einzige Rechtsordnung bildet.[4] Unabhängig von der umstrittenen Frage, welche Bedeutung im allgemeinen dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zukommen soll, dient dieser jedenfalls dazu, Normwidersprüche zu vermeiden, die entstehen würden, wenn ein Verhalten in strafrechtlicher Sicht als rechtswidrig, im übrigen aber als rechtmäßig erklärt würde.[5] Das Strafrecht kann insofern weder als bloße Sekundärmaterie noch als ausschließlich autonomes Rechtsgebiet bezeichnet werden, um darzulegen, dass eine strenge Abhängigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung ebenso wenig geboten ist, wie eine ausnahmslose Loslösung des Strafrechts von außerstrafrechtlichen Kategorien.[6] Darauf basiert auch die Aufteilung in selbständiges und unselbständiges Strafrecht.[7] Bei den wichtigsten Gütern wie Leben, körperlicher Integrität, Ehre, Freiheit oder sexueller Selbstbestimmung bestimmt das Strafrecht als Primärmaterie die Rechtsgutqualität selbst und ohne Rückgriff auf Begriffe und Funktionen anderer Rechtsgebiete.[8] Auf der anderen Seite hat das Strafrecht die Aufgabe, die bereits durch andere Bereiche des Rechts vorformulierten Rechtsgüter zu schützen, so dass es insbesondere im Bereich des Nebenstrafrechts als Sekundärmaterie Rechtsbegriffe oder auch ganze Normenkomplexe daraus entnimmt.[9] Aber auch bei einer Anknüpfung an benachbarte Rechtssätze bedient sich das Strafrecht zum Teil einer eigenen Begriffsbildung oder -auslegung.[10]
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Für die vorliegende Thematik besteht strafrechtliche Abhängigkeit damit in dem Sinne, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes zum Teil aus Merkmalen besteht, die entweder explizit oder implizit auf bestimmte rechtliche Werte und Normen, insbesondere solcher anderer Rechtsgebiete, Bezug nehmen. Das Strafgesetz bedient sich folglich bei der Begriffsbestimmung der Vorarbeit außerstrafrechtlicher Normierungen.[11] Die „Akzessorietät des Strafrechts“ lässt sich danach definieren als der Verzicht eines Strafgesetzes auf die selbständige Normierung bestimmter Schutzbereiche durch die unveränderte Übernahme oder die ausdrückliche Verweisung auf einzelne Rechtsbegriffe bzw. ganzer Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten.[12]
Anmerkungen
Tiedemann S. 45.
Engisch S. 32, 34.
So Binding S. 9 ff., 257. Der Streit über Grund und Umfang der Akzessorietät reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, vgl. dazu Maurach/Zipf AT, § 2 III Rn. 24; Satzger Europäisierung, S. 220 f.; Tiedemann S. 45 f. jew. m.w.N.
Satzger Europäisierung, S. 221.
Satzger Europäisierung, S. 221 ff. m.w.N.
Wietz S. 100; Tiedemann S. 46.
Tiedemann S. 46.
Jescheck/Weigend AT, § 7 II 2; Dreher NJW 1952, 1282, 1282.
Maurach/Zipf AT, § 9 II Rn. 19; MK-StGB/Schmitz Vor §§ 324 ff. Rn. 33; Dreher NJW 1952, 1282, 1282.
Vgl. hierzu Jescheck/Weigend AT, § 7 II 2; Cornils S. 8 f. jeweils mit Beispielen.
Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, 705.
Cornils S. 10
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 3. Blankettstrafgesetze
3. Blankettstrafgesetze
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Blankettstrafgesetze enthalten nur die Strafandrohung, verweisen aber hinsichtlich der Voraussetzungen, an die die Strafandrohung geknüpft wird, auf andere Vorschriften.[1] Das Strafgesetz ist zunächst ein unvollständiges Blankett, dessen Beschreibung der Merkmale des Tatbestandes sich nur in der Zusammenschau des Blanketts und der Ausfüllungsnorm ergibt.[2] Geprägt wurde der Begriff des Blankettstrafgesetzes von Binding. Er definierte Blankettstrafgesetze als jene Gesetze, die lediglich die Sanktionsandrohung enthalten, während die Ausfüllungsnorm der Strafvorschrift aus einer anderen Rechtssetzungsinstanz stammt.[3] Dies ist zumeist bei Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht oder auf Verordnungen und Verwaltungsakte der Fall.[4] Nach modernem Verständnis wurde der Begriff des Blankettstrafgesetzes sowohl in formeller als auch materieller Sicht erweitert,[5] so dass als Blankettstrafgesetze auch solche Normen gelten, bei denen das Blankettgesetz und die ausfüllende Norm von derselben Rechtsetzungsinstanz erlassen werden,[6] sowie Strafgesetze, die nicht lediglich die Strafandrohung, sondern auch teilweise die Tatbestandsbeschreibung enthalten.[7]
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Das wesentliche Motiv für die Verwendung blankettartiger Verweisungen besteht in der