Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
gewerblicher Vermieter einen Wohnungsmieter an der Wohnungstüre eine Modernisierungsvereinbarung mit Mieterhöhung unterschreiben lässt[35].
Standardisierte Mieterhöhungsverlangen gewerblicher Großvermieter, die eine auf die Versendung ausgerichtete Software verwenden, bei der sich lediglich der Name des Mieters, die Wohnungsbezeichnung, die Fläche der Wohnung und die Angaben zur Miete einfügen ließen, nutzen damit systematisch Techniken der Fernkommunikation. Es liegt also ein Fernabsatzvertrag i.S.d. §§ 312 Abs. 4, 312c auch dann vor, wenn diese Daten in ein nach dem äußeren Anschein individualisiertes Anschreiben einfließen, das mit Briefpost versandt wird. Allerdings soll der Widerruf einer gem. § 558b Abs. 1 erklärten Zustimmung des Mieters zu einem – im Rahmen der sog. Vergleichsmiete berechtigten – Mieterhöhungsverlangen des Vermieters nach §§ 558 Abs. 1, 558a Abs. 1 vom Anwendungsbereich des § 312 Abs. 4 S. 1 nicht erfasst sein. Die dafür vorgeschriebene Textform und die Kenntnis des Mieters von den Umständen erfordern nicht den Schutz vor Überraschung[36].
§ 2 Vertragsordnung des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts › A. Grundsätze › III. Schuldverhältnisse
III. Schuldverhältnisse
68
Für die rechtsgeschäftliche Begründung und Gestaltung von Schuldverhältnissen verlangt das BGB einen Vertrag „zwischen den Beteiligten“ (§ 311 Abs. 1). Ausnahmen hierzu bestehen nur, „soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt“. Das BGB will im Regelfall also keine Verpflichtungserklärung ohne Mitwirkung des Vertragspartners anerkennen. Dieses Vertragsprinzip ist bei gegenseitigen Verträgen wie dem Kaufvertrag einleuchtend. Es gilt jedoch auch für einseitig verpflichtende Verträge wie den Erlass (§ 397) oder die Bürgschaftserklärung (§ 765), welche ebenfalls einer Annahme des Vertragspartners bedürfen (sie kommen zustande durch Erlassvertrag, Bürgschaftsvertrag, Schenkungsvertrag).
Soweit der Vertrag („sich vertragen“) damit die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten betrifft, bedarf es für deren Feststellung jedoch objektiver, äußerer Tatbestände i.S. eines Vertrauensprinzips (Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont).
Besonders ersichtlich wird das bei den wenigen einseitigen Rechtsgeschäften, welche durch strenge Form verkörpert sein müssen: das Stiftungsgeschäft (§ 81), das Inhaberpapier (§ 794), die Auslobung (§ 657) und die letztwillige Verfügung (Testament, §§ 2229 ff.).
Verträge, als deren Beispiel hier der Kaufvertrag steht, und alle anderen mehrseitigen Rechtsgeschäfte können zumeist auf bestimmte Formen der verpflichtenden Erklärung verzichten. Die Äußerung des Geschäftswillens ist für den Inhalt des Vertrags maßgeblich.[37] Ausnahmen bestehen für einige besondere Geschäftsvorfälle, z.B. bei Grundstücken, §§ 311b, 128, und die Bürgschaftserklärung, § 766 (mit Rückausnahme als Handelsgeschäft, § 350 HGB).
