Tödliche Gier in Bansin. Elke Pupke
du, wenn das Geld auf mein Konto eingegangen wäre, hätte ich es für die Pflege hier ausgeben müssen. Dann wäre nichts mehr davon übrig.«
»Hast du es Papa gegeben?«
»Nein! Eben nicht! Deshalb ist er doch so sauer auf mich. Aber deine Mutter hätte es ihm sicher schon längst abgenommen und in Alkohol umgesetzt.«
Jule schluckt. So sehr sie ihre Oma liebt, sie hasst es, wenn sie so über ihre Mutter spricht.
»Ich habe das Geld gut versteckt. Aber nun muss ich damit etwas machen. Ich will, dass du es bekommst. Würde ich es dir jetzt geben, hätten natürlich deine Eltern einen Anspruch darauf, da du noch minderjährig bist. Das will ich auf keinen Fall. Daher habe ich mich dazu entschlossen, es für dich anzulegen. Du bekommst es, wenn du volljährig bist, also mit 18 Jahren.«
Sie sieht ihre Enkelin erwartungsvoll an. Die ist schockiert, sie weiß nicht, was sie sagen soll.
»Was – wie viel ist es denn?«, stottert sie schließlich.
»Sechshunderttausend Euro«, antwortet Susanne stolz. »Ich habe nichts davon ausgegeben. Es durfte ja niemand wissen, dass ich Geld habe. Und ich will, dass du es bekommst. Alles. Du hast es verdient.«
»Oma – ich – ich muss aufs Klo!«
Jule springt auf und läuft durch das dunkle Zimmer, die Treppe hinab nach draußen. Vor der Tür bleibt sie stehen und atmet tief durch.
Was soll sie denn jetzt machen? Sie will das Geld nicht! Es macht ihr Angst. Sie kann doch gar nichts damit anfangen. Und außerdem – ihr Vater braucht es dringend, das weiß sie. Gerade jetzt, er will doch ein neues Geschäft aufbauen. Auch wenn sie nicht genau weiß, was er vorhat.Dass er dringend versucht, Kapital aufzutreiben, das hat sie mitbekommen. Wenn Oma jetzt ihr das Geld gibt, wird er total sauer sein und nie wieder mit ihr sprechen. Und sie kann es ihm nicht geben, erst in vier Jahren, das ist eine Ewigkeit. Was kann sie nur tun?
Sie muss ihre Oma umstimmen. Die hält ihre Enkelin immer noch für das kleine ängstliche Mädchen, das sie nicht belügen kann. Aber Jule hat sich verändert. Sie ist es gewohnt, sich zu verstellen, allen etwas vorzumachen. Die Trunksucht ihrer Mutter zu vertuschen und die Geldsorgen der Familie. Eigentlich ist sie die Vernünftigste in der Familie, die alles regelt und zusammenhält. Und das muss sie auch jetzt. Sie weiß, was zu tun ist.
Oma weiß doch nur, was sie ihr erzählt. Wenn sie glaubt, dass zu Hause alles bestens ist, dass es ihrem Sohn und Jule gutgeht, wird sie auch glücklich sein. Das ist die Hauptsache. Dann regelt sich das mit dem Geld sicher von allein.
Als Jule zurückkommt, steht Simone bei ihrer Oma auf dem Balkon. »Ich dachte, du bist schon weg. Ich wollte deine Oma gerade hereinholen. Es ist doch ziemlich kühl inzwischen.«
»Ach, lassen Sie uns noch einen Moment hier sitzen. Mir ist gar nicht kalt. Und Julchen muss sowieso gleich nach Hause. Zehn Minuten noch?«
»Gut, dann mache ich schon mal ihr Bett fertig. Ich habe dann auch Feierabend. Also, bleiben sie nicht mehr so lange draußen. Gute Nacht, Frau Fux, bis morgen.«
Jule wartet ungeduldig, bis die Altenpflegerin den Balkon verlassen hat.
»Oma, ich wollte es dir eigentlich nicht erzählen, damit du dir keine Sorgen um Papa und mich machst. Aber jetzt muss ich es dir doch sagen. Du weißt ja gar nicht, wie es zu Hause ist, es hat sich alles verändert.
Mama trinkt gar nicht mehr. Sie ist sehr schwer krank, irgendwas mit der Leber. Papa muss sie pflegen, sie kann gar nicht mehr aufstehen. Bestimmt stirbt sie bald. Deshalb kann Papa dich auch nicht besuchen, weißt du. Er würde ja gern, aber der Arzt hat gesagt, hier kann man sich leicht mit Corona anstecken und das würde Mama nicht überleben. Er will das nicht riskieren. Aber er sagt, es ist wohl sowieso egal. Wir wollten dich nicht aufregen. Aber nun musste ich es dir doch sagen. Damit du Papa nicht dafür bestrafst, dass er nicht kommt. Er kann doch gar nichts dafür.«
Susanne versucht, im Gesicht des Mädchens zu lesen. Es sieht ehrlich aus. Traurig. Was muss dieses Kind nur alles mitmachen, in seinem jungen Alter. Sie zweifelt nicht an dem, was sie gehört hat. So etwas denkt ein Kind sich doch nicht aus.
