Haupt- und Nebenwirkungen. Gabriele Goettle
So eine Nebentätigkeit ist natürlich hochgradig problematisch, bei einem Politiker, der auf diesem Gebiet politische Entscheidungen zu treffen hat.
Dieser Dritte im Bunde, Max Müller, ist übrigens ein anschauliches Beispiel für solche Interessenvertreter und ihre Vernetzung. Er hat einen relativ klassischen ›Lebenslauf‹, hat auch im politischen Bereich erst mal angefangen, war ja im Bundestag als Referent tätig. So gehen eben viele Lobbykarrieren los. Müller ist ›berufsmäßiger Lobbyist‹. Als solcher pflegte er viele Kontakte, u.a. zu DocMorris, und er war für den Pharmakonzern Celesio tätig.« Er blickt auf den Bildschirm. »Im vorigen Mai ist er zu den Rhön-Kliniken übergewechselt … ich seh grade, im Dezember ist er schon wieder raus. Bis 2008 jedenfalls war er Geschäftsführer der KPW-Gesellschaft für Kommunikation und Wirtschaft, einer Lobbyagentur.« (In deren Internetprofil steht: »Die Gesellschaft entwickelt Analysen, Strategien und Konzepte in den Bereichen Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Die Umsetzung erfolgt auf Bundes- und Landesebene – kommunal und international. Unsere Aufgabe ist es, Sie und die für Sie wichtigen Entscheidungsträger oder Öffentlichkeiten gezielt zