Gesundheitsförderung für Lehrpersonen und Schulleitungen. Departement Bildung, Kultur und Sport Aargau
Bildung, Kultur und Sport sowie Gesundheit und Soziales Aargau.
Meiner Erfahrung nach gleicht dieses Handbuch einer Schatztruhe, die darauf wartet, dass ihre Kostbarkeiten geborgen und genutzt werden. Ich wünsche ihm daher, dass es von möglichst vielen Akteurinnen und Akteuren im schulischen Umfeld entdeckt und gelesen wird, damit der menschenfreundliche, salutogene Fokus in der Gesundheitsförderung auch und gerade in den Schulen mehr und mehr zu glitzern beginnt.
Aarau, November 2014 Victor Brun, stv. Abteilungsleiter Volksschule Aargau
»Wertschätzung ist der einzige Weg, die guten Eigenschaften anderer zum Vorschein zu bringen«
Sri Chonmoy, Schriftsteller
Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zu diesem Handbuch und ihr Engagement bei der Konzepterarbeitung des SalutoParcours sowie den weiteren Mitgliedern des Expertennetzwerks des Projektes für ihr konstruktives Mitdenken.
Ein besonderer Dank gilt Vilma Müller, Programmleiterin Psychische Gesundheit und Koordinatorin SalutoParcours, für die Projektleitung des Handbuchs.
Im Namen des Departements Bildung, Kultur und Sport:
Victor Brun, Volksschule
und des Departements Gesundheit und Soziales:
Dr. med. Maria Inés Carvajal, Kantonsärztlicher Dienst, Gesundheitsförderung, und Evelyne Weber, Programmleiterin »gsund und zwäg i de schuel« (»Gesund und fit in der Schule«).
Nadja Badr, Siegfried Seeger
■ Kapitel 1 Eine gesundheitsfördernde Schule machen !
Schule ist ein hochanspruchsvolles Berufs-, Arbeits- und Lebensfeld. Wer im Lehrberuf gesund bleiben möchte, ist täglich gefordert, sich unter ständig verändernden Anforderungen immer wieder neu zu verorten und zwischen Engagement und Rückzug, Nähe und Distanz oder Zusagen und Neinsagen zu balancieren. Diese Balance kostet Kraft und erfordert gute Navigationshilfen, die Bestandteil beruflicher Professionalität und Merkmal gesunder Schulen sind.[1] »Gesunde Schulen« bieten gute Arbeitsbedingungen für Lehrpersonen und Schulleiterinnen und -leiter und ermöglichen ihnen, ihren beruflichen Alltag engagiert und doch entspannt zu gestalten und den Schülerinnen und Schülern optimale Rahmenbedingungen für ein anregendes Lernen zu schaffen (Schaarschmidt & Kieschke, 2007; Sieland, 2008).
Wir stellen fest, dass das Thema Lehrergesundheit allmählich aus der jahrelangen Tabuzone befreit wird: Forschung, Beratung und Schulpraxis kümmern sich zunehmend um gesunde Arbeitsverhältnisse, auch für Lehrpersonen und Schulleitungen. Damit ist ein Paradigmenwechsel von pathogenen zu salutogenen Zugängen verbunden: Nicht mehr nur krankheitsauslösende (pathogene) Stressoren, Belastungen und Risikofaktoren stehen im Zentrum, sondern vielmehr gesundheitsfördernde (salutogene) und entsprechend stärken- und ressourcenorientierte Faktoren. Diese Auffassung schließt an Erkenntnisse des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1997) an, der postulierte, dass Gesundheit und Krankheit als dynamisches Kontinuum aufzufassen sind und sich im Wechselspiel zwischen Stressoren, Spannungszuständen und Widerstandsressourcen generieren. Dabei nimmt der sogenannte Sense of Coherence (SOC; Sinn und Gefühl für Kohärenz) eine zentrale Funktion ein, der als sensibler Regler die Passungen zwischen erlernten Widerstandsressourcen und aktuellen Herausforderungen steuert und sich selbst aus dem Vertrauen speist, dass erstens Lebensereignisse verstehbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit), zweitens genügend Ressourcen vorhanden sind, mit denen sich Lebensaufgaben und -probleme bewältigen lassen (Handhabbarkeit), und drittens das Leben und das eigene Tun als sinnhaft erlebt werden, für die es sich lohnt, sich zu engagieren. Dieses Kohärenzgefühl entwickelt sich im Laufe des Lebens.
