Geschichte Italiens. Wolfgang Altgeld
des Kirchenstaates zwischen dem Reich [99]unter Richard und Sizilien unter Edmund ab. Deshalb kam erneut die französische Option zum Tragen: Zwar lehnte König Ludwig der Heilige das Angebot für einen seiner jüngeren Söhne 1261 ab, aber mit Karl von Anjou kam es nach dreijährigen Verhandlungen 1265 zum Abschluss.
Karl von Anjou
Der zwischen Karl und Papst Clemens IV. abgeschlossene Vertrag sah vor: 1. Karl erhält das Königreich Sizilien im vollen Umfang, wie es unter Friedrich II. bestand, als Lehen; 2. erbberechtigt sind Söhne und Töchter Karls, in zweiter Linie sogar seine älteren Brüder und deren Nachfahren; 3. Verbot der unio regni ad imperium; 4. Karl darf keine Ämter im Kirchenstaat annehmen; 5. er verzichtet auf alle kirchlichen Sonderrechte aus normannischer Zeit; 6. er zahlt jährlich 8000 Unzen Gold als Lehenszins.
Der Vertrag und seine Durchführung in der Praxis zeigten die Schwäche der kurialen Position, die in wichtigen Punkten von ihren Maximalforderungen abweichen musste: 1. bedeutete: keine Ausweitung des Kirchenstaates nach Süden bzw. keine Teilung des Lehens; 2. dies führte im 15. Jahrhundert zu den Erbansprüchen der französischen Könige seit Karl VIII.; 3. dies wurde de facto dadurch durchbrochen, dass Karl die Signorie norditalienischer Kommunen annahm und vorübergehend sogar päpstlicher Reichsvikar in der Toskana wurde; 4. Karl war bei Vertragsabschluss bereits Senator von Rom und blieb dies (mit Unterbrechungen) auch später; 5. die meisten dieser Rechte bestanden seit dem Konkordat der Kaiserin Konstanze [100]ohnehin nicht mehr; 6. dies war eine völlig irreale Bestimmung, da tatsächlich die Kurie Karls Kriegszug gegen Manfred und später den Krieg der Sizilischen Vesper finanzieren musste; effektive Zahlungen an die Kurie leistete erst König Robert im 14. Jahrhundert.
Im Herbst 1265 kam Karl nach Italien, der Papst krönte ihn am 6. Januar 1266 im Lateran zum König von Sizilien. Am 26. Februar 1266 besiegte er in der Schlacht bei Benevent König Manfred und beendete so die normannisch-staufische Herrschaft.
Auch wenn Karl die Maßnahmen Friedrichs II. seit seiner Absetzung und diejenigen Konrads IV. und Manfreds als illegal ansah (er setzte 1245 als »Normaljahr« fest), ließ er den Staatsaufbau Friedrichs II. weitgehend intakt. Die Zentrale bildete (in den Bezeichnungen teilweise französisch überformt) die magna curia, an der Spitze der einzelnen Provinzen stand der Justitiar, unterstützt von iudices und iurati. Es gab auf Festland und Insel elf Provinzen, wobei Kalabrien weiterhin der Insel zugeordnet blieb. Bemerkenswert ist, dass citra und ultra auf Sizilien aus der Sicht des Festlandes gesehen wurden und nicht aus der Sicht der alten Hauptstadt Palermo.
Die wichtigen Positionen besetzte Karl selbstverständlich mit seinen Anhängern, also in der Regel Franzosen und Provenzalen, die auch in die freigewordenen Lehen einrückten; zu größeren Enteignungen kam es aber erst nach 1268, d. h. nach dem Sieg über Konradin. Neu war auch, dass unter den Anjou Neapel die Rolle der Hauptstadt übernahm.
[101]Konradin und die Schlacht von Tagliacozzo
Mit der Schlacht von Benevent und dem Tod König Manfreds war die Herrschaft Karls von Anjou über das Königreich Sizilien noch nicht gesichert. Die Hoffnungen der Stauferanhänger richteten sich jetzt auf den Sohn Konrads IV., gewöhnlich Konradin genannt. Bei ihm, den Manfred beiseitegeschoben hatte, fanden sich nun hochrangige Exulanten ein, die ihn drängten, sein Recht einzufordern, so etwa Petrus de Prece, Konrad und Marino Capece, Konrad von Antiochien, ein unehelicher Enkel des Kaisers, und Galvano und Federico Lancia, die Onkel König Manfreds. Sobald Konradin am 25. März 1266 volljährig geworden und dem bestimmenden Einfluss seiner vorsichtigen Vormünder, der bayerischen Herzöge, entzogen war, nahmen die Planungen konkrete Gestalt an. Ein Hoftag vom Oktober 1266 setzte den Aufbruch nach Italien für den September 1267 fest. Im Oktober dieses Jahres finden wir Konradin in Verona; ein Teil der ihn begleitenden Fürsten, darunter Rudolf von Habsburg, kehrte aber hier bereits wieder um. Wiederholt kam es zu längeren, durch Finanznot bedingten Aufenthalten. Bei Siena wurde eine Heeresabteilung Karls von Anjou besiegt. Am 24. Juli 1268 zog Konradin in Rom ein, wo er am 18. Oktober wie ein Kaiser auf dem Kapitol empfangen wurde. Senator von Rom war zu dieser Zeit Heinrich von Kastilien, ein erbitterter Feind Karls (dieser hatte gemäß dem Vertrag von 1265 die Senatorenwürde vorübergehend aufgeben müssen).
