Der Verrückte vom Freiheitsplatz. Hassan Blasim

Der Verrückte vom Freiheitsplatz - Hassan  Blasim


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und sich schließlich sogar bereit erklärt hatte, mir vor jedem Beischlaf den Schwanz zu lutschen. Meine Arbeit brachte mir zahlreiche Belohnungen und Geschenke ein, die insgesamt mehr wert waren als mein Monatssalär. Mein Chef meinte, ich wäre genial und als Einziger imstande, durch eine unermüdliche und nie erlahmende Kampffantasie die Kulturseite zu beleben. Ich erwarb mir sogar den Respekt und die Wertschätzung des Kulturministers, der mir insgeheim versprach, den Chefredakteur abzuservieren und mich an seine Stelle zu setzen. Ich war weder so genial noch so schurkisch, wie mich der Autor dieser Geschichte darstellen möchte. Ich war ein zielbewusster und ehrgeiziger Mann, der davon träumte, einmal den Posten des Kulturministers innezuhaben. Deshalb widmete ich mich in jenen Tagen voll und ganz meiner Arbeit. Im Schweiße meines Angesichts edierte, redigierte und korrigierte ich, geduldig wie ein Bäcker, meine Kulturseite. Aber nicht doch, Euer Ehren, ich habe nie Texte zensiert, wie Sie vielleicht glauben. Die schreibenden Soldaten waren immer strenger und disziplinierter als jedweder mir je bekannt gewordene Zensor. Sie haben jedes Wort präzisiert, alle seine Buchstaben unters Mikroskop gelegt. Sie waren natürlich nicht so blöd, mir weinerliches Geschreibsel zu schicken, Sätze voller Heulen und Zähneklappern. Manche schrieben, um nicht glauben zu müssen, sie könnten getötet werden, und der Krieg sei sowieso nur ein Machwerk der Presse. Andere waren an materiellen und ideellen Vorteilen interessiert. Und dann gab es welche, die zum Schreiben gezwungen wurden. All das interessiert mich jetzt nicht mehr. Jetzt bin ich reue- und sogar furchtlos. Die Toten, Euer Ehren, leiden nicht mehr an ihren Verbrechen und sehnen sich, wie Sie wissen, nicht mehr nach dem Glück. Wenn wir hin und wieder das Gegenteil hören, so sind das nur törichte, religiöse, poetische Übertreibungen, lächerliche Parolen ohne Bezug zu den einfachen Tatsachen der Toten.

      Ich gebe ja zu, dass ich häufig in die Struktur eingriff, in Bau und Gestaltung der Erzählungen und der Gedichte, und dass ich nach Möglichkeit versuchte, die verwendeten Bilder auszugestalten, die von der Front immer mit zu viel schwarzer Fantasie kamen. Was um Himmels willen sollte es heißen, wenn einer, während wir in einem Dichterkrieg versanken, formulierte: »Ich hatte das Gefühl, dass der Artilleriebeschuss heftig wie ein Regen niederprasselte, doch wir waren furchtlos …« Ich strich das und ersetzte es durch: »Ich hatte im Artilleriefeuer das Gefühl, einem Sternenregen beizuwohnen, wir taumelten wie Liebende über die Heimaterde.« Das nur als kleines Beispiel für meine bescheidenen Eingriffe.

      Die Wende kam, Euer Ehren, als in der Redaktion fünf Erzählungen eintrafen, angeblich verfasst von einem Soldaten innerhalb eines einzigen Monats, jede in ein dickes, buntes Schulheft geschrieben. Auf dem Umschlag jedes dieser Hefte waren Name, Klasse und Schule im vorgesehenen Karo ordentlich eingetragen. Dabei ging keine Klasse über die Grundschulstufe hinaus. Außerdem trug jedes Heft einen anderen Namen. Jede Erzählung bot die Geschichte eines Soldaten, der den auf dem Umschlag genannten Namen trug, und alle diese Texte waren in einer erstaunlich kunstvollen, gehobenen Sprache verfasst. Ja, ich würde behaupten, dass die internationale Romanliteratur vor diesen Erzählungen aus nichts als leerem Gefasel bestand, zwergenhaft angesichts des Grandiosen, was jener Soldat verfasst hatte. Nur, vom Krieg war darin nicht die Rede. Die Helden waren einfach friedliebende Soldaten, die Geschichten lieferten, brutal und glasklar, Einsichten in geschlechtliche Wesen aus einem Blickwinkel, der gleichzeitig kindlich und satanisch war. Man konnte darin von Soldaten lesen, die in voller Militärmontur mit ihren Schätzchen in öffentlichen Parks und am Flussufer rummachen und scherzen; von Soldaten, die die Schenkel der Huren als Marmorbögen sehen, an denen sich milchweiße, traurige Pflanzen emporranken; von Soldaten, die, den Kopf an weiche Frauenbrüste gelehnt, den Himmel in kurzen, lasziven Sätzen beschreiben. Es waren zauberhafte Hymnen an Körper, die Wasserrosen emporsickern ließen.

