Tödliche Gier in Bansin. Elke Pupke
was, es gibt viel mehr alte Raucher als alte Ärzte.« Er steckt sich selbst eine an, sieht nachdenklich dem Rauch hinterher. »Du bist doch nicht krank, oder? Nee, Paul, du wirst noch hundert Jahre alt. Bei deinem Lebenswandel – immer an der frischen Seeluft, immer in Bewegung – das hält jung. Nur …« Jetzt blickt er den alten Fischer ernst an und sagt: »du kannst nicht ewig fischen. Das weißt du selbst, oder? Und Arno kann auf Dauer nicht für dich mitarbeiten. Nachwuchs gibt es nicht. Keiner will das mehr machen, es lohnt sich einfach nicht mehr. Darum müsst ihr was verändern, ihr könnt nicht so weitermachen wie eure Väter und Großväter, seht das doch endlich ein! Was ich vorhabe, ist das ganz große Geschäft für uns alle. Was hat Gorbatschow noch gesagt? ›Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen‹. Denkt mal drüber nach.«
Er macht eine Pause, wartet vielleicht auf Applaus, aber der kommt nicht. Dann nickt er Berta zu und geht langsam weg.
Jetzt steckt Paul sich doch eine Zigarette an. Berta bemerkt, dass seine Hände zittern. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Auch Arno schweigt. Nach einer Weile fährt er damit fort, den aufgespießten Fisch in den Räucherofen zu hängen.
Paul und Berta sehen über die Dünen hinweg auf die Ostsee. »Fisch hat es immer gegeben und wird es immer geben«, erklärt er schließlich entschlossen. »Alles andere ist Mumpitz. Und wenn wir noch weniger fischen, ist doch auch egal. Wir können dann ja auch Kutterfahrten machen, nicht, Arno? Das mögen die Gäste, die bezahlen gut dafür.«
»Du weißt doch gar nicht genau, was Fux vorhat. Anhören könntet ihr es euch doch wenigstens«, schlägt Berta vor.
»Er hat gesagt, er braucht meine Buden dazu«, fährt Plötz sie an. »Und mehr brauch ich nicht hören von diesem Halunken. So lange ich noch ein Bein vor das andere setzen kann, behalte ich die Hütte. Wo soll ich denn sonst im Winter in Ruhe meinen Grog trinken und mit den Leuten reden? Ich kann doch nicht den ganzen Tag in der Kneipe sitzen, da darf ich ja nicht mal rauchen. Und zu Hause? Da geht mir meine Frau auf die Nerven. Außerdem muss ich die Ostsee sehen. Und hören und riechen.«
Berta nickt, das versteht sie. »Und Arno geht es genauso«, spricht der alte Fischer jetzt für seinen Kollegen, der gerade in die Hütte gegangen ist. »Der braucht das Meer und seine Freiheit. Er kann doch auch nichts anderes. Meinst du, er will als Angestellter für Fux arbeiten?«
»Nein, sicher nicht. Da wäre er kreuzunglücklich«, stimmt sie zu. »Aber für ihn findet sich sicher was Besseres. Der ist nicht dumm und auch nicht faul, um den mach dir mal keine Sorgen.«
Aber sie selbst macht sich Sorgen. Während sie langsam auf der Strandpromenade entlang zur Pension geht, denkt sie über eine Lösung für ihren alten Freund nach. Sie beschließt, bei Gelegenheit mit Ruben Fux zu reden, um herauszufinden, was der eigentlich genau vorhat. Bisher gibt es nur vage Gerüchte.
Sonntag, 14. Juni
Seit Jahrzehnten zieht es die Bansiner Männer am Sonntagvormittag zum Strand. Früher verteilten sie sich in den Buden, jeder hatte »seinen« Fischer. Jetzt kommen die meisten zu Paul Plötz, um Neues zu erfahren und Meinungen auszutauschen.
Auch heute hocken fünf oder sechs alte Bansiner auf den Kistenstapeln, trinken Bier aus Flaschen und schimpfen auf die Urlauber. »Sind schon wieder viel zu viele hier«, mault Enno Labahn. »Kannst kaum treten auf der Promenade. Am schlimmsten sind die ganzen Räder, die fahren dich glatt um, wenn du nicht zur Seite springst.«
Sein Sitznachbar grinst. Er ist klein und dürr, trägt trotz der Hitze eine blaue Bommelmütze, unter der seine wasserblauen Augen listig blitzen. Er stellt sich gerade bildlich vor, wie Enno, der seinen gewaltigen Bauch auf den Knien abstützt, über die Promenade hüpft.
»Was soll der Quatsch mit dem Fischermuseum eigentlich?«, fragt er dann.
»Wollen die das wirklich in dem »Haus des Gastes« einrichten? Das passt doch gar nicht, das Haus ist viel zu groß und zu modern.«
»Kokolores«, knurrt Plötz. »Wir haben doch hier genug Museum – Freilandmuseum, sozusagen. Alte Boote, Netze, Anker, alles da.«
»Das ganze Haus hätten sie sich sparen können«, mischt sich der Dicke ein. Das passt da überhaupt nicht hin, zerstört die ganze Harmonie von unserer Promenade.«
»Harmonie unserer Promenade«, wiederholt Paul und lässt sich den Begriff auf der Zunge zergehen. »Hast eigentlich recht. Zu groß, zu modern. Und es hätte weiter unten am Strand stehen müssen. Jetzt ist die Strandpromenade an der Stelle zu schmal. Deswegen gibt es da auch dauernd Unfälle mit Radfahrern und Fußgängern.«
»Die hätten mal lieber die Hütten stehen lassen sollen. Dann hätten sie jetzt ihr Museum. Wie du sagst, Paul.«
Zustimmendes Gemurmel. »Darauf sollten wir einen trinken.« Einer der jüngeren Männer zieht eine Flasche Korn aus einer Plastiktüte, die er dann nachdenklich betrachtet. »Ach so, ja, ich soll ein paar Fische mitbringen. Flundern, wenn du hast.« Er sieht zu Arno, der nickt und nimmt ihm den Beutel ab. »Gib her, ich pack dir was ein.«
Paul stellt kleine Gläser auf die kalte Ofenplatte neben seinem Sessel, sein Gast füllt sie. »Na denn Prost, auf dass unsere Kinder lange Hälse kriegen!«
Gegen Mittag, als Paul und Arno allein in der Bude sind, reden sie wieder über das geplante Fischermuseum. »Ob Fux was damit zu tun hat?«, rätselt der Ältere.
»Glaub ich nicht.« Arno schüttelt ungläubig den Kopf. »Damit ist doch kein Geld zu verdienen. Der will irgendwas Gastronomisches machen, denk ich.«
»Hm«, Paul überlegt. »Aber das mit dem Museum ist gar keine so schlechte Idee. Es stehen doch genügend Buden leer. Und altes Gerümpel findet sich auch noch. Ich weiß sogar wo,« fällt ihm ein.
Zwei ältere Männer kommen herein. »Sind schon alle weg? Habt ihr noch ein Bier oder zwei?«
»Setz dich hin, Horst. Kannst den Stuhl nehmen«, bietet Paul dem einen, der am Stock geht, an. »Und du setz dich auf die Kisten. Arno gibt euch was zu trinken. Ich muss mal kurz weg, will bloß was gucken. Ich komm gleich wieder.«
Ohne weitere Erklärungen kramt er einen alten, rostigen Schlüssel aus der Tischschublade, nimmt eine Taschenlampe und geht aus der Hütte.
»Wo willst du denn hin?« Beinahe wäre er mit Andreas zusammengestoßen, der gerade vor der Tür steht. An jeder Hand hat er eines der Zwillingsmädchen, die Vierjährige dreht sich um und will durch die Dünen zum Strand laufen. »Bleibst du wohl mal hier!«, ruft Andreas ihr nach, ohne auf Pauls Antwort zu warten.
»Und du?« Paul mag Kinder, aber nicht in seiner Bude. Da liegt zu viel gefährliches Zeug herum, Angelhaken, Messer und Schnapsflaschen.
»Wir machen einen kleinen Spaziergang vor dem Essen, damit sie Appetit kriegen. Dann schlafen sie nachher auch besser und«, fährt er schnell fort, als der Fischer ungeduldig nickt, »ich dachte, vielleicht habt ihr gerade ein bisschen frischen Räucherfisch. Für Simone, weißt du, dann freut sie sich, wenn sie heute Abend nach Hause kommt.« Er fängt schnell seine größere Tochter ein, die schon wieder abhauen will und nimmt eine der Kleinen auf den Arm.
Natürlich hätte er den Fisch auch am Stand von Ruben kaufen können, aber da weiß man nie genau, ob der wirklich frisch ist. Außerdem ist er bei Arno erheblich billiger, eigentlich bekommt er ihn fast geschenkt. Arno regelt seine Preise sehr individuell. Manchmal richten sie sich danach, welches Auto sein Kunde fährt.
»Na, denn geht mal rein, Arno gibt dir was. Ich komm auch gleich, will bloß mal kurz nach da hinten.« Er weist zur anderen Seite der Langbude.
Er geht an vielen verschlossenen Türen vorbei und öffnet dann die vorletzte. Es dauert eine Weile, das Schloss ist rostig und die Tür klemmt. Paul Plötz weiß selbst nicht, warum er sich bemüht, leise zu sein und sich umsieht, bevor er hineingeht. Er tut doch nichts Verbotenes.
Trotzdem zieht er die Brettertür wieder hinter sich zu. Es ist halbdunkel,