Tödliche Gier in Bansin. Elke Pupke

Tödliche Gier in Bansin - Elke Pupke


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sicher, aber er war schon lange arbeitslos. Da hat sich das so ergeben.«

      Anne schüttelt zweifelnd den Kopf.

      Sophie mag Andreas Keller, sie bewundert ihn sogar ein bisschen. Wie liebevoll der mit seinen vier Kindern umgeht! Außer den Zweijährigen hat er noch eine vier- und eine zwölfjährige Tochter.

      Den Haushalt hat er anscheinend auch im Griff, Simone ist zu beneiden. Aber als Altenpflegerin hat sie auch genug zu tun. Und das Geld ist immer knapp, trotz ihrer vielen Überstunden.

      Das weiß auch Berta, die jetzt verhindert, dass Andreas Keller eine Runde ausgibt. Sie weiß, dass er notgedrungen sparsam ist, aber wenn er etwas getrunken hat, wird er leichtsinnig und er verträgt nun mal nichts. Ärgerlich sieht sie Ruben Fux an, der seinen Tischnachbarn provoziert.

      »Was stänkerst du hier wieder rum?«, fährt sie ihn an. »Wenn du noch was trinken willst, bestell es dir selbst. Andreas hat genug, das siehst du doch. Und er muss früh aufstehen und sich um die Kinder kümmern.«

      »Ja, mir reicht es auch.« Paul Plötz wird es zu ungemütlich. Außerdem muss auch er früh raus.

      Arno nickt. Er blickt kurz zu Sophie, überlegt, ob er auf sie warten könnte, beschließt dann aber, in seiner eigenen Wohnung zu übernachten.

      »Ich bestell uns ein Taxi«, schlägt er seinem Kollegen vor.

      »Ich kann doch selbst - «

      »Nein, kannst du nicht«, unterbricht Berta ihren Freund energisch.

      Sophie atmet auf, als Ruben sich gleich nach den Fischern verabschiedet. Auch Andreas bezahlt und lächelt Berta schuldbewusst an. »Danke.« Er ist etwas beschämt, dass auf seiner Rechnung nur zwei Bier stehen, aber auch erleichtert. Beinahe hätte er sich wieder von Ruben Fux provozieren lassen. Die alte Wirtin zuckt mit den Schultern. »Wofür? Ist doch alles in Ordnung. Das Essen haben Paul und ich ausgegeben und weiter hast du nichts bestellt. Eine Runde Schnaps kam von Fux, der kann es sich leisten.« »Zumindest tut er so«, denkt sie.

      Nicht einmal sie weiß genau, wovon der Mann gerade lebt. Gefühlt hat er seine Finger überall drin. Offiziell betreibt er eine Tourismusagentur. Er vermittelt gegen Provision Orts- und Inselführungen, die meist Sophies Freundin Anne durchführt.

      Außerdem vermietet er Ferienwohnungen, die er von polnischen Frauen putzen lässt. Berta wüsste gern, ob er die Polinnen fest eingestellt hat, dann hatte er in den vergangenen Wochen, als keine Gäste kommen durften, mit Sicherheit hohe Verluste. Aber wahrscheinlich arbeiten die meisten schwarz oder als Subunternehmerinnen. Für krumme Geschäfte hatte Ruben schon immer ein Händchen.

      In den Neunzigerjahren hat er mit Spielautomaten viel Geld verdient. Seitdem gibt es auch das Gerücht, dass Raucher nicht nur polnische Zigaretten von ihm kaufen. Ab und zu wird er bei illegalen Geschäften erwischt, dann zahlt er eine Strafe und macht weiter.

      »Der Fuchs ist schlau, er stellt sich dumm, bei manchen ist es andersrum« lautet sein Lieblingsspruch, in dem er mit seinem Namen kokettiert. Berta ist allerdings der Meinung, dass er eher kleinkriminell als sonderlich klug ist. Und von Dummstellen kann schon gar keine Rede sein. Er prahlt nur zu gern mit seinen angeblichen Geschäftserfolgen.

      Als könne er ihre Gedanken lesen, geht auch Bruno Kerr auf Bertas Bemerkung ein. »Der war schon immer ein Blender«, erinnert er sich. »Hat sich auf sein gutes Aussehen verlassen, das hat ihm sehr geholfen. Und er ist manipulativ. Die Mädels hat er immer nur ausgenutzt.« Er lacht. »Seinetwegen haben sich auf dem Schulhof Dramen abgespielt.«

      Bruno war früher Lehrer an der Bansiner Schule und erinnert sich noch gut an diese Zeit. Das hilft Berta oft, wenn sie einen seiner ehemaligen Schüler einschätzen will. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass sich der Charakter eines Menschen im Laufe seines Lebens gar nicht so sehr verändert. Die Älteren können ihre schlechten Eigenschaften nur besser verbergen. Manchmal. Und ganz selten, wenn Berta sie erst einmal genauer beobachtet – »auf dem Kieker hat«, wie Plötz es bezeichnet.

