Soldatengesetz. Stefan Sohm
und grundrechtsbegrenzenden Wirkung, aber auch zur Gewährleistung wirksamer Streitkräfte auszulegen[19] – eine generell restriktive Auslegung der Pflichtenbindung ist ausgeschlossen.[20]
Gem. Art. 19 Abs. 2 GG darf in keinem Fall ein – durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes – eingeschränktes Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Diese Wesensgehaltsgarantie gilt auch für das soldatische Dienstrecht.
Absolute Grenze für jegliche Eingriffe in Rechte der Soldaten ist die Menschenwürde, die unangetastet bleiben muss (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG), deren Achtung und Schutz Verpflichtung auch innerhalb der Streitkräfte ist (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) und an der die Gehorsamspflicht endet (§ 11 Abs. 1 Satz 3).
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Auch unterhalb dieser Grenze müssen Beschränkungen von Rechten auf gesetzl. oder untergesetzl. Ebene – also aufgrund eines Gesetzes – sich ungeachtet der verfassungsrechtl. Bedeutung der Verteidigungsbereitschaft stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen.[21] „Erfordernisse des militärischen Dienstes“ i.S.v. § 6 Satz 2 oder die von der Rspr. entwickelte Formel von der „Funktionsfähigkeit der Bundeswehr“[22] können als Interpretationshilfe bei der Prüfung des Grds. der Verhältnismäßigkeit herangezogen werden.[23]
b) Art. 17a GG
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Über allg., für jedermann geltende Gesetzesvorbehalte der Verfassung hinaus können nach Art. 17a Abs. 1 GG „Gesetze über [den] Wehrdienst“[24] für die Zeit des Wehrdienstes – also für Soldaten –
– | das Grundrecht, die Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG), |
– | das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und |
– | das Petitionsrecht (Art. 17 GG), soweit es das Recht betrifft, Bitten oder Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, |
einschränken. So ist bspw. das im Distanzverhältnis unbeschränkte Versammlungsrecht des Art. 8 Abs. 1 GG mittels Art. 17a GG durch § 15 Abs. 1 und 2 SG im Näheverhältnis verkürzt.
Gem. Art. 17a Abs. 2 GG schließlich können „Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen“ gegenüber jedermann (somit auch gegenüber Soldaten) die Grundrechte der
– | Freizügigkeit (Art. 11 GG) und der |
– | Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) |
einschränken.
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Die Einschränkungsvorbehalte des Art. 17a GG treten kumulativ und enumerativ[25] neben die allg. Vorbehalte, die für bestimmte Grundrechte ohnehin gelten.[26] Allerdings hat die Norm auf verfassungsrechtl. Ebene eine dem § 6 vergleichbare Funktion. Sie soll verdeutlichen, dass auch Soldaten grds. vollen Grundrechtsschutz genießen.[27] Andererseits kann Art. 17a Abs. 1 GG entnommen werden, dass Soldaten bezogen auf den Wehrdienst intensivere Beschränkungen ihrer Meinungsfreiheit zu dulden haben.[28]
Aus Art. 17a GG ergibt sich kein Zitiergebot im Hinblick auf Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Denn auch wenn Art. 17a GG nach Auffassung des BVerwG lex specialis für Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Wehrdienstverhältnis ist,[29] käme ein Zitiergebot nur in Betracht, wenn es bei dem Grundrecht auch sonst erforderlich wäre.[30] Der besondere Vorbehalt des Art 5 Abs. 2 GG hins. der Meinungsfreiheit („Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze“) ersetzt die Notwendigkeit einer Zitierung. Die sich insbes. aus § 8, § 10 Abs. 6, § 15 und § 17 Abs. 1 und 2 ergebenden Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind daher formell nicht zu beanstanden.[31]
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Expressis verbis hat der Gesetzgeber im SG nur an drei Stellen Grundrechtseinschränkungen ausdrücklich genannt:
– | Einschränkung des Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Verpflichtung zur Duldung bestimmter Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zur Gesunderhaltung (§ 17a Abs. 2 Satz 2). |
– | Dienstleistungspflichtige[32] haben sich im Rahmen der Dienstleistungsüberwachung zur Verhütung übertragbarer Krankheiten impfen zu lassen (§ 77 Abs. 4 Nr. 6 Halbs. 2). |
– | Einschränkung des Grundrechts aus Art. 13 GG durch die Befugnis der Polizei, zum Zweck der Vorführung oder Zuführung eines Dienstleistungspflichtigen dessen Wohnung zu betreten; (§ 79 Abs. 3 Satz 9). Die verfassungsrechtl. Ermächtigung für diese Regelung folgt aus Art. 17a Abs. 2 GG. |
2. Rechtspolitische und forensische Bedeutung des § 6; Staatsbürger in Uniform
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§ 6 ist primär vor dem Hintergrund der polit. Debatten um die Wiederbewaffnung Deutschlands und der wesentlich durch Graf Baudissin begründeten Konzeption der Inneren Führung zu begreifen. § 6 drückt mit dem Gedanken des Soldaten der Bw als „Staatsbürger in Uniform“[33], der dem Grds. nach Träger aller (Grund-)Rechte des GG ist, eine staatspolit. Wertentscheidung für das seinerzeit neue soldatische Leitbild aus.[34] Nach heutigem Verständnis fordert dieses Leitbild vom Soldaten, „eine freie Persönlichkeit zu sein, als verantwortungsbewusster Staatsbürger zu handeln, sich für den Auftrag einsatzbereit zu halten“.[35]
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In zahlreichen Schriften zur Inneren Führung aus den Aufbaujahren der Bw ist § 6 als gesetzl. Verankerung der Konzeption der Inneren Führung zit. worden. Diese Konzeption ist zunehmend verrechtlicht worden.[36] So stellt auch die ZDv A-2600/1, Nr. 306, fest: „Die Bundeswehr ist insbesondere durch das Völkerrecht, das Grundgesetz und weitere Gesetze, vor allem durch die Wehrgesetze, in einen umfassenden rechtlichen Rahmen eingebunden. Als Grundlage der Inneren Führung legt er die Stellung der Bundeswehr im Staat sowie die Stellung der Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr fest …“.
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Die Bedeutung des § 6 ist rechtspolit. Natur. Die Norm stellt insoweit eine rechtshistorische und wehrpolit. Quelle dar. So scheint dies auch die Judikative