Home Girl. Alex Wheatle

Home Girl - Alex Wheatle


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      »Im Wohnzimmer«, erwiderte Colleen.

      Ich schaltete den Fernseher aus, sprang mit einem Satz vor Louise in die Diele und flitzte in die Küche. Dort schaltete ich den Wasserkocher ein.

      »Kaffee, Louise?«

      Louise antwortete nicht. Und vergaß sich zu setzen. Stattdessen blieb sie ganz still stehen, stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete meine Frisur.

      »Wie viele Sternchen von zehn?«, fragte ich, zwirbelte ein Zöpfchen zwischen Daumen und Zeigefinger.

      »Das ist … schick, Naomi.«

      »Hat mir Colleen gemacht. Bringt auf jeden Fall mal Abwechslung zwischen meine Schultern.«

      »Ja … tatsächlich mal was anderes«, sagte Louise. Endlich parkte sie ihr Hinterteil.

      »Kekse?«, bot Colleen an.

      »Heute nicht«, erwiderte Louise. Sie musterte meine Zöpfchen, als würde Tarzan sich von einem zum anderen schwingen. »Ich will mir so kurz vor dem Mittagessen nicht den Appetit verderben.«

      »TGI?«, schlug ich vor.

       Warum es nicht wenigstens versuchen, sie kann ja nur Nein sagen.

      »Fang nicht wieder davon an«, erwiderte Louise. »Das ist zu teuer.«

       Baronin Billo ist zurück. Zu ihrem nächsten Geburtstag schenk ich ihr eine Cap, auf der das steht.

      »Kim ist mit ihrer Sozialarbeiterin schon da gewesen.«

      »Ich bin aber nicht Kims Sozialarbeiterin.«

      »Das hab ich gemerkt!« Ich hob die Stimme. »Die ist nämlich nicht geizig und lässt ihr Portemonnaie nur ab und zu mal Luft schnappen.«

      »Hmmm?«, erwiderte Louise. »Bin ich dir nicht großzügig genug?«

      »Wenn du’s wärst, wären wir schon längst auf dem Weg zu TGI.«

       Keine Ahnung, was Colleen von unserem Schlagabtausch hielt. Sie stand mit verschränkten Armen da. Aber hey-de-ho, so reden Louise und ich nun mal miteinander.

      »Du bist wohl nie zufrieden, oder?«, fuhr Louise fort.

      »Doch, wenn du mit mir zu TGI gehst.« Ich kicherte.

      Und machte Louise Kaffee. Ein Löffel Zucker und nicht zu viel Milch. Sie nahm einen Schluck und betrachtete erneut meine Frisur. Ich glaube nicht, dass sie die gerne auf meinem Passfoto gesehen hätte.

      »Also, wohin fahren wir?«, wollte ich wissen. Sie nahm sich einen Vanillecremekeks, bevor sie antwortete.

      »Monk’s Orchard.«

      »Monk’s Orchard? Wozu denn das? Da sind lauter ausländische Nannys, Typen mit Strass am Kragen und alte Ladys mit dürren kleinen Kötern.«

      »Es gibt dort ein sehr schönes Café«, erklärte Louise. »Das Friar’s Tuck.«

      Ich verzog das Gesicht. »Das Friar’s Tuck? Ich esse in keiner Kirchenkantine. Diese scheiß Kirchen-Brüder sind die schlimmsten Fummler. Die haben nur deshalb so weite schwarze Kutten an, damit sie ihre erigierten …«

      »Ausdrucksweise, Naomi«, fiel mir Colleen ins Wort.

      »Tschuldigung«, sagte ich.

      »Es ist in keiner Kirche, Naomi«, sagte Louise. »Es ist ab von der High Street. Die machen da auch tollen Nachtisch.«

      Ich dachte drüber nach. Louise warf noch einen Blick auf meine Zöpfchen. »Na schön«, gab ich nach. »Aber wenn mich eine von den kleinen Graurücken blöd anguckt, kick ich ihr den Krückstock weg und mache Salami aus ihrem dürren Schoßhund.«

      Ich schwöre, ich hab Colleen kichern hören. Sie gab sich Mühe, schnell wieder ernst zu gucken.

      »Ich bin sicher, die werden nichts sagen«, behauptete Louise.

      Eine Stunde später bogen wir in Monk’s Orchard in eine ruhige Straße ab und gingen zu Friar’s Tuck. Eine fette braune Katze lag faul auf dem Fensterbrett und beäugte mich. Das Café war klein, hatte nur acht Tische. Hauptsächlich waren Graurücken da und verkosteten Tee, verknusperten Kuchen und lösten Kreuzworträtsel. Wir setzten uns ans Fenster und ich nahm eine Speisekarte, schaute fünf Minuten durch. »Ich nehme den Pie mit Huhn und Pilzen, dazu Erbsenpüree, Pommes und eine große Cola.«

      Louise zog ihre Jacke aus, legte sie auf den Stuhl neben sich und musterte erneut meine Haare. »Wessen Idee war das denn mit der neuen Frisur?«, wollte sie wissen. »Deine?«

      »Ja. Colleen hat’s heute fertig gemacht.«

      »Dann hat also weder Tony noch sie das vorgeschlagen?«

      »Nein, war meine Idee. Mal was anderes, oder? Kim wird vor Neid sterben. Sie wollte die Haare immer schon haben wie die schwarzen Mädchen. Nats hat Glück, die ist schwarz und kann sich die Haare selbst machen. Einmal haben Kim und ich die Schule geschwänzt und sind in so einen Salon in Ashburton. Du weißt schon, wo die Friseure tageweise einen Stuhl mieten. Wir wollten uns Zöpfchen machen lassen, aber Kim hat vorher Schiss bekommen. Ich wär rein.«

      »Ich finde, bei schwarzen Mädchen sieht das gut aus, aber …«

      »Aber was? Bei mir nicht? Sharyna fand’s supertoll. Und Pablo auch. Willst du nicht bestellen?«

      »Äh, doch, aber du darfst deine Identität nicht aufgeben, Naomi.«

      »Meine Identität?«, fragte ich. »Wusste gar nicht, dass ich eine habe. Was hab ich denn für eine Identität?«

      Louise rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Na ja, äh«, stammelte sie. »Die Sache ist die, Naomi, wenn du eine andere ethnische Identität übernimmst, läufst du Gefahr, die eigene zu verlieren. Beim Jugendamt gibt es alle möglichen Vorschriften, die Eltern in der Notpflege untersagen, Einfluss auf die kulturelle Identität der Kinder zu nehmen.«

      »Die was untersagen?«, fragte ich. »Keine Ahnung, wovon du redest mit deinem ganzen kulturellen Kauderwelsch. Ich will einfach nur salonfähig aussehen. Sagst du mir nicht immer, dass ich mehr auf mein Erscheinungsbild achten soll?«

      »Ja, das sage ich, Naomi, aber …«

      »Aber was?«, widersprach ich.

      Louise sog lange Luft ein. »Du könntest etwas von dir selbst verlieren, die wahre Naomi Brisset«, sagte sie. »Zum Beispiel würdest du doch von einem schwarzen Jungen, der keine Ahnung von Schottland hat, auch nicht erwarten, dass er einen Kilt trägt?«

      »Was ist denn ein Kilt? Ein kariertes Kondom oder was? Ich denke, du hast nicht mehr alle Klöße im Gulasch, Louise. Die wahre Naomi Brisset will Zöpfchen so wie Solange Knowles und Alicia Keys. Findest du nicht, dass die megageil aussehen? Kim und Nats finden das auch.«

      »Doch, die sind beide sehr attraktiv.«

      »Warum machst du dir dann ins Hemd wegen meinen Zöpfchen? Wenn wir dieses Jahr einen guten Sommer kriegen, seh ich zu, dass ich braun werde. Ich würde gerne aussehen wie Rita Ora.«

      »Rita Ora ist nicht braun, Naomi.«

      »Bist du sicher? Ich finde, die sieht braun aus. Entweder von der Sonne, oder sie hat sich so eine Power-Sonnenbank ins Schlafzimmer gestellt und schläft nachts drauf.«

      Eine Kellnerin kam und nahm unsere Bestellung auf. Louise entschied sich für einen langweiligen Salat. Wozu soll das gut sein, wegen einem Salat bis nach Monk’s Orchard zu fahren? Ich bestellte absichtlich den teuersten Nachtisch – Tiara-Sue. Ihr Portemonnaie brauchte eine Abspeckkur.

      »Am Samstag kommt eine neue Pflegefamilie aus dem Urlaub zurück«, sagte Louise. »Die Hamiltons. Ich dachte, vielleicht passt du ganz gut zu denen. Die haben eine neunzehnjährige Tochter. Sie studiert an der Uni und könnte einen guten Einfluss auf dich haben.«

      »Weiß nicht«, sagte ich. »Ich


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