Tödliche Gier in Bansin. Elke Pupke

Tödliche Gier in Bansin - Elke Pupke


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sieht sie, dass neue Gäste an den Stammtisch kommen. Andreas Keller hat heute seine Frau mitgebracht, was selten vorkommt.

      »Ich hab Simone überredet«, erklärt er. »Sie muss auch mal raus und mit anderen Leuten reden, als nur mit den Alten im Pflegeheim und mit den Kindern zu Hause.«

      Simone lächelt etwas schüchtern. »Ja, unsere Kleinen sind heute schnell eingeschlafen und die Große ist ja da, falls was ist. Die ist schon sehr vernünftig.« Es klingt logisch, aber auch unsicher, entschuldigend.

      »Nun mach dir mal keine Sorgen, was soll schon sein. Und wenn, kann sie anrufen.« Er legt sein Telefon auf den Tisch.

      »Ja, hast ja recht. Ich bin immer viel zu ängstlich. Sophie, bringst du mir ein Glas Wein? Einen leichten, fruchtigen Weißwein, wenn du hast.«

      Seufzend lehnt sie sich zurück. »Ich muss wirklich mal abschalten.«

      »Die alte Frau Fux ist gestorben«, erklärt Andreas. »Das nimmt sie ziemlich mit. Sie hat sie gemocht.«

      »Ach Gott, die arme Kleine«, seufzt Anne und fügt hinzu: »Ich meine Jule, ihre Enkeltochter. Die hat so sehr an ihr gehangen. Sie hat ja praktisch ihre ganze Kindheit bei ihrer Oma verbracht.«

      »Ja«, stimmt Simone zu. »Sie hat sie auch oft besucht. Ihre Eltern waren nicht einmal da, glaube ich. Hoffentlich kümmern sie sich jetzt wenigstens um das Mädchen.«

      Anne blickt zweifelnd, sagt aber nichts. Sie hat Jules Mutter heute Vormittag beim Wäscheaufhängen beobachtet. Die ist erst mal gegen einen Pfahl gelaufen und dann beinahe mit dem Kopf voran in den Korb gefallen. Ruben hat sie schon seit Tagen nicht gesehen. Wer weiß, wo der sich rumtreibt. Er wird sich wohl eher um sein Erbe kümmern, als um seine Tochter.

       Donnerstag, 18. Juni

      Anne ist völlig außer Atem, als sie in die Gaststätte stürmt. Es ist kurz nach elf, Berta und Sophie machen gerade ihre Kaffeepause.

      »Ist was passiert?« Sophie stellt erschrocken ihre Tasse ab.

      »Ruben Fux ist tot«, stößt ihre Freundin hervor, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. Sie lässt sich auf einen Stuhl fallen und springt gleich wieder auf. Als sie mit einer Tasse Kaffee zurückkommt, faltet Berta ihre Ostseezeitung zusammen und nimmt die Brille ab.

      »Ermordet?«, fragt sie sachlich.

      »Tante Berta!« Sophie ist entsetzt. »Nun erzähl schon«, fährt sie Anne an. »Hatte er einen Unfall?«

      Die zuckt unsicher mit den Schultern und trinkt erst einmal vorsichtig einen Schluck. »Keine Ahnung. Ich hab nur die Polizisten ins Vorderhaus gehen sehen und dann hab ich auf dem Hof gewartet, bis sie wieder rauskamen. Ich hab Wäsche auf die Leine gehängt, ich hoffe, es hat niemand mitgekriegt, dass die gar nicht nass war. Dann hab ich Fred Müller abgefangen und der hat mir gesagt, dass ›Ruben Fux tot aufgefunden‹ wurde und es ›keinen Hinweis auf Fremdverschulden‹ gibt.«

      Berta schnauft verächtlich und Sophie blickt sie warnend an. »Es soll auch manchmal natürliche Todesfälle in Bansin geben«, behauptet sie.

      »Mag ja sein. Aber wenn ein gesunder, kräftiger, junger Mann plötzlich ›tot aufgefunden‹ wird, klingt das für mich nicht natürlich.«

      »Jung ist ja nun relativ. Und ob er gesund war, weißt du nicht.«

      »Eben«, stimmt Anne ihrer Freundin zu. »Er war 50, ein gefährliches Alter für Männer.«

      »Wo wurde er denn eigentlich gefunden? Klingt ja nicht so, als ob er zu Hause gestorben ist.«

      »Nein. Ich glaube, am Strand, hat Fred gesagt. Aber er hat auch nicht mehr gesagt, musste gleich weiter. Wahrscheinlich sollte auch keiner mitkriegen, dass er mir das gesagt hat.«

      »Nein, das darf er wohl nicht.« Berta blickt zur Tür, als erwarte sie, dass der Ortspolizist, den sie schon seit seiner Kindheit kennt und schätzt, hereinkommt und ihr Bericht erstattet.

      »Hat er denn gesagt, seit wann Ruben tot ist?«

      »Nein. Aber ich habe ihn schon seit ein paar Tagen nicht gesehen und nicht gehört.«

      »Hier war er in letzter Zeit auch nicht oft«, fällt Sophie ein. »Nicht mal am Wochenende. Ist dir das nicht aufgefallen?«, wendet sie sich an ihre Tante.

      Die überhört die Ironie. »Natürlich ist mir das aufgefallen. Ich dachte, er ist mal wieder pleite. Oder er geht Paul aus dem Weg. Der ist nämlich stinksauer auf ihn.«

      »Ruben Fux ist doch noch nie einem Streit aus dem Weg gegangen.« Sophie schüttelt den Kopf. »Und pleite war der auch nicht. Als er das letzte Mal hier war – am vorletzten Wochenende? – da hat er mehrere Runden ausgegeben und ich hab gesehen, dass er reichlich große Scheine im Portemonnaie hatte.«

      Fred Müller kommt am Nachmittag, nach Feierabend. Er wollte nicht in Uniform ins Kehr wieder gehen. Aber natürlich weiß er, dass Berta Kelling auf ihn wartet. Anne wird ihr schon erzählt haben, dass Ruben Fux tot ist.

      »Es sieht wirklich nach einem natürlichen Tod aus«, bestätigt er. »Wahrscheinlich Herzversagen. Sein Arzt hat uns bestätigt, dass er gefährdet war. Er hatte zu hohen Blutdruck, war zu schwer und sein Lebenswandel – na, du weißt ja. Er hatte auch keine Verletzungen, nur eine kleine Beule am Kopf. Die kann er sich beim Fallen zugezogen haben. Er lag in einer alten Fischerhütte, in der zweiten von hinten. Zwischen lauter altem Kram, Netzen und Steurern und so was. Da lag auch ein alter Anker, vielleicht ist er mit dem Kopf darauf gefallen. Jedenfalls ist er in der Gerichtsmedizin, wir werden es schon erfahren, falls da einer nachgeholfen hat. Aber ich glaube es nicht. Er sah so ruhig und friedlich aus.«

      »Ich weiß nicht.« Berta schüttelt unzufrieden den Kopf. »Ich hab so ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, da stimmt was nicht. Da steht er also in der Bude – was wollte er da eigentlich? – und plötzlich bleibt sein Herz stehen und er fällt tot um. Das ist doch Mumpitz. Ich sag dir was; da hat einer nachgeholfen.«

      »Na toll«, stellt Sophie fest. »Da haben wir es wieder. Egal, ob es nun ein Mord war oder nicht – ja, ja, ich wage ja schon gar nicht zu glauben, dass du dich irrst, ich bin schließlich lernfähig – die Polizei macht erst mal nichts und du wühlst jede Menge Dreck auf. Und schlimmstenfalls legst du dich mit einem Mörder an und bringst uns alle in Gefahr.«

      »Und bestenfalls finde ich den Mörder.« Den Punkt spricht Berta mit und ihre Nichte wusste schon vorher, dass sie sie nicht stoppen würde. Sie wollte es nur einmal gesagt haben.

      »Na ja«, besänftigt Anne, »das ist immer so eine zweischneidige Medaille. Ich denke auch, dass Ruben ermordet wurde. Er hatte bestimmt mehr Feinde als Freunde. Also ich helfe dir sowieso.«

      »Warten wir doch erst einmal ab«, wirft Fred Müller ein. Seit Sophies Bemerkung über die Polizei fühlt er sich etwas unwohl bei dem Gespräch. Anscheinend sitzt er schon wieder zwischen allen Stühlen. »Ich sag es euch, wenn ich etwas Neues erfahre«, verspricht er trotzdem.

      »Bleib noch einen Moment«, bittet Berta ihren alten Freund Bruno Kerr, der gerade sein Portemonnaie aus der Tasche zieht. Der pensionierte Lehrer ist ein beliebter Gast am Stammtisch. Eigentlich sitzt er immer dort. »Der gehört da genauso hin wie die Stühle und die Bank und das Stammtischschild«, hatte Sophie einmal bemerkt. »Ich glaube, eines Tages schließe ich ab und gehe nach Hause, ohne daran zu denken, dass er noch dort sitzt.«

      Die Frauen schätzen seinen Humor, Berta vor allem dessen Scharfsinn und Loyalität. Und natürlich seine Menschenkenntnis. Er hat viele Jahre an der Bansiner Schule unterrichtet und kennt die meisten Einheimischen, als Schüler oder als Eltern. Was andere als Zynismus wahrnehmen, erkennt Berta als Realitätssinn. Freundlichkeit liegt ihm nicht so, schon gar nicht, wenn er getrunken hat, was meistens der Fall ist. Aber er kann mit seinem Alkoholkonsum einigermaßen umgehen. Berta hat einmal auf die Frage, ob Bruno Kerr Probleme mit dem Alkohol habe, wahrheitsgemäß geantwortet: »Nein, nur ohne«.

      Jetzt


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