Tödliche Gier in Bansin. Elke Pupke

Tödliche Gier in Bansin - Elke Pupke


Скачать книгу
Gespräch mit ihrer jüngeren Schwester, von der sie glühend beneidet wird, immer noch lächelnd, lässt sie die Beine im Wasser baumeln, dann gleitet sie langsam hinein. Es ist noch kühl, angenehm erfrischend.

      Die Frau dreht sich auf den Rücken und will sich gerade mit den Füßen vom Steg abstoßen, als ihr Kopf plötzlich unter Wasser gedrückt wird. Der Angriff kommt völlig überraschend und der Kampf ist kurz. Zehn Minuten später treibt der leblose Körper im Wasser.

      Roswitha Behrend ist genervt. Sie hätte den Krimi wirklich gern gesehen, aber nun hat sie mittendrin zehn Minuten verpasst und findet den Anschluss nicht mehr. Nur, weil ihre Schwiegermutter mal wieder etwas gesehen hat. Sie sieht dauernd etwas. Einbrecher, Spione, Terroristen. Alles, was gerade im Fernsehen gezeigt wurde, spielt sich für sie hier im Dorf ab. Heute war es eine Frau mit einer roten Mütze, die eine andere Frau im Peenestrom ertränkt hat.

      »Da, am Steg«, zeigt sie aufgeregt nach draußen. »Sie hat ihren Kopf unter Wasser gedrückt. Die Enten haben ganz laut geschnattert.«

      »Ja, ich rufe dann gleich die Polizei an.« Roswitha verdreht die Augen und ist froh, als ihr Mann endlich aufsteht und sich um seine Mutter kümmert. Sie setzt sich wieder vor den Fernseher, ohne auch nur einen Blick nach draußen, auf den Peenestrom, zu werfen.

       Donnerstag, 04. Juni

      Berta Kelling schnauft erleichtert, als sie die Pendeltür zur Küche der Pension aufstößt und ihre Einkäufe auf dem Boden abstellt.

      »Ich glaub, ich werde langsam alt«, erklärt sie ihrer Nichte Sophie, die dabei ist, die Reste des Frühstücksangebotes im Kühlschrank zu verstauen. Der erhoffte Widerspruch bleibt aus. Sophie nickt nur und wirft einen kurzen Blick auf den prall gefüllten Stoffbeutel und den Einkaufskorb. Den Hinweis, dass die Schlepperei eigentlich unnötig ist, weil sie ihre Tante gern zum Einkaufen gefahren hätte, erspart sie sich.

      Zum einen hatten sie diese Diskussion schon oft genug, zum anderen weiß sie, dass es der alten Frau weniger um die Lebensmittelbeschaffung als um die Begegnungen im Ort geht.

      Es ist völlig normal, dass Berta erst nach zwei oder drei Stunden von dem nicht mal einen Kilometer entfernten Discounter zurückkehrt. Dann bringt sie zwar nicht das mit, was sie eigentlich einkaufen wollte, dafür aber jede Menge Neuigkeiten.

      Sophie hebt den Korb auf den Küchentresen und packt aus. Mit dem frischen Gemüse ist sie zufrieden, über einen Becher Joghurt schüttelt sie den Kopf. »Ich hab den ganzen Kühlschrank voll davon!«

      »Ja, ich weiß, aber das Zeug ist mir alles zu süß und zu künstlich. Ich hab mir Naturjoghurt gekauft, da tu ich das Feinfrostobst rein. Schmeckt und ist gesund. Leg mal die Himbeeren in den Tiefkühler. Ich brauche jetzt einen Kaffee.«

      Der große runde Stammtisch, an dem sie sich mit ihrer Tasse niederlässt, war mal der Esstisch im vornehmen Haushalt von Bertas Großmutter und ist so alt, wie das Haus selbst. Das wurde vor mehr als hundert Jahren, während der Gründerzeit des Seebades, schon als Pension erbaut, hat zwei Kriege überstanden und war nach fast vierzig Jahren Nutzung als FDGB-Ferienheim beinahe abbruchreif.

      Berta hat es 1989 zurückbekommen und hatte bereits schweren Herzens beschlossen, den alten Familienbesitz zu verkaufen. Bis heute ist sie jeden Tag dankbar und glücklich darüber, dass Sophie das Haus übernommen hat.

      Die hat es sich damals gründlich überlegt, denn die alte Villa war wirklich in einem üblen Zustand. Zur DDR-Zeit wurde immer nur das Nötigste repariert, es wurde einfach heruntergewohnt. Auch der Denkmalschutz machte die Restaurierung und vor allem Modernisierung nicht gerade billiger.

      Aber es hat sich gelohnt. Die Pension ist jetzt eines der schönsten Beispiele für wilhelminische Bäderarchitektur und steht direkt an der Bansiner Strandpromenade mit Blick auf den Strand und die Ostsee. Inzwischen ist sie sogar ganzjährig gut ausgelastet. Sophie wollte in diesem Jahr zwei Mitarbeiter mehr einstellen, um endlich einmal selbst weniger zu arbeiten. Die Pandemie und die damit verbundene Schließung des Hauses hat sie erst einmal ausgebremst.