»Das ist ja furchtbar. Und ich habe wirklich gedacht – weißt du, er hat gesagt, er will mich erst wieder sehen, wenn ich ihm das Geld gebe. Die würden es mir hier sowieso abnehmen. Als wenn ich blöd wäre.« Sie denkt nach. Sie hält ihren Sohn zwar für außerordentlich klug, kann aber doch nicht ignorieren, dass einige seiner genialen Geschäftsideen ziemlich in die Hose gegangen sind.
»Wozu braucht er denn so viel Geld? Weißt du was darüber?«
»Ja, er will eine ganz große Gaststätte bauen, mit Ferienwohnungen und so. Direkt am Strand. Da wo die Fischer sind. Die sollen alle weg.« Dieser Einfall ist Jule blitzartig gekommen. Sie weiß zwar nicht genau warum, aber ihre Oma mag die Fischer nicht. Sie isst keinen Fisch und sie ist genauso tierlieb wie Jule. Und sie mag die Robben.
»Aber dafür reicht mein Geld doch nicht. Dann muss er ja wieder einen teuren Kredit aufnehmen. Das ist schon einmal schiefgegangen.«
»Nein, Oma, er braucht gar keinen Kredit. Stell dir vor, der Vater von Mama ist gekommen. Weil sie doch so krank ist. Jetzt habe ich einen Opa. Der ist total lieb. Und er hat viel Geld. Er findet Papas Plan toll und will ihm helfen. Aber es wäre natürlich besser, wenn Papa selbst auch was hätte. Damit er nicht so abhängig ist, weißt du.«
O Gott! Einen Moment fürchtet das Mädchen, dass sie zu weit gegangen ist. Ihre Fantasie ist einfach mit ihr durchgegangen. Klingt das nicht alles zu dramatisch, zu erfunden? Fast wie in Omas Kitschromanen. Wenn ihre Oma den Mann nun kennenlernen möchte? Oder wenn sie Mama besuchen will?
Aber die alte Frau hat mit großen Augen zugehört und seufzt erleichtert. Sie glaubt, was sie gehört hat, weil sie es glauben will.
»Ja, das ist doch schön. Das heißt«, schränkt sie schnell ein, »das mit deiner Mutter ist natürlich furchtbar, es tut mir sehr leid. Aber sonst – da hat der Junge endlich wieder eine Aufgabe. Er hatte bisher einfach Pech, diesmal wird er zeigen, was er kann. Ich finde die Idee wunderbar. Natürlich helfe ich ihm auch. Wie ist er denn so, dein neuer Opa?«
Ist sie etwa eifersüchtig? »Ach ich weiß nicht. Ich hab noch nicht so viel mit ihm geredet. Er interessiert sich nicht sonderlich für mich. Er hat schon ein paar Enkelkinder.«
»Aha, na dann – ich muss darüber nachdenken, Julchen. Wäre es dir denn recht, wenn ich deinem Vater das Geld gäbe? Oder einen Teil davon?«
»Natürlich, Oma!« Jule fällt ein Stein vom Herzen. »Wir sind doch eine Familie. Papa gibt mir alles, was ich brauche.«
»Gut, meine Kleine. Ich denke noch einmal darüber nach. Aber jetzt muss ich mich hinlegen, ich bin völlig erschöpft.«
Freitag, 12. Juni
»Ich weiß gar nicht, warum der so eine schlechte Laune hat«, beschwert Berta sich bei Arno. »Ihr habt gut gefischt, das Wetter ist schön und die Leute sind nett zu euch. Aber Paul Plötz ist am Meckern.«
»Na ja, nicht alle sind nett«, schränkt der ein. Er blickt an seinem Räucherofen, den er gerade bestückt, vorbei zur anderen Seite der Langbude. Dort unterhält sich Ruben Fux mit zwei Fischern. Sein Lachen dringt bis zu ihnen herüber.
»Nimm dir ein Beispiel an dem«, provoziert Berta ihren alten Freund. »Dem geht es doch viel schlechter als dir. Soweit ich weiß, läuft seine Agentur beschissen, es kommen keine Reisegruppen, hat Anne gesagt. Er hat zwar die Ferienwohnungen gut vermietet, aber die Verluste vom Frühjahr holt er doch nicht wieder rein. Seine Mutter ist schwer krank und seine Frau – na, ihr wisst ja.« ›Und seine Tochter klaut‹, fügt sie in Gedanken hinzu.
Paul lacht etwas hämisch, während er Ruben entgegenblickt. »Ja«, sagt er laut, »der wollte immer eine Frau, die kocht wie seine Mutter, jetzt hat er eine, die säuft wie sein Vater.«
Ruben