      Ich erkundigte mich sofort und gierig nach dem Frontabschnitt, an dem dieser Soldat kämpfte, und nach der Einheit, in der er Dienst tat, und erfuhr, dass sein Bataillon, wenige Tage bevor die Erzählungen weggeschickt worden waren, einem verheerenden feindlichen Angriff ausgesetzt war und dabei schreckliche Verluste an Mannschaft und Material erlitten hatte. »Du hast ein Panzerhirn, lieber Kollege!«, meinte ein Kollege, Herausgeber der Seite »Mut und Medaillen«, bei unserer Zeitung, sooft er mich sah. Und an diesen Ausdruck erinnerte ich mich, als ich spürte, dass in den goldenen Drähten meines Gehirns eine Idee aufschien, während ich diese Wunderhefte durchblätterte. Ich beschloss, an den Soldaten zu schreiben und ihm klar und unmissverständlich zu drohen: Er stelle sich gegen die Partei und müsse dafür möglicherweise bald vor Gericht erscheinen und werde vielleicht sogar zum Tode verurteilt; seine Erzählungen wichen vorsätzlich und eindeutig von der Parteilinie über den gerechten Krieg ab. Ich wollte ihm die übliche, wohlbekannte Soldatenangst einjagen und riet ihm, die Sache mit den Erzählungen zu vergessen, sich bei mir zu entschuldigen und mich reuevoll zu bitten, das Geschreibsel zu vernichten und ihm sein schändliches Tun zu verzeihen, das nicht wieder vorkommen sollte. Ich wüsste dann schon, was mit diesen bemerkenswerten Menschenepen zu machen sei. Ich bezweifle, dass selbst ein großer Romancier von mehr als fünf Romanen dieses Kalibers, dieser Originalität auch nur träumen kann, dieser Sprache aus Traum und Wirklichkeit, die den zehnten Rang der Sprache erreicht, den Rang des Feuers, dem der Teufel entspringt.

      Der Himmel war nicht fern, er trat mir rasch zur Seite. Schon nach einer Woche erhielt ich vom angeschriebenen Bataillon eine Depesche, in der mir mitgeteilt wurde, Soldat X sei bei dem jüngsten Angriff gefallen, aus seinem Trupp habe niemand überlebt. Vor Glück wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Was für ein Geschenk des Schicksals! In einem unbeschreiblichen Taumel las ich den Namen des gefallenen Soldaten wieder und wieder.

      Euer Ehren, fünf Monate nach der Publikation der ersten Erzählung unter meinem Namen – ich hatte ihr einen neuen Titel gegeben – reiste ich durch die Länder dieser Welt, um meinen neuen Roman vorzustellen, in Studienzirkeln, wo mich die berühmtesten Kritiker und Denker einführten. Die größten internationalen Zeitungen und Kulturjournale beschäftigten sich mit mir. Ich fand nicht einmal mehr genug Zeit, alle Fernseh- und Radiotermine wahrzunehmen. Die Kritiker hierzulande schrieben lange Studien über unseren gerechten Krieg, der im Menschen eine solche schöpferische Kraft, eine solche Liebe und einen solchen poetischen Elan freisetzen könne. An verschiedenen Universitäten des Landes wurden zahlreiche Master- und Doktorarbeiten verfasst, in denen Forscher allen poetischen und menschlichen Windungen in meinem Text nachspürten. Sie sprachen über den Einklang von Munition und Sperma, vom Dröhnen der Flugzeuge und den Erschütterungen des Bettes, vom Kuss und dem Granatsplitter, vom Geruch des Pulverdampfs und dem des weiblichen Geschlechtsteils. Dies alles, obwohl im Text nirgends von Krieg die Rede war. Nach meiner Rückkehr nach Hause wurde mir im Rahmen einer prächtigen Zeremonie das Amt des Kulturministers übertragen, einfach so. Ich ließ mir Zeit mit der Publikation der vier noch verbliebenen Romane. Der erste hatte noch längst nicht ausgedient. Ich besorgte mir eine neue Ehefrau, eine neue Wohnung und ein neues Auto und beschaffte mir all die Dinge, die ich mir schon immer gewünscht hatte. Man kann durchaus sagen, dass ich mich vor dem Krieg in Ehrfurcht verneigte und dankbar meine Hände zum Himmel erhob ob der Wohltat und der unschätzbaren Gaben. Ich war überzeugt, der Nobelpreis für Literatur werde nach der Veröffentlichung der fünften Erzählung hier auf meinem Ministerschreibtisch liegen. Das Glück hatte seine Tore geöffnet, wie man so sagt.

      Bis eines Tages drei große Pakete eintrafen – von der Front an meine Adresse im Ministerium. Sie enthielten zwanzig Erzählungen, und der Absender war jener selbe Soldat. Alles war wie gehabt: Schulhefte, Namen von Soldaten auf Grundschulniveau, Geschichten von Liebe und Schicksal. Im ersten Augenblick war ich völlig fassungslos, doch diese Fassungslosigkeit verwandelte sich gleich darauf in eiskaltes Entsetzen. Ich packte die Texte und verlangte vom Verantwortlichen für das Magazin des Ministeriums die Schlüssel für einen der Lagerräume, wo ich die Erzählungen klammheimlich versteckte. Danach unternahm ich verschiedene Schritte, um den Soldaten ausfindig zu machen. Alle Meldungen kamen direkt in mein Büro im Ministerium, und alle bestätigten den Tod des Mannes. Es waren schreckliche Tage. Und gleich am nächsten trafen weitere Pakete mit weiteren, noch zahlreicheren Geschichten ein. Wiederum die gleiche Art Paket, und wiederum vom selben Soldaten. Auch diese Romane deponierte ich in dem Lagerraum, an dessen Tür ich zusätzliche Schlösser anbringen ließ. Erbarmungslose Monate gingen ins Land, Euer Ehren, während derer ich vollauf damit beschäftigt war, die Hefte zu verstecken, die auf seltsame Weise unablässig hereinfluteten, und nach dem Soldaten Ausschau zu halten, von dem es frontauf,


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