Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht. Christina Konzelmann
die in Bezug genommenen Vorschriften durch die Verweisung zum Bestandteil der jeweiligen Verweisungsnorm werden.[8] Es ergibt sich somit kein Unterschied, ob der Tatbestand einer Norm von vornherein vollständig ausformuliert oder durch eine Verweisung auf die Ausfüllungsnorm zum Vollstrafgesetz wird. Der Vorteil der Verweisung liegt also darin, dass sie zum einen der Entlastung des Gesetzestextes der Verweisungsnorm und zum anderen des Gesetzgebers dient, soweit auf Normen eines anderen Gesetzgebers verwiesen wird.[9] Neben der Funktion der Vereinfachung steht zudem das Bedürfnis nach erhöhter Anpassungsfähigkeit des Strafrechtsschutzes an zunehmend komplexe gesellschaftliche Entwicklungen im Vordergrund.[10] Dies zeigt sich insbesondere im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, wo die Blankettgesetzgebungstechnik immer mehr an Bedeutung gewinnt, da auf das stetige Wachstum der Regelungsdichte im besonderen Verwaltungsrecht und der damit einhergehenden Wandelung der entsprechenden Rechtsgebiete mit Blankettnormen besser reagiert werden kann.[11] Mittels unionsrechtsakzessorischer Blankettgesetze wird zudem der aus Art. 4 III UA 2, 3 EUV abzuleitenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer gleichartigen und gleichwertigen Straf- und Bußgeldbewehrung von unmittelbar geltenden Rechtsakten der EU entsprochen.[12]
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Zusammenfassend definiert sich das Blankettstrafgesetz mithin über zwei wesentliche Elemente: zum einen der Unvollständigkeit des Tatbestandes und zum anderen der Bezugnahme auf andere Rechtsnormen.[13] Nur durch ein Zusammenlesen des Strafgesetzes mit dem außerstrafrechtlichen Blankettausfüllungsakt ergibt sich ein vollständiges Strafgesetz.[14]
Anmerkungen
Warda S. 5; Karpen S. 86 f.
Satzger Europäisierung, S. 217.
Binding S. 179 f.
S/S-Eser/Hecker Vor § 1 Rn. 3; LK-Vogel § 16 Rn. 36.
Vgl. Moll S. 24; eingehend zum ursprünglichen Begriff Warda S. 5 ff.
Da es in Abgrenzung zu den echten Blankettstrafgesetzen am charakteristischen „Kompetenzsprung“ fehlt, werden diese unechte Blankettstrafgesetze genannt, Karpen S. 95, Moll S. 26; Tiedemann S. 259 f; LK-Vogel § 16 Rn. 36. Gleichbedeutend, aber von Teilblankettgesetzen sprechend, S/S-Sternberg-Lieben/Schuster § 15 Rn. 99; auch NK-Puppe § 16 Rn. 19. Zum Teil wird auch zwischen einem weiten und einem engen Blankettbegriff unterschieden. Diese Differenzierung entspricht terminologisch der Unterscheidung zwischen echten und unechten Blankettstrafgesetzen, vgl. Warda S. 11. Unechte Blankettstrafgesetze sind in der Regel als Binnenverweisungen ausgestaltet.
Lohberger S. 28 ff.; Moll S. 40 ff. sprechen von teilweise ergänzungsbedürftigen Blankettvorschriften. Enderle S. 81 kommt zu dem Ergebnis, dass die von ihr als teilweise unvollständige Blankettverweisungen bezeichneten gegenüber gänzlich unvollständigen Tatbeständen mittlerweile dominieren.
Sog. Inkorporationstheorie, vgl. BVerfGE 47, 285, 310, 312; Karpen S. 67; Moll S. 27; Bülte JuS 2015, 769, 770.
Moll S. 27.
Grundlegend BVerfGE 75, 329, 342 f.; Dietmeier S. 10; Warda S. 8 f.; Hohmann ZIS 2007, 38, 42.
BGHSt 20, 177, 180; Niehaus wistra 2006, 206, 206 f; Karpen S. 89.
Vgl. Hecker EuStR, 7.4.2 Rn. 76; Ambos § 11 Rn. 19 f.; Enderle S. 54 ff.
Vgl. Enderle S. 110.
BGHSt 20, 177, 181; S/S- Eser/Hecker Vor § 1 Rn. 3; Hecker EuStR, 7.4.2 Rn. 76.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 4. Normative Tatbestandsmerkmale
4. Normative Tatbestandsmerkmale
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Normative Tatbestandsmerkmale werden als Bestandteile des gesetzlichen Tatbestands erkannt, die auf eine „außerhalb ihrer Stammnorm liegende Norm“ verweisen.[1] Im Gegensatz zu den Blankettstrafgesetzen muss der Tatbestand der normativen Tatbestandsmerkmale nicht ergänzt werden, sondern bedarf nur der Konkretisierung durch den zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale berufenen Richter.[2] Normative Tatbestandsmerkmale werden ihrerseits von den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen abgegrenzt, deren Abgrenzung jedoch nur im Hinblick auf die Lehre vom Vorsatz von Bedeutung erlangt und hier nicht weiter vertieft werden soll.[3] Charakteristisch sollen normative Tatbestandsmerkmale „wertungsbedürftig“ sein, da es zu ihrer Feststellung eines ergänzungsbedürftigen Werturteils bedarf, wohingegen die deskriptiven Tatbestandsmerkmale nur „beschreibenden“ Inhalts sein sollen und in aller Regel nur aufgrund sinnlicher Wahrnehmung feststellbar sind.[4]
Anmerkungen
Schlüchter S. 23.
Vgl. BVerfGE 78, 205, 213; Satzger Europäisierung, S. 218 f.; LK-Dannecker § 1 Rn. 149.
Zur Abgrenzung vgl. SK-Rudolphi § 16 Rn. 21; Fischer § 16 Rn. 4; S/S-Eisele Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 64; eingehend Müller-Magdeburg S. 131 ff.; eine Abgrenzung aus terminologischen Gründen für sinnvoll erachtend Roxin AT I, § 10 Rn. 60; LK-Vogel § 16 Rn. 28 ff.; ablehnend dagegen LK-Walter Vor § 13 Rn. 42.
So die h.M. vgl. LK-Walter Vor § 13 Rn. 42; LK-Vogel § 16 Rn. 25; Jescheck/Weigend AT, § 15 I 4, § 22 III 2 b); Backes S. 36 ff.; Müller-Magdeburg S. 131 ff.