Abb. 1: Modell der Salutogenese mit Kohärenzgefühl (SOC) als Regler nach Antonovsky (1997)
Durch zunehmende Lebenserfahrung bilden sich zudem individuelle und soziale Widerstandsressourcen, die eine kohärente Spannungsbewältigung ermöglichen. Ressourcen »können Fähigkeiten, Fertigkeiten, Begabungen, Talente, Kenntnisse, Geschicklichkeit, Tugenden, Erfahrungen, Gewohnheiten, Regeln, Erfolge, Interessen, Bedürfnisse, Motive, Überzeugungen, Glaubenssätze, Einstellungen, Werthaltungen, Ideale, Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen, Visionen, Intentionen, Kontakte, Beziehungen, Bindungen, Loyalitäten, Allianzen, Einflüsse usw.« enthalten (Bamberger, 2005, S. 35).
Es wäre grundlegend falsch anzunehmen, dass eine Stärkung der Ressourcen und kohärente Spannungsbewältigungen ausschließlich eine individuelle Angelegenheit seien. Namhafte Stressforscher wie Kaluza (2011, S. 15 f.) empfehlen zwar als Schutzfaktoren, dass Personen gut für sich selbst sorgen, soziale Unterstützung annehmen, optimistische Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufbauen und ihr Sinnhaftigkeitsgefühl stärken sollen. Das reicht aber nicht, denn auch ein noch so ausgeprägtes Bemühen um ein gesundes Leben kann angesichts krankmachender Systeme kaum erfolgreich sein. Dies gilt auch für den Kontext Schule. Wer Schule und Gesundheit salutogen betrachtet, versucht Verhaltensweisen von Personen und Verhältnisse von Institutionen zu verstehen und gesundheitserhaltende und -fördernde Widerstandsressourcen und Entwicklungsbedingungen zu stärken und zu vermehren. Eine solchermaßen verstandene Gesundheitsförderung fokussiert nicht länger nur auf das Individuum, sondern gleichermaßen auf institutionelle und gesellschaftliche Bedingungen und »zielt auf den Aufbau von Gesundheitspotenzialen und die Stärkung von Schutzfaktoren. Sie umfasst die Verbesserung gesundheitsrelevanter Lebensweisen und Lebensbedingungen und richtet sich auf individuelle, ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Faktoren sowie politische Interventionen« (Hurrelmann & Richter, 2013, S. 154). In Anlehnung an diese medizinisch-psychologisch-soziologische Sichtweise schlagen wir vor, den Fragehorizont zur Förderung der Gesundheit von Lehrpersonen und Schulleitungen auf alle Dimensionen von Schulentwicklung auszuweiten. Dies bedeutet, dass wir nicht nur Personen und ihre individuellen Bewältigungsstrategien in den Blick nehmen, um eine salutogene Professionalität in gesundheitsfördernden Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Vielmehr soll neu auch der hauptsächliche Aktionsplatz von Lehrpersonen, der Unterricht, unter salutogenen Perspektiven betrachtet werden. Damit Lernen und Unterrichten in gesundheitsfördernden Rahmenbedingungen stattfinden können, bedürfen sie der sozialen, institutionellen und gesellschaftlichen Unterstützung, die schulintern mit Kooperation im Kollegium/Team und organisatorischen Maßnahmen, wie Leitbildern, Schulprogrammen und kohärenter Führung erreicht werden. Aus diesem Grund betrachten wir die Schulentwicklung (in Anlehnung an Rolff, 2013 sowie an Brägger & Posse, 2007) als den eigentlichen Resonanzraum schulischer Gesundheitsförderung bzw. umgekehrt Gesundheitsförderung als einen chancenreichen »Motor« für eine gute und gesunde Schulentwicklung und differenzieren vier unterschiedliche Handlungsfelder mit den entsprechenden Akteurinnen und Akteuren:
Gesunde Schulen fordern und fördern Entwicklungsprozesse
…der Lehrpersonen bzw. der Schulleiterinnen und -leiter, damit Gesundheitskompetenzen zum Kern ihrer professionellen Selbst- und Sozialkompetenz werden kann,
…des Unterrichts, damit auch das Kerngeschäft der Schule zur salutogenen Ressource wird,
…der Organisation, damit für alle Akteure Schule ein gesundheitsförderlicher Arbeitsplatz und Lebensraum wird
…der Schulleitung, damit salutogene Führung zwischen Management und Leadership zum gesundheitsfördernden Kraftfeld jeder Schule wird.
Diese von Lehrpersonen und Schulleitungen aktiv zu gestaltenden Entwicklungsfelder sind miteinander verwoben und bedürfen einer integralen Perspektive. Damit dies gesundheitsförderlich, qualitätsbewusst und handhabbar gelingt, schlagen wir vor, diese Erkenntnisse und Ansprüche aufeinander zu beziehen:
1.Alle Dimensionen des SOC sichern als Bedingungen seelischer Gesundheit salutogene Ressourcen und Qualitäten: Verstehen – Handhaben – Sinn