Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht. Christina Konzelmann
die Normen zur privatrechtlichen Beurteilung eines solchen Sachverhalts zu entnehmen sind und darüber hinaus die Voraussetzungen festgelegt, auf welche Weise Rechte und Rechtslagen anzuerkennen sind, die sich aus einem ausländischen Recht ergeben.[3] Das Strafanwendungsrecht legt hingegen einseitig die Grenzen deutscher Strafgewalt unter Orientierung der verfolgten Strafzwecke und unter Inkaufnahme konkurrierender Strafgewalten fest, so dass die Normen bestenfalls einseitige Kollisionsnormen sind.[4] Das Kollisionsrecht bildet damit das Korrelat zur Anwendung fremden Strafrechts. Denn nach Festlegung der zur Anwendung berufenen ausländischen Norm wird diese nicht Bestandteil des eigenen Rechts, sondern bestimmt auch über die Rechtsfolge unmittelbar selbst.[5]
Anmerkungen
Vgl. Leipold/Tsambikakis/Zöller/Zöller Vor § 3 Rn. 1; Satzger EuStR/IntStR, § 3 Rn. 4.
Vgl. MK-BGB/Sonnenberger IPR, EGBGB Art. 3 Rn. 24; v. Bar/Mankowski IPR I, § 7 Rn. 108; Kropholler § 4 II.
MK-BGB/Sonnenberger Einl. IPR, Rn. 3. Zur Unterscheidung allseitiger von einseitigen Kollisionsnormen im IPR Siehr § 47 I 3; Kropholler § 13 III 1.
Vgl. NK-Böse Vor § 3 Rn. 9; Hecker EuStR, 2.1.1 Rn. 2; Satzger IntStR/EuStR, § 3 Rn. 4; SK-Hoyer Vor § 3 Rn. 1 f; Zieher IntStR, 33 f.
Wietz S. 91.
Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › II. Die Fremdrechtsanwendung als Teilbereich des Internationalen Strafrechts › 3. Zur Ausdehnung des Schutzbereichs auf ausländische Rechtsgüter
3. Zur Ausdehnung des Schutzbereichs auf ausländische Rechtsgüter
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Gesondert vom Geltungsbereich deutschen Strafrechts muss die weitere Frage geklärt werden, ob der jeweilige deutsche Straftatbestand den Rechtsgüterschutz überhaupt auf ausländische Rechtsgüter erstreckt oder vielmehr eine Beschränkung auf rein inländische Rechtsgüter aufweist.[1] Im Kern geht es dabei um die Frage, ob das betreffende Verhalten in einem Maße nationale (deutsche) Interessen berührt, dass es gerechtfertigt oder sogar notwendig erscheint, es am inländischen Rechtsgüterschutz teilhaben zu lassen.[2] Die Reichweite des Rechtsgüterschutzes muss dabei durch eine umfassende Auslegung des Strafgesetzes ermittelt werden und ist für jeden Fall gesondert zu prüfen.[3] In welcher Reihenfolge bei der Prüfung vorgegangen werden muss – ob also vor der Bestimmung des nationalstrafrechtlichen Geltungsbereichs zunächst die Eröffnung des Schutzbereichs geprüft werden muss, oder dieser vielmehr eine zwingend vorrangige Voraussetzung der Prüfung darstellt – ist umstritten. Bei der Auslegung der Strafnorm erfolgt bereits inzident die Prüfung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts. Denn bei einer Nichtanwendbarkeit deutschen Strafrechts nach den Grundsätzen der §§ 3 ff. StGB besteht ein Prozesshindernis, wodurch sich eine Prüfung des Schutzbereichs erübrigt.[4] Daraus kann auf eine vorrangige Prüfung des Geltungsbereichs geschlossen werden. Andererseits setzt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts das Vorliegen einer „Tat“ nach deutschem Recht voraus, was wiederum für eine vorrangige Prüfung des Schutzbereichs spricht.[5] Im Hinblick auf die Fremdrechtsanwendung kann dieser Streit jedoch dahinstehen, da diese jedenfalls das Vorliegen beider Merkmale erfordert.
