Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht. Christina Konzelmann
Alonso Espinosa S. 95 ff.
Vgl. Rades S. 82 ff.
Alonso Espinosa S. 85 f., 90 f.; Pérez-Serrabona González S. 2971 f.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung
Inhaltsverzeichnis
I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht
II. Die Fremdrechtsanwendung als Teilbereich des Internationalen Strafrechts
III. Fremdrechtsanwendung in Literatur und Rechtsprechung
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht
I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht
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Von der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht wird gesprochen, wenn bei Sachverhalten mit Auslandsbezug zur Vervollständigung ausfüllungsbedürftiger Straftatbestände des nationalen Rechts auf die Rechtsordnung eines anderen Staates zurück gegriffen werden muss. Von der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht ist die Anwendung fremden Strafrechts zu unterscheiden. Ersteres betrifft nur die Heranziehung ausländischer Normen zur Begründung des Strafbarkeitsvorwurfs nach einer inländischen Strafnorm.[1] Dagegen bedeutet die Anwendung fremden Strafrechts die Ausübung originärer Strafgewalt durch ausländisches Recht. Einer Anwendung ausländischen Strafrechts durch deutsche Strafgerichte und Strafverfolgungsbehörden steht entgegen, dass die Ausübung von Strafgewalt der demokratischen Legitimation über das Staatsvolk bedarf, die die Bindung an Gesetze eines ausländischen Staates nicht bewirken könnte.[2] Ausländisches Recht kann daher nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die deutsche Strafnorm selbst eine explizite oder implizite Verweisung auf ausländische Normen enthält.[3] Das Strafrecht muss folglich in diesen Fällen zu anderen Rechtsgebieten in Sekundärbeziehung stehen, da nur dann jene Form der Abhängigkeit zu anderen Teilen der Rechtsordnung gegeben ist, wie sie für die Fremdrechtsanwendung erforderlich ist.
Anmerkungen
Cornils S. 106 zieht hierbei einen Vergleich mit dem Internationalen Kollisionsrecht. Die „Hauptfrage“ würde nach deutschem Recht und nur die „Vorfrage“ nach ausländischem Recht beurteilt werden. Die nicht regelnde, sondern bloß subsumierende Anwendung fremden Rechts sei in Bezug auf die Ausübung staatlicher Gewalt unbedenklich.
NK-Böse Vor § 3 Rn. 63.
NK-Böse Vor § 3 Rn. 63.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 1. Zur Akzessorietät von Straftatbeständen zu außerstrafrechtlichen Rechtssätzen
1. Zur Akzessorietät von Straftatbeständen zu außerstrafrechtlichen Rechtssätzen
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Die Anknüpfung an das Strafrecht erfolgt über normative Tatbestandsmerkmale und Blankettstraftatbestände, die außerstrafrechtliche Rechtsbegriffe und Rechtsregeln voraussetzen.[1] Zur Ausfüllung herangezogen werden dabei regelmäßig Normen des Zivil- und Verwaltungsrechts oder auch des materiellen Steuerrechts.[2] Die meisten Teile des Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere des Nebenstrafrechts, sind durch akzessorische Straf- und Bußgeldtatbestände gekennzeichnet. So bedarf § 370 AO der Ausfüllung durch materielle und formelle Normen des Steuerrechts.[3] § 34 I AWG a.F. verweist für die Genehmigungspflicht der Ausfuhr von Waren auf andere Vorschriften des AWG und der AWVO. Das Umweltschutzstrafrecht der §§ 324 ff. StGB zeichnet sich durch seine Verwaltungsrechtsakzessorietät aus. Zum einen bedarf die Interpretation einiger Tatbestandsmerkmale des Rückgriffs auf das Verwaltungsrecht, zum anderen verweisen einige Tatbestände selbst ausdrücklich auf das Verwaltungsrecht.[4] Insbesondere im Kernstrafrecht des StGB finden sich Strafnormen, deren Tatbestandsmerkmale allein zivilrechtlich bestimmt werden. Als prominentestes Beispiel hierfür gilt wohl die „Fremdheit“ der Sache in §§ 242, 246 StGB, für die die dingliche Rechtslage ausschlaggebend ist.[5] Die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils in § 263 StGB bestimmt sich danach, ob dem Täter kein wirksamer, fälliger und einredefreier Anspruch gegen den Geschädigten zusteht. Zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist hier wiederum das Zivilrecht heranzuziehen.[6] Die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht im Rahmen des § 266 StGB richtet sich ebenso nach zivilrechtlichen Regelungen. Der Tatbestand setzt den Missbrauch einer Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis voraus, die dem Täter durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt worden ist. Am auffälligsten ist der Zusammenhang zwischen Strafrecht und Zivilrecht bei den §§ 283 ff. StGB. Die Merkmale der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit lassen sich nur mithilfe der Insolvenzordnung bestimmen. Taugliche Täter der Buchführungspflichten können nur Kaufleute nach dem HGB bzw. vertretungsberechtigte Organe juristischer Personen sein.[7] Weiter sind auch die in § 266a StGB verwendeten Täterbegriffe Statusbegriffe, die allein sozialrechts- bzw. zivilrechtsakzessorisch ausgefüllt werden können.[8]
Anmerkungen
Vgl. Tiedemann AT, § 5 Rn. 197 ff.; ders. JuS 1989, 689, 694 ff.
Mosiek StV2008, 94, 97.
Eingehend zum Tatbestand der Steuerhinterziehung Wabnitz/Janovsky/Pflaum 20. Kap. Rn. 10 ff.
Vgl. Lackner/Kühl Vor § 324 Rn. 2 ff.; S/S-Heine/Hecker Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 11 ff.; MK-StGB/Schmitz Vor §§ 324 ff. Rn. 41 ff.
Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, 705.
MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 801 ff.
Vgl. Fischer Vor § 283 Rn. 19; MK-StGB/Radtke/Petermann Vor § 283 Rn. 41 ff.