69
Die Vertragsordnung drückt sich in Schuldgeschäften aus, also in Verpflichtungsgeschäften, welche gegenseitige Verpflichtungen i.S.v. §§ 320 ff. schaffen (Forderungen), aber selbst noch keine Veränderung der Herrschaftslage etwa zu Besitzrechten, Eigentumsrechten, Forderungsinhaberschaft etc. bewirken. Die Verträge schaffen eine Ordnung „nur“ von freiwillig übernommenen Pflichten, welche final auf die Erfüllung und Befriedigung bestimmter Bedürfnisse der Beteiligten gerichtet sind. Ihr Zweck wird erst mit der nachfolgenden vertragsgemäßen Erfüllung (vgl. §§ 362 ff.) erreicht (durch Verfügungsgeschäfte). Das kann im sachenrechtlichen Übereignungsakt (z.B. § 929; bei Rechten im Übertragungsakt, z.B. Abtretung, § 398) sein, je nach Pflichtinhalt auch schlicht im geschuldeten Verhalten (einem Tun oder Unterlassen) einerseits, und der Erbringung der versprochenen Gegenleistung andererseits. Die „Vertragsordnung“ gliedert sich sodann nach dem Schuldinhalt, also danach, was und wie zu erfüllen ist (Kauf als Austauschschuldverhältnis; Miete als Überlassungsschuldverhältnis etc.). Zustande kommen diese vertraglichen Schuldverhältnisse dabei immer durch Vertragsschluss.
§ 2 Vertragsordnung des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts › A. Grundsätze › IV. Prüfungsschema zu Ansprüchen aus vertraglichen Schuldverhältnissen
IV. Prüfungsschema zu Ansprüchen aus vertraglichen Schuldverhältnissen
70
I. | Feststellung des Schuldverhältnisses 1. Wirksames Zustandekommen durch Vertragsschluss (z.B. Kauf) 2. Keine rechtshindernden Einwendungen 3. Beispiele: – Formnichtigkeit, § 125 – Gesetzesverstoß, Sittenwidrigkeit, §§ 134, 138 – § 306 Abs. 1 (AGB-Inhaltskontrolle, §§ 307–309) |
II. | Forderungsrecht kraft des Schuldverhältnisses im Sinne einer Klagebefugnis (den Anspruch tragende Form) 1. Erfüllungsklage (z.B. § 433 Abs. 1 auf Übergabe und Übereignung) 2. Sekundäre Klagen (z.B. Gewährleistung, § 437) |
III. | Anspruch nicht untergegangen 1. Rechtsvernichtende Einwendungen 2. Beispiele: – Erfüllung, §§ 362 ff. – Aufrechnung, § 389 – Rücktritt, § 346 (oder Widerruf bei Verbrauchervertrag, § 355) – Unmöglichkeit, § 275 – Anfechtung, § 142 Abs. 1 (mit §§ 119, 121 oder §§ 123, 124) – Aktiver/passiver Inhaberwechsel (z.B. §§ 398; 566; 613a) – § 313; 242 |
IV. | Anspruch durchsetzbar 1. Rechtshemmende Einreden (nur wenn erhoben!) 2. Verjährung, §§ 195 ff., 214 Abs. 1 3. Einrede des nichterfüllten Vertrages, § 320 4. Zurückbehaltungsrecht, § 273 |
§ 2 Vertragsordnung des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts › A. Grundsätze › V. Kleine juristische Arbeitstechnik
V. Kleine juristische Arbeitstechnik
71
Alles Recht ist (nur) eine Sollens-Ordnung und zumeist auf die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten (mit Ausnahmen z.T. im Sachenrecht) und mit nur ganz wenigen Ausnahmen auf seine Leistungsbereitschaft angewiesen, die ggf. nur mit gerichtlicher Hilfe ersetzt werden kann. Eine Ordnung ist es für die Rechtsgemeinschaft, weil Rechte und Pflichten als Konditionalsätze statuiert sind (nach dem Motto: „Wenn …, dann …“) und sich deshalb als Rechtsfolge aus einem festgelegten Tatbestand ergeben.
Für den Bereich der hier darzustellenden Vertrags- oder Ausgleichsordnung bedeutet das, dass alle in einem Rechtsverhältnis begründeten Pflichten, seien sie primärer oder sekundärer Natur, auf ein konkretes Begehren gerichtet sind, das als Rechtsfolge zu benennen ist. Dieses rechtliche Ziel, die Rechtsfolge, kann also erreicht werden, wenn ihre Voraussetzungen gegeben sind,