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Der Schutzbereich deutschen Strafrechts ist immer dann berührt, wenn durch das inkriminierte Verhalten inländische Rechtsgüter verletzt werden.[6] Eine Unterscheidung des Schutzbereichs nach in- und ausländischen Rechtsgütern bietet sich demnach an, ist jedoch nur im Hinblick auf staatliche Interessen relevant.[7] Rechtsgüter, die grundsätzlich durch den einschlägigen deutschen Straftatbestand geschützt werden, sind alle Individualrechtsgüter wie Leben, Freiheit, Vermögen und Ehre. Sie sind unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Rechtsgutsinhabers oder der Belegenheit des Rechtsguts schutzwürdig.[8] Die Erstreckung des Schutzes deutschen Strafrechts auch auf Ausländer resultiert aus dem völkerrechtlichen Fremdenrecht, das dem Ausländer einen „minimum of justice“ und damit auch ein Mindestmaß an strafrechtlichem Schutz garantiert.[9] Ausländische Rechtsgüter hingegen werden nicht ohne Weiteres vom deutschen Strafrecht geschützt, da die deutsche Staatsgewalt nicht dazu berufen ist, Interessen fremder Staaten unter ihren Strafrechtsschutz zu stellen.[10] Staatliche Rechtsgüter ausländischer Staaten scheiden deshalb bereits auf dieser Ebene aus dem Schutzbereich des deutschen Strafrechts aus. Dies beruht zum einen auf dem völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz und zum anderen darauf, dass die betreffenden Tatbestände eng in die innerstaatliche Rechts- und Verfassungsordnung eingebunden sind.[11] Aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung des Gesetzgebers kann der Schutzbereich auch auf ausländische staatliche Interessen oder internationale Institutionen ausgedehnt werden, wie dies beispielsweise bei völkerrechtlichen Abkommen, transnationalen oder unionsrechtlichen Rechtsgütern der Fall ist.[12] Zumeist ergibt schon der Wortlaut der betreffenden Tatbestände, dass diese ausschließlich inländische staatliche Interessen schützen.[13] In den übrigen Fällen ist mittels der anerkannten Auslegungsmethoden zu ermitteln, ob der Schutz sich auch auf ausländische Rechtsgüter erstreckt.[14]
Anmerkungen
Hecker EuStR, 2.1.2 Rn. 4; Ambos § 1 Rn. 32; Satzger EuStR/IntStR, § 3 Rn. 12; MK-StGB/Ambos Vorbem. §§ 3-7 Rn. 73; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Zöller Vor § 3 Rn. 5.
Ambos § 1 Rn. 32; MK-StGB/Ambos Vor §§ 3-7 Rn. 81; Hecker EuStR, 2.1.2 Rn. 4; Satzger IntStR/EuStR, § 3 Rn. 12; Fischer Vor §§ 3-7 Rn. 4; vgl. zum Rechtsgüterschutz im Rahmen des § 170 StGB auch Oehler JR 1975, 292, 293 ff.; OLG Düsseldorf NJW 1982, 1242; OLG Karlsruhe NJW 1978, 1754; OLG Frankfurt NJW 1978, 2460; OLG Stuttgart NJW 1977, 1601.
LK-Werle/Jeßberger Vor § 3 Rn. 272; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Zöller Vor § 3 Rn. 5; Nowakowski JR 1971, 634; Hecker EuStR, 2.1.2 Rn. 4; Satzger IntStR/EuStR, § 3 Rn. 13; MK-StGB/Ambos Vor §§ 3-7 Rn. 83; Ambos IntStR § 1 Rn. 34.
Satzger IntStR/EuStR, § 3 Rn. 13 f.; SK-Hoyer Vor § 3 Rn. 31; LK-Werle/Jeßberger Vor § 3 Rn. 273; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Zöller Vor § 3 Rn. 5; zustimmend auch Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, 747; offengelassen von MK-StGB/Ambos Vor §§ 3-7 Rn. 82.
So die h.M. vgl. BGHSt 21, 277, 279 = BGH NJW 1967, 2069; BGHSt 29, 85, 88; S/S-Eser Vorbem. §§ 3-9 Rn. 31; differenzierend NK-Böse Vor § 3 Rn. 55; Fischer Vor §§ 3-7 Rn. 4; Walter JuS 2006, 870, 870; ders. wistra 2001, 321, 322 m.w.N.; so auch OLG Saarbrücken JR 1975, 291 ff.; OLG Stuttgart NJW 1977, 1601, 1602; OLG Karlsruhe