      Der Tisch, an dem Sophie und Berta jetzt ihren Kaffee trinken, steht in einer Nische zwischen der Rückwand der Rezeption und der Küche und ist vom Eingang nicht einsehbar, was mitunter von Vorteil ist, weil die eintretenden Touristen nicht gleich mit den Stammgästen konfrontiert werden. Denen hat Sophie zwar inzwischen das Qualmen verboten und auch die lautstarken Streitgespräche einigermaßen abgewöhnt, aber sie kann nicht immer verhindern, dass die Fischer, manchmal auch die Bauarbeiter, in ihrer Arbeitskleidung am Stammtisch sitzen und ab und an auch respektlose Bemerkungen über die anderen Gäste austauschen.

      »Und? Was gibt es Neues in Bansin?«, fragt die Wirtin mehr aus Höflichkeit als aus Interesse. Ihre Tante ist ungewöhnlich ruhig, wirkt nachdenklich. Sicher sinniert sie wieder über Dinge, die sie gar nichts angehen. Wenn ihr das mal jemand sagen würde, wäre sie vermutlich völlig überrascht und würde es gar nicht verstehen. Sie ist nämlich davon überzeugt, dass in Bansin nichts passiert, was sie nichts angeht. Tante Berta kennt beinahe jeden Einwohner und scheut nicht davor zurück, sich auch in deren private Angelegenheiten einzumischen. Dass sie sich mit ihrer Art nicht bei allen beliebt macht, ist ihr völlig egal. Darüber denkt sie nicht einmal nach. Sie tratscht nicht und sie schadet auch niemandem, im Gegenteil, sie versucht nur zu helfen. Ob es den Leuten passt oder nicht.

      »Man trifft nicht mehr viele Bansiner«, antwortet sie jetzt etwas missmutig. »Der Ort ist so voller Urlauber, dass du die Einheimischen dazwischen gar nicht mehr findest.«

      »Na, Gott sei Dank!« Sophie sieht ihre Tante empört an. »Wolltest du vielleicht, dass es so bleibt wie im Frühjahr? Das war doch gruselig.«

      »Ja, schon ein bisschen.« Berta nickt zögerlich. Ihr hat es auch nicht gefallen, dass der Ort monatelang wie ausgestorben war. Sie hat die ganzen achtzig Jahre ihres Lebens in Bansin verbracht und noch nie erlebt, dass es hier so ruhig war. Selbst bei strahlend schönem Wetter im April und Mai war kaum jemand auf der Promenade oder am Strand zu sehen gewesen. Berta hatte es als Vorteil empfunden, dass, wenn man doch einmal jemanden traf, es ein Einheimischer war, mit dem man reden konnte.

      »Man sollte die Insel vielleicht jedes Jahr für zwei Wochen dichtmachen«, überlegt sie jetzt. »Dann könnten wir uns alle erholen und untereinander austauschen.«

      »Na, das fehlte noch.« Sophie schüttelt den Kopf. »Auf solche Ideen kannst auch nur du kommen.«

      »Nein, das haben einige gesagt, mit denen ich gesprochen habe.«

      »Aber bestimmt keiner, der vom Tourismus lebt und das sind ja wohl neunzig Prozent der Bansiner. Die Beamten vielleicht, oder die Rentner, aber denen wäre es auf Dauer auch langweilig.«

      Berta antwortet nicht, sie rührt nachdenklich in ihrer Kaffeetasse.

      »Nun erzähl schon – was hast du für ein Problem? Oder wer hat ein Problem, um das du dich kümmern musst?« Sophie kennt ihre Tante genau.

      Die überhört den gutmütigen Spott. »Ich habe die kleine Jule, die Tochter von Ruben Fux, beim Klauen beobachtet«, erzählt sie. »Sie hat das ziemlich geschickt angestellt, außer mir hat wohl niemand was gemerkt.«

      »Und du hast es natürlich auch für dich behalten, denk ich.«

      »Ja! Ich wollte die Kleine natürlich darauf ansprechen, aber sie war zu schnell weg.«

      »Ist aber pädagogisch nicht sehr sinnvoll. Wenn sie merkt, dass es funktioniert, wird sie es wiederholen und irgendwann richtig in Schwierigkeiten geraten.«

      »Ja, ich weiß. Deshalb wollte ich sie ja ansprechen.«

      »Was hat sie denn eingesteckt? Süßigkeiten?«

      »Nein. Das ist ja das Seltsame. Ein Buch. So einen schnulzigen Heimatroman.«

      »Das konntest du erkennen?«

      »Ich habe gesehen, wo sie ihn weggenommen hat.« Berta schüttelt nachdenklich den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind so was liest


Скачать книгу