      »Ich mag sie eigentlich beide«, gibt sie jetzt zu, »sie sind nur grundverschieden. Fux ist der Typ, der reinkommt und sagt: ›So, da bin ich‹ und Andreas ›Na, da seid ihr ja‹.«

      »Genau«, bestätigt Bruno Bertas Beobachtung. »Und das ganz ohne Worte.«

      Inzwischen ist die Gaststätte geschlossen, die Tische sind aufgeräumt und die Gläser gespült. Anne sitzt bei Berta und Bruno am Stammtisch. Sophie macht mit dem Kellner die Abrechnung, dann kommen die beiden auch dazu.

      Thomas Haas arbeitet erst seit ein paar Tagen im Kehr wieder. Der 55-Jährige stammt aus Bansin, er hat hier auch seine Ausbildung zum Kellner absolviert, war aber in den letzten 20 Jahren überall auf der Welt unterwegs und nur selten zu Hause. Anne kennt ihn aus der Schulzeit, in der achten Klasse war sie schwer verliebt in den stillen, schüchternen Jungen. Sie fühlte sich gekränkt, weil er ihr geradezu ängstlich aus dem Weg ging. Vermutlich hat es ihm Angst gemacht, dass sie mindestens einen Kopf größer war als er und auch breitere Schultern hatte. Er stand schon immer auf die kleinen, zierlichen, hilfsbedürftigen Frauen.

      Es war ein glücklicher Zufall, dass sie ihn im Januar auf der Straße erkannt und natürlich auch gleich angesprochen hat. Er hatte seine Eltern eigentlich nur über Weihnachten besuchen wollen, dann aber gemerkt, dass sie allein nur noch schwer zurechtkamen und beschlossen, zu bleiben.

      »Ich bin es ihnen schuldig, weißt du?«, hatte er Anne anvertraut. »Sie waren die besten Eltern, die man sich wünschen kann, haben alles für mich gemacht. Wer weiß, wie lange ich sie noch habe, um ein bisschen wiedergutzumachen.«

      Anne fand das etwas pathetisch, schließlich sind Eltern dazu da, alles für ihre Kinder zu tun, im Allgemeinen, ohne Schuldgefühle zu erzeugen. Aber sie nickte, sie mochte Thomas immer noch und freute sich, dass er wieder da war. »Du bist doch Kellner«, fiel ihr ein. »Hast du schon einen Job?«

      Sophie, die mit ihren jungen Kellnerinnen in den letzten Jahren nur Pech hatte, war erfreut über Annes Vermittlung. Der gut ausgebildete, ruhige, gepflegte Mann würde das Niveau ihres Restaurants erheblich steigern.

      Durch den Lockdown im Frühjahr hat sich alles verzögert, er hat seine Probezeit am 1. Juni begonnen und Sophie ist fest entschlossen, ihn danach einzustellen und beim Gehalt nicht kleinlich zu sein, bevor er noch etwas Besseres findet. Kellner werden hier überall gesucht. Wie gut, dass Anne ihn sich gleich gekrallt hat.

      »Hast du nicht auf der AIDA gearbeitet?«, fragt Berta. »Da hast du ja gerade rechtzeitig aufgehört.«

      »Ja, stimmt. Aber ich wollte sowieso absteigen. Ich hatte eine Stelle in der Schweiz, in einem guten Hotel ganz oben in den Bergen. Dicht an der italienischen Grenze.«

      »Was?« Berta ist entsetzt. »So weit weg?«

      Thomas lacht. »Na, mit dem Schiff war ich noch deutlich weiter weg.«

      »Ja, klar, aber auf dem Wasser. Das ist doch etwas ganz anderes. Wie kann sich ein Bansiner Junge in den Bergen wohlfühlen? Du hättest bestimmt furchtbares Heimweh bekommen.«

      Er zuckt vage mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, hatte ich an Bansin nicht so gute Erinnerungen. Ich konnte gar nicht weit genug weg sein. Aber meine Eltern brauchen mich eben.« Er presst die Lippen zusammen und blickt finster in sein Bierglas. Dann sieht er seine Tischnachbarn an und lächelt. »Und – na ja, wie ich sehe, gibt es in Bansin auch sehr nette Menschen«, nimmt er seinen vorherigen Worten die Schärfe.

      Berta fängt einen warnenden Blick von Bruno auf und verkneift sich die Fragen, die ihr auf der Zunge liegen. Da war doch was! Damals … Berta wird gründlich in ihren Erinnerungen kramen müssen. Paul Plötz kann ihr da sicher helfen. Der hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Sie muss ihn nur auf die richtige Spur bringen.

       Dienstag, 09. Juni

      Die deutsch-polnische Grenze ist wieder geöffnet und somit ist die Strandpromenade vom Hafen in Swinemünde bis an die


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