Hinweisgebersysteme. Martin Walter
eines Hinweisgebersystems für die Unternehmenskultur und die Effektivität des Compliance-Programms ist. Möglicherweise hat auch der ein oder andere Entscheider noch eine Leiche im Keller, die er lieber begraben lassen möchte. Positive Änderungen des Verhaltens oder der Kultur können in einem Unternehmen aber nur durch Offenheit und Transparenz herbeigeführt werden.[4] Das gilt für technische Fehler genauso wie für Korruption oder Kartellabsprachen oder die Sicherheit am Arbeitsplatz inklusive dem Schutz vor sexuellen Übergriffen oder unangebrachtem Verhalten. Wer ein Unternehmen betreibt oder leitet, hat sowohl die gesellschaftliche als auch die rechtliche Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass sich die Mitarbeiter in dem Unternehmen sicher und wohl fühlen und die Gesellschaft und Kunden nicht durch Fehlverhalten aus dem Unternehmen heraus geschädigt werden.
Anmerkungen
Vgl. hierzu statt vieler Hauschka/Moosmayer/Lösler/Buchert Corporate Compliance, § 42 Rn. 62 ff.
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABlEU Nr. L 305/17 v. 26.11.2019.
Zu den Einzelheiten vgl. etwa Dilling CCZ 2019, 214; Erlebach CB 2020, 284; Ruhmannseder/Lehner/Beukelmann/Götz Compliance aktuell, Fach 2102.
Vgl. dazu auch Ruhmannseder/Lehner/Beukelmann/Götz Compliance aktuell, Fach 2102 Rn. 5.
1. Kapitel Einführung › I. Der Begriff „Whistleblowing“ als Ausgangspunkt
I. Der Begriff „Whistleblowing“ als Ausgangspunkt
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Hinweisgebersysteme beinhalten Verfahren und Prozesse zum „Whistleblowing“. Für diesen Begriff gibt es bisher keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition. Die im anglo-amerikanischen Raum gebräuchlichste Definition liefern Miceli/Near Journal of Business Ethics 1995, Vol. 4, No. 1, S. 1: „The disclosure by organization members (former or current) of illegal, immoral or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action“. Übertragen ins Deutsche kann der Begriff „Whistleblowing“ daher – verkürzt – als „Aufdeckung von Missständen“ umschrieben werden.
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Für den „Whistleblower“ selbst wird (ins Deutsche übersetzt) häufig auch der wertneutrale und daher sachgerechte Begriff „Hinweisgeber“ verwendet.[1] Bei der Organisation, welcher der Hinweisgeber angehört und welcher das (angeblich) unlautere Verhalten entspringt, handelt es sich in den meisten Fällen um ein Wirtschaftsunternehmen. Hinweisempfänger können aber auch andere Institutionen – insbesondere Behörden – sein. Ist der Hinweisempfänger Teil der Organisation, der das angeprangerte Fehlverhalten entspringt (oder wurde er von dieser beauftragt, entsprechende Hinweise entgegenzunehmen), spricht man vom „internen“ Whistleblowing.[2] Die Unterrichtung von Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden, Medien oder anderen öffentlichen Stellen wird als „externes“ Whistleblowing bezeichnet.[3]
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Ein sog. „Hinweisgebersystem“ in Unternehmen ermöglicht es Beschäftigten bzw. je nach Ausgestaltung Dritten (z.B. Kunden), über ein bestimmtes Verfahren (anonym) Informationen über Verhaltensweisen von Beschäftigten des Unternehmens abzugeben, die nicht im Einklang mit dem Gesetz oder unternehmensinternen Verhaltensregeln stehen.[4] Ziel eines unternehmensinternen Hinweisgebersystems ist es, durch Meldungen frühzeitig Probleme, Kontrollmängel und Missstände aufzudecken und ihnen entsprechend entgegenzuwirken.[5]
Anmerkungen
So ist etwa auch in der EU-Hinweisgeberrichtline durchgängig vom „Hinweisgeber“ die Rede.
Gem. Art. 5 Ziff. 4 EU-Hinweisgeberrichtlinie ist eine „interne Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Sektors.
Gem. Art. 5 Ziff. 5 EU-Hinweisgeberrichtlinie ist eine „externe Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden.
Mahnhold NZA 2008, 737; vgl. auch Eufinger NZA 2017, 619, Johnson CCZ 2019, 66.
Vgl. hierzu auch IDW PS 980 A 17 „Compliance Programm“.
1. Kapitel Einführung › II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation
II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation
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Die eingangs erwähnten positiven Auswirkungen eines Hinweises dienen – jedenfalls mittel- und langfristig – auch den Interessen und Zielen der betroffenen Organisation. Insoweit werden vor allem die positiven wirtschaftlichen Effekte von Hinweisen betont: Hinweisgeber sollen dazu beitragen, durch Rechtsverstöße entstehende Schäden zu vermeiden und Bedrohungen oder Schäden des öffentlichen Interesses, die andernfalls unentdeckt blieben, aufzudecken.[1] Gleichwohl sind Hinweisgeber in der Praxis häufig negativen Reaktionen aus den Reihen der betroffenen Organisation und deren Angehörigen (Kollegen) ausgesetzt. Nicht selten ergreift die Organisation gegenüber dem Hinweisgeber zivil- oder arbeitsrechtliche Schritte (z.B. Herabstufung oder Versagung einer Beförderung, Versetzung oder Kündigung). Aus dem Kreis der Kollegen drohen Stigmatisierung, sozialer Ausschluss bis hin zum Mobbing.[2] Zwar bildet ein Hinweisgebersystem aufgrund der Erhöhung des subjektiven Entdeckungsrisikos sowie der Verstärkung der Sozialisationseffekte der Mitarbeiter eine wesentliche Grundlage für eine effektive Kriminalprävention in Organisationen.[3] Erweist sich der Hinweis als stichhaltig und bezieht er sich auf illegale Verhaltensweisen, wird die Hinweiserteilung intern gerade von den Führungskräften und den übrigen Arbeitskollegen oftmals als illoyal empfunden.[4] Dies gilt vor allem in Organisationen, in denen ein ausgeprägtes Gruppengefühl vorhanden ist und sich daher viele in erheblichem Maße mit der Organisation und ihren Zielen identifizieren.[5] Ein vertrauensvolles Zusammenwirken, ausgerichtet auf eine offene Kommunikation sowie Kooperation mit Vorgesetzten und Kollegen, ist aber zentrale Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit und den Erfolg jeder Organisation. Die Implementierung eines funktionstüchtigen Hinweisgebersystems (als Bestandteil eines effektiven Compliance-Management-Systems) hängt daher maßgeblich davon ab, inwieweit es gelingt, die möglichen negativen Folgen, die zum einen der betroffenen Organisation,