Die Situation wurde für Karl von Anjou ausgesprochen kritisch, als im April 1268 die Sarazenen in Lucera zugunsten Konradins revoltierten und zugleich Aufstände auf [102]Sizilien ausbrachen. Die Parteinahme der Sarazenen erlaubte es Karl, den Kampf in die Nähe eines Glaubenskrieges zu rücken (er bezeichnete seine Truppen als das »christliche Heer«). In ideologisch aufgeheizter Atmosphäre kam es am 23. August 1266 bei Tagliacozzo zur Schlacht, in der Karl dank eines taktischen Hinterhaltes siegte. Konradin entkam zwar, wurde aber am 31. August gefangen genommen und an Karl ausgeliefert, der ihn am 29. Oktober 1268 in Neapel öffentlich hinrichten ließ.
Die Tötung Konradins erschien damals als politische Notwendigkeit; die über die Rechtsgrundlage des Urteils geführte Diskussion in der Forschung ist daher akademisch. Konradins Zug war kein harmloses, von vornherein zum Scheitern bestimmtes Unternehmen eines jugendlichen Träumers: Zu seiner Unterstützung sammelten sich bereits all jene Kräfte, die 1282 erfolgreich sein sollten. Es scheint müßig zu spekulieren, ob Konradin nicht besser von Sizilien aus, wo man ihn mit offenen Armen empfangen hätte, ein »Rollback« Karls hätte versuchen sollen; er wählte den »heroischen« Weg und setzte, wie Karl selbst 1266, alles auf eine Karte. Nur die öffentliche Beseitigung des Rivalen sicherte Karl vor falschen Konradinen analog den zahlreichen falschen Friedrichen nach dem Tode des Kaisers. Trotzdem erwies sich die Hinrichtung Konradins im Nachhinein als politischer Fehler: Sie machte es unmöglich, dass Karl von seinen italienischen Untertanen akzeptiert wurde. Seine Herrschaft konnte jetzt nur noch eine Gewalt- und Fremdherrschaft sein.
Die Provinzen des Königreichs Sizilien
Es ist nicht bekannt, ob der Papst zugunsten Konradins interveniert hat. Daher muss offenbleiben, ob die antistaufische Obsession der Kurie ihn davon abhielt oder ob er [103]nicht glaubte, dass Karl bis zum Äußersten gehen würde. Clemens IV. starb nur einen Monat nach Konradin: In den Augen der Zeitgenossen ein Gottesurteil. Das Schicksal des Staufers und die Rolle der Kurie dabei machten ihn aber zum geeigneten Objekt der Polemik im Zeitalter der Reformation, wo es schließlich auf Flugblättern der Papst selbst ist, der Konradin den Kopf abschlägt.
Mit dem Tode Konradins ging das staufische Erbrecht am Königreich Sizilien auf Margarete, die Tochter Kaiser Friedrichs II. aus seiner dritten Ehe, über. (Es ist unrichtig, wenn immer wieder behauptet wird, die Staufer seien mit dem [104]Tode Konradins ausgestorben.) Ihr Sohn, Friedrich der Freidige, Markgraf von Meißen, erhob diesen Anspruch auch und kündigte im August 1269 den Italienzug an; außer dass er eine Zeitlang den Titel »König von Sizilien« führte, geschah aber nichts. Damit richteten sich die Hoffnungen der Gegner Karls von Anjou auf die Tochter König Manfreds und ihren Ehemann, König Peter III. von Aragón, an dessen Hof sich alsbald die prominentesten Exulanten einfanden.
Das Papsttum als Störfaktor in der Politik Karls von Anjou
Das Königreich Sizilien sollte für Karl von Anjou nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer noch höheren Würde sein: einem wiedererrichteten lateinischen Kaiserreich in Byzanz. Dies entsprach zugleich normannisch-staufischer Tradition: Robert Guiskard, Wilhelm II., Heinrich VI. und Manfred wurden nur durch ihren Tod an einer wirksamen antigriechischen Politik gehindert. Deshalb kam es Karl ungelegen, dass 1271 nach über zweieinhalbjähriger Sedisvakanz mit Gregor X. ein Papst gewählt wurde, dessen Hauptanliegen ein neuer Kreuzzug ins Heilige Land war. Gregor erreichte es sogar, dass der byzantinische Kaiser Michael VIII. auf dem zweiten Konzil von Lyon 1274 mit der westlichen Kirche die Kirchenunion einging: Ein Angriff auf den wieder »rechtgläubigen« Kaiser verbot sich damit. Außerdem veranlasste Gregor X. die Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König und künftigen Kaiser. Damit schien den angevinischen Ambitionen in Reichsitalien ein Riegel vorgeschoben. Dass eine Kaiserkrönung [105]Rudolfs trotz sechsmaligen Anlaufs nicht zustande kam, war damals nicht vorauszusehen.