Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht. Christina Konzelmann
Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 5. Akzessorietätsformen
5. Akzessorietätsformen
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Eine Unterscheidung nach der unterschiedlich starken Ausprägung der strafrechtlichen Akzessorietät nimmt Cornils vor und differenziert nach drei verschiedenen Erscheinungsformen strafrechtlicher Akzessorietät.[1] Unter die Anwendungsform der ausdrücklich verweisenden Akzessorietät fallen die Blankettstrafgesetze. Dieser Form der Strafgesetze ist immanent, dass sie zwar die Strafandrohung enthalten, hinsichtlich der Voraussetzungen aber, an die die Strafandrohung geknüpft wird, auf andere Vorschriften verweisen. Normative Tatbestandsmerkmale hingegen begründen eine stillschweigend verweisende Abhängigkeit. Zwar ist im Gegensatz zu den Blankettstrafgesetzen bei diesen der Tatbestand bereits gebildet, doch weisen auch sie eine Art von „Unvollständigkeit“ hinsichtlich einzelner Tatbestandsmerkmale auf, indem diese Normen anderen außerstrafrechtlichen Rechtsquellen in ihrer originären Form entnommen werden müssen. Die dritte Form strafrechtlicher Abhängigkeit wird von ihr als „indirekte Akzessorietät“ bezeichnet. Die außerstrafrechtlichen Normen werden hierbei lediglich zur Auslegung und Konkretisierung herangezogen, etwa zur objektiven Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Fahrlässigkeit, für die Begründung der Garantenstellung bei den Unterlassungsdelikten oder zum Ausschluss der Rechtswidrigkeit, ohne dass es dafür einer gesetzlichen Verweisung bedarf.[2]
Anmerkungen
Cornils S. 10 ff. Eingehend zu den unterschiedlichen Akzessorietätsformen auch Hohmann ZIS 2007, 38, 40 ff.
Ganzer Abschnitt Cornils S. 10 ff. Für diesen Fall lassen sich auch keine allgemeinen Grundregeln für eine Behandlung der Fremdrechtsanwendung aufstellen, sondern sie erfordern eine gesonderte Überprüfung im Einzelfall. Die Erscheinungsform der indirekten Akzessorietät bleibt in dieser Arbeit außer Betracht.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 6. Verweisungstechniken
6. Verweisungstechniken
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Sowohl normative Tatbestandsmerkmale als auch Blankettstrafgesetze sind Verweisungsnormen. Eine Verweisungsnorm ist eine Rechtsnorm, die den gesetzlichen Tatbestand nicht selbst vollständig umschreibt, sondern im Wege der Verweisung auf andere Vorschriften Bezug nimmt.[1] Die Bezugnahme auf andere Vorschriften erfolgt dabei durch verschiedene Formen von Verweisungstechniken. Binnenverweisungen stellen Verweisungen innerhalb ein- und desselben Gesetzestextes dar, bei der typischerweise am Ende eines Gesetzes Verstöße gegen die in dem Gesetz aufgestellten Ge- oder Verbote unter Strafe gestellt werden.[2] Eine Außenverweisung liegt vor, wenn die Blankettnorm auf andere Gesetze verweist, die damit von einem eigenständig legitimierten Gesetzgeber stammen.[3] Die Bezugnahme erfolgt dabei „parallel“ oder „über Kreuz“, letztgenannte Technik findet sich bei der Verweisung des Bundesgesetzgebers auf Landesgesetze oder umgekehrt.[4] Hingegen nennt sich der Verweis auf Vorschriften, die keine förmlichen Gesetze sind, Delegation.[5] Zwischen Binnen- und Außenverweisungen wird auch im Hinblick auf die Bezugnahme der Blankettnorm auf unmittelbar geltendes Unionsrecht unterschieden. Binnenverweisungen verweisen ausschließlich auf Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht, Außenverweisungen sanktionieren einen Verstoß gegen Unionsrecht.[6] Eine Unterscheidung nach der Geltungszeit des Verweisungsobjekts treffen statische und dynamische Verweisungen, deren Differenzierung vor allem im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz von Bedeutung ist. Statische Verweisungen nehmen auf eine bereits bestehende Norm oder zu einem anderen bestimmten Zeitpunkt geltende Fassung des Verweisungsobjekts Bezug.[7] Der Normtext steht inhaltlich fest, der dadurch auch bei einer nachträglichen Änderung des Blankettgesetzes nicht beeinflusst wird.[8] Der Gesetzestext der dynamischen Verweisungknüpft an die „jeweils gültige Fassung“ an oder verweist pauschal auf andere Vorschriften.[9] Eine Änderung des Ausfüllungstatbestands wirkt sich mithin zugleich auch auf den Inhalt der Verweisungsnorm aus. Der Gesetzgeber des Blanketttatbestands hat darauf insbesondere im Falle von Verweisungen auf Unionsrecht keinen Einfluss, so dass sich hier verfassungsrechtliche Probleme im Hinblick auf eine unzulässige Kompetenzverlagerung, den Bestimmtheitsgrundsatz und den Parlamentsvorbehalt stellen.[10] Dynamische Verweisungen sind sowohl in der Form als Binnenverweisung als auch als Außenverweisung möglich.[11] Eine sog. versteckt dynamische Verweisung liegt vor, wenn das statisch in Bezug genommene Verweisungsobjekt seinerseits auf andere Normen dynamisch weiterverweist.[12] Der Vollständigkeit halber sollen hier noch ausdrückliche Verweisungen, bei denen die Ausfüllungsregel mit der genauen Paragraphenangabe im Blankettgesetz bezeichnet wird, sowie konkludente Verweisungen, deren Inhalt der Verweisung sich erst durch Auslegung der Verweisungsnorm ergeben,[13] genannt werden.
Anmerkungen
Krey EWR 1981, 127; Satzger Europäisierung, S. 216.
Vgl. dazu Enderle S.11; Moll S. 29 f. Die Technik der Binnenverweisung dient der gesetzgebungstechnischen Vereinfachung, da mehrfache Aufführungen von Sanktionen vermieden werden, der Normadressat aber trotzdem dem Gesetzestext den vollständigen Sanktionstatbestand entnehmen kann, Dietmeier S. 43. Satzger hingegen versteht unter Binnenverweisungen jene, bei denen die Verweisungselemente zwar in unterschiedlichen Gesetzen geregelt sind, wohl aber vom gleichen Gesetzgeber stammen, vgl. Satzger Europäisierung, S. 216.
Moll S. 30; Dietmeier S. 44.
Enderle S. 11.
Karpen S. 107 ff.
Hecker EuStR, 7.4.2 Rn. 77.
Dazu BVerfGE 47, 285, 312; 60; 135, 155; Krey EWR 1981, S. 128; Karpen S. 76; Moll S. 45.
BVerfGE 47, 285, 312; 60, 135, 155. Diese Methode bietet dem Gesetzgeber den Vorteil, Gesetzestexte verkürzen zu können, indem die wörtliche Wiedergabe des Gesetzestextes der in Bezug genommenen Norm erspart wird, vgl. Moll S. 44 f.
BVerfGE 60; 135, 155; BGHSt 42, 79, 85; OLG Köln NJW 1988, 657, 658; Enderle S. 11; Karpen S. 67; Satzger Europäisierung, S. 217.
BVerfGE 47, 285, 312; Moll