Haupt- und Nebenwirkungen. Gabriele Goettle
Gabriele Goettle
HAUPT- UND
NEBENWIRKUNGEN
ZUR KATASTROPHE DES
GESUNDHEITS- UND SOZIALSYSTEMS
Verlag Antje Kunstmann
Die Gespräche wurden zusammen mit Elisabeth Kmöliger geführt
VON BÖCKEN, DIE GÄRTNERN
Ein Nachmittag bei Lobby-Control in Berlin
»Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle desdeutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren,Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und dieGesetze des Bundes wahren und verteidigen, meinePflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenjedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.«(Amtseid, nach Art. 56 GG, für Bundespräsident,Bundeskanzler u. die Bundesminister) |
TIMO LANGE, Politikwissenschaftler u. Leiter d. Berliner Büros von Lobby-Control. Er wurde 1982 in Berlin geboren. 2001 Abitur. 2009 macht er am Otto-Suhr-Institut d. Freien Universität zu Berlin sein Diplom als Politikwissenschaftler, er leitete während des Studiums schon für Lobby-Control Stadtführungen durch das Berliner Regierungsviertel u. veranstaltete freiberuflich Seminare und Workshops zu Themen wie Migrationspolitik, Rechtsextremismus, Rassismus und natürlich auch Lobbyismus. Ab Mai 2011 arbeitete er fest bei Lobby-Control in Köln, wo er sich vor allem mit d. Lobbyismus in Brüssel beschäftigte. Seit März 2012 ist er Leiter des Berliner Büros von Lobby-Control und hat seinen Schwerpunkt auf die Berliner Verhältnisse verlegt, auf Themen wie Lobbyregister, Parteienfinanzierung, Nebentätigkeiten von Abgeordneten und Interessenkonflikte. Nebenbei macht er politische Bildungsarbeit z.B über Asyl- und Migrationpolitik auf EU-Ebene. Timo Lange ist ledig, sein Vater ist Lehrer, seine Mutter ist Pflegerin in d. Geriatrie.
Die mächtigsten lobbyistischen Organisationen sind die Unternehmen, Verbände und diversen Zuarbeiter des Gesundheitssektors und der Pharmakonzerne, der Banken- und Versicherungswirtschaft, der Energie- und Atomwirtschaft, der Rüstungs-, Luftfahrt- und Automobilindustrie, der Landwirtschafts- und Lebensmittelindustrie u.a. Sie agieren im Verborgenen, nehmen systematisch Einfluss auf die Gesetzgebung, manipulieren die sogenannte öffentliche Meinungsbildung und betreiben mit großer Energie und hohem Geldeinsatz die marktgerechte Zurichtung unserer Gesellschaft, bis hinein in die sozial empfindlichsten Bereiche. Allein das Gesundheitsministerium wird von mehr als 400 Lobbygruppen »beraten«, die alle auf den 260 Milliarden schweren Gesundheitsmarkt aus sind. Und angesichts der Lobbyisten in Brüssel drängt sich mir die polemische Frage auf, ob es nicht konsequenter wäre, wenn schon die Finanzwirtschaft dem EU-Parlament bei der Regulierung der Finanzmärkte derart »nachhaltig« zur Hand geht, die Europapolitik gleich ganz zu privatisieren.
Lobby-Control ist ein 2005 gegründeter gemeinnütziger kleiner Verein in Köln, der sich mit erstaunlicher Energie und Resonanz den intransparenten Aktivitäten der verschiedenen Lobbygruppen in Deutschland und Europa widmet. Er klärt über Machtstrukturen und die erfolgreichen Einflussstrategien der Akteure auf, recherchiert, publiziert, organisiert Kampagnen und stellt Forderungen auf. Seine Mitarbeiter veranstalten erklärende Stadtführungen durchs Berliner Regierungsviertel, direkt vor die Haustüren diverser Lobbyakteure. Sie haben »LobbyPlanet« verfasst, einen sehr empfehlenswerten kommentierten Stadtführer durch den Berliner Lobbydschungel, und ebenso einen für das EU-Viertel in Brüssel. Und sie betreiben, für jeden frei verfügbar, »Lobbypedia« (www.lobbypedia.de), ein lobbykritisches Onlinelexikon. Lobby-Control ist unparteiisch, bezieht aber Partei dafür, dass das Wohl der Allgemeinheit vor den Profitinteressen Einzelner steht.
Die Berliner Dependance hat ihren Sitz am Schiffbauerdamm 15, direkt an der Spree, unweit vom Brecht-Theater auf der einen und dem Sitz des Bundestages auf der anderen Seite. Schräg gegenüber liegt der Bahnhof Friedrichstraße. Einige Schilder von NGOs und Firmen hängen am Eingangsportal des ehemaligen DDR-Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Heute ist jede staatstragende Strenge aus dem riesigen Plattenbaukomplex verschwunden, die Glastüren stehen offen, die Pförtnerloge ist leer und verstaubt, der Aufzug gesperrt. In einem winzigen Büro im ersten Stock, hinten hinaus nach Norden, mit Blick auf Gleise und Züge, sitzt Timo Lange an seinem überladenen Schreibtisch vor dem Rechner. Er begrüßt mich freundlich und räumt einen Klappstuhl frei.
Umstandslos beginnt er zu erzählen: »Ja, ist ein bisschen eng auf 12 Quadratmetern für zwei Personen und zwei Schreibtische, es geht aber. Dafür zahlen wir auch nur 240 Euro Warmmiete. Das Gebäude steht in Teilen leer, auch weil es vom Abriss bedroht ist. Das ganze Ufer hier am Schiffbauerdamm soll ›umgestaltet‹ werden. Es sind natürlich ganz hervorragende Grundstücke. Für uns wäre es sehr schade, weil, diese Lage, derart nah am Bundestag, so was bekommen wir nie wieder.«
Auf meine Frage, wie er zu Lobby-Control kam, sagt er: »Ich war immer ein politisch interessierter Mensch, während des Studiums und auch davor habe ich mich politisch engagiert – aber ich war nie in einer Partei. Die Veränderung der Gesellschaft, allgemein gesagt, als Ergebnis der Auseinandersetzung von verschiedenen Kräften, Kräfteverhältnissen, das hat mich immer beschäftigt. Das hat sich ja auch stark gewandelt seit der Zeit, in der ich aufgewachsen bin. Im Studium habe ich mir z.B. den Emissionshandel angeguckt, es ist ja sehr interessant, welche Akteure da wie ihre Interessen durchgesetzt haben. Oder auch im Bereich der internationalen Handelspolitik: Es geht praktisch immer um die Frage, welche Rolle spielt eigentlich der Staat, letztlich die Demokratie, vor diesem Hintergrund. Denn um die geht es! Und um die Frage, wie wollen wir eigentlich leben?! Ich hatte nach dem Studium Lust, statt zu promovieren, mich lieber konkret mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Schon als Student habe ich nebenbei Führungen durchs Berliner Regierungsviertel gemacht für Lobby-Control, und es hat sich dann glücklich so ergeben, nach dem Studium, dass eine Stelle frei wurde in Köln. Und nach der Eröffnung des Berliner Büros 2012 bin ich dann hierher zurückgewechselt.
Es ist ein Wahnsinn, welche Bandbreite an ganz unterschiedlichen Organisationen, Unternehmen, Verbänden in einem sehr engen Umkreis um den Bundestag rum hier in Berlin-Mitte anzutreffen ist. Das zeigen wir bei unseren Führungen. Und bei unserer Arbeit insgesamt geht es genau darum, nämlich die Phänomene und Mechanismen aufzuzeigen und zu erklären, was ist eigentlich Lobbyismus? Wie funktioniert er, was folgt daraus, worin besteht das Problem? Was müssen wir daran ändern, damit sich nicht einseitig finanzstarke Interessen zum Leid der Allgemeinheit gegen schwächere Interessen durchsetzen können. Mit ›schwächeren Interessen‹ meine ich z.B. Patienteninteressen usw.
Es gibt nur einige wenige erfolgreiche und anhaltende Protestbewegungen, wie beispielsweise die Anti-AKW-Bewegung, die ihre Teilnehmer über einen langen Zeitraum mobilisieren konnte; ihr Fokus liegt im Wendland. In anderen Fragen, z.B. dem modernen Datenschutz und dem Urheberrecht im Netz, da gibt es mal einen großen Aufschrei. Es gehen deutschland- und europaweit sehr viele Menschen auf die Straße, wie bei den Protesten gegen Acta.« (Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Das geplante multilaterale Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen konnte vorerst verhindert werden, es wurde 2012 aufgrund der massiven Proteste vom EU-Parlament nicht ratifiziert. Anm. G.G.) »Aber solche kritischen Bewegungen über einen längeren Zeitraum wirklich zu mobilisieren, das ist nicht leicht. Da sind die großen Konzerne natürlich im Vorteil, die können für zehn, zwanzig Jahre schauen, wie wirkt sich unsere Lobbystrategie eigentlich aus. Die brauchen die Straße nicht, sie haben andere Druckmittel. Sie haben einen privilegierten Zugang zu den Abgeordneten und versuchen durch verschiedene Strategien die Gesetzgebung zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.
Es ergeben sich daraus zwei Hauptforderungen: 1. Eine Registrierungspflicht für Lobbyisten. In Washington – das wird Sie vielleicht überraschen – gibt es so was seit Längerem und es funktioniert weitgehend, denn es gibt Strafen für den, der sich der Pflicht entzieht. Es wird zwar der Einfluss der Lobbyisten nicht schwächer dadurch, das ist auch nicht das Ziel der Registrierungspflicht, aber die Kontrolle wird wesentlich besser. In Washington wurden 2011 über 3 Milliarden Dollar für Lobbyarbeit ausgegeben. Man kann als Öffentlichkeit sehen: Aha, Boeing hat 18 Millionen Euro für Lobbyarbeit im Rüstungsbereich ausgegeben. Da kann man dann auch auf einer anderen Grundlage