Home Girl. Alex Wheatle

Home Girl - Alex Wheatle


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aufpassen müssen. Der Typ, mit dem sie’s gemacht hat, hat echt abgewichst ausgesehen – bei Love Island hätte der keine Chance gehabt. Der hatte so kleine Vulkane um den Mund rum, und seine Haare waren so fettig, dass man Dinoschenkel drin hätte frittieren können. Keine Ahnung, wie sie’s über sich gebracht hat, dem die Zunge in den Hals zu schieben. Wenn ich fünfzehn bin, such ich mir auch einen, und der wird nicht so aussehen. Auf keinen Knall, Herr Fall. So notgeil bin ich nicht.«

      Colleen wendete die Würstchen. Ich dachte, ich hätte ein Viertellächeln auf ihren Lippen gesehen. »Dreizehn … ist viel zu jung, um zu wissen, was man will«, sagte sie.

      »Wie warst du denn drauf, als du dreizehn warst?«, fragte ich.

      Colleen spülte sich die Hände ab, dann setzte sie sich zu mir an den Tisch. »Ich hab in einem Kinderheim gelebt«, packte sie aus.

      »Kein Scheiß?«

      Colleen nickte. »Mein Dad ist abgehaun. Meine Mum ist nicht alleine klargekommen. Kennt man ja, die Geschichte.«

      »Hat sie dich auf den Rathausstufen abgelegt, oder wie? Ist meiner Freundin Bridget passiert. Die erzählt ständig davon. Das hat sie wirklich fertiggemacht, wenn sie zum Beispiel in einen verknallt ist, der sie nicht mit dem Arsch anguckt, will sie sich gleich umbringen. Blöde Kuh! Ist so eine East-Ender-Mama mit großer Klappe. Ich meine, wie zum Teufel kann die sich dran erinnern, dass sie im Alter von sieben Monaten auf den Stufen vor dem Rathaus von Ashburton abgelegt wurde?«

      »Ich wurde nirgendwo abgelegt.«

      »Was denn dann?«, wollte ich wissen.

      »Ich war sechs, als ich ins Heim gekommen bin«, sagte Colleen. Sie machte einen Punkt und sah mich durchdringend an. Ich glaube, sie wollte wissen, ob sie mir ihren persönlichen Kram anvertrauen konnte. Ich grinste wie ein Clown auf der Party einer Fünfjährigen.

      Es funktionierte.

      »Mum hat mich an dem Tag ganz früh geweckt«, fuhr Colleen fort. »Sie steckte mich in die Wanne und wusch mir die Haare. Hat sie geföhnt, geflochten und kleine Bantu-Knots gemacht. Dann hat sie mir meine Sonntagsklamotten angezogen, wie für die Kirche – ein gelbes Kleid, weiße Socken und rosa Sandalen. Oh Gott, das gelbe Kleid hab ich geliebt. Ich sah so unschuldig aus wie ein Chormädchen.«

      »Gelbes Kleid, weiße Socken und rosa Sandalen«, wiederholte ich. »Ich wette, da haben die Fummler Stielaugen gekriegt. Von denen gibt’s jede Menge in der Kirche – dahin gehen die chillen. Kim hat mich immer gewarnt. Sie hat gesagt, meistens sind das Leute, die man kennt, Onkel und ältere Cousins und so. Wenn er dir Süßigkeiten schenkt, will er was von dir. Hat Kim immer gesagt.«

      Colleen bedachte mich mit einem Naomi-hat-nicht-mehr-alle-Gurken-im-Salat-Blick. Sie fuhr fort. »Bis heute weiß ich nicht warum, aber Mum hat ein Taxi bestellt. Es war nur eine halbe Meile bis zum Sozialamt. Wir hätten auch zu Fuß gehen können. Sie hatte lauter Ein-Pence- und Zwei-Pence-Münzen in einer Whiskyflasche. Die hat sie rausgeholt, in kleine durchsichtige Tütchen sortiert und in die Handtasche gesteckt. Damit hat sie die Taxifahrt bezahlt. Die weißen Handschuhe, die meine Mum an dem Tag getragen hat, werde ich nie vergessen. Sie hat sie auf dem Markt gekauft und immer gewaschen, als wär’s der Schlüpfer der Königin. Mum und ihre weißen Handschuhe. Du liebe Güte.«

      »Ich hätte das Geld aus der Whiskyflasche für Make-up ausgegeben und wäre abgehauen«, schaltete ich mich ein. »Kim sagt, Wimperntusche lässt meine Augen glühen.«

      »Make-up ist nicht das Einzige, was ein junges Mädchen schön macht«, sagte Colleen. »Viel wichtiger ist, was in ihr steckt.«

      »Aber die Menschen können ja nicht in einen reinsehen, oder?«, erwiderte ich.

      Nachdem ich meine Sachen abgewaschen und den Küchentisch abgewischt hatte, fuhr Colleen mit mir zum Supermarkt. Die Old-school-Mucke, die sie im Auto hörte, gefiel mir nicht, aber ich hielt die Klappe. Wenn ich sie besser kenne, bringe ich ihr bei, was guter Grime ist.

      Den Einkauf erledigte hauptsächlich ich. Ich suchte Joghurts aus, Kekse, Crumpets, Fertiggerichte für die Mikrowelle und Sprudeldrinks. Ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich hab die Dosen mit Ackee, Augenbohnen und Kidneybohnen, die Colleen eingepackt hat, ganz schön komisch beäugt. Danach waren wir noch Chinesisch essen. Ich hab mir Frühlingsrollen und Special Fried Rice reingeschaufelt, danach hat Colleen uns wieder nach Hause chauffiert und mir vor dem Fernseher im Wohnzimmer die Haare geflochten. Ich hatte einen Musiksender eingeschaltet.

      »Freust du dich auf die Schule am Montag?«, fragte Colleen.

      »Nein«, erwiderte ich. »Und Schule ist das auch keine. Das ist eine Sondereinrichtung für Jugendliche, die von der Schule geflogen sind oder besonderen Förderbedarf haben – so nennen die das. Wir haben keine Probleme, wir haben Förderbedarf. Manchmal sind mehr Erzieher da als Kinder. Prügeleien gibt’s trotzdem dauernd welche.«

      »Wieso gefällt es dir nicht in deiner, äh, Einrichtung?«

      »Weil mich die meisten anderen Mädchen nicht leiden können.«

      Das war nicht gelogen.

      »Kann ich gar nicht glauben«, sagte Colleen.

       Wieder Sozialarbeitergequatsche.

      »Ist aber so!« Ich hob die Stimme. »Die Einzigen, die mit mir reden, sind Kim und Nats. Kims Mum hat Probleme mit Drogen aus der Apotheke. Du weißt schon, den Pillen, die dir helfen, wenn dein Ballon kurz vorm Platzen ist oder du Einschlafprobleme hast. Die haben sie mega abgefuckt. Wenn es Montag war, dachte sie, es ist Samstag.«

      »Ausdrucksweise, Naomi.«

      »Tschuldigung … und Nats wurde vom Sohn der Freundin ihres Vaters vergewaltigt.«

      Ich spürte, wie Colleens Finger steif wurden. Sie legte eine Endlospause ein. »Das ist schrecklich«, sagte sie.

      »Dazu kam noch, dass ihre Ellies ihr nicht geglaubt haben. Die sind aber auch scheiß hirnblind.«

      »Du benutzt schon wieder Schimpfwörter, Naomi.«

      »Tschuldigung.«

      »Manchmal können Menschen nichts dafür, wie sie sich verhalten«, sagte Colleen. »Umstände und Herkunft haben eine Menge damit zu tun.«

      »Bei mir gibt’s keine Umstände«, sagte ich. »Ich bin normal.«

      »Natürlich bist du das«, sagte Colleen.

      »Meinst du, den Jungs werden meine Zöpfchen gefallen? Ich wette, Kim wird neidisch. Das bringt sie um, wenn mich die anderen länger angucken als sie.«

      »Die sollten sich nicht wegen deiner Frisur für dich interessieren, Naomi.«

      »Die schwarzen Mädchen in der Sondereinheit nehmen das super ernst. Die reden immer über Haare, ständig. Ich glaube, Nats hat so eine Anklebeperücke oder so … wie heißt das noch mal?«

      »Extensions?«, schlug Colleen vor.

      »Die nennen das Weave, aber für mich sieht’s aus wie eine Perücke«, sagte ich. »Bei einer Prügelei hat sie die mal verloren – eine Neue hat Kim beschimpft und Nats ist durchgedreht. War ein Schock für mich, weil Nats vorher so still war wie die Fußspitzen einer Ballerina.«

      »Die Stillen fressen oft alles in sich rein«, sagte Colleen.

      »Letztes Jahr sind sie mit uns schwimmen gegangen, aber von den schwarzen Mädchen ist keine mit. Die haben sich alle ins Hemd gemacht wegen dem Chlor, weil das angeblich die Haare kaputt macht. Tatsächlich kannst du Nats von Kim nur trennen, wenn ihre Betreuerin mit ihr zum Friseur geht.«

      »Das war schon so, als ich jung war«, sagte Colleen. »Ich hatte nichts anderes im Kopf, als dass ich den größten Afro hab …«

      »Warte kurz«, unterbrach ich ihren Redefluss.

      Ich flitzte in die Diele und betrachtete mich im Wandspiegel. Ich nahm eins von den Zöpfchen und wickelte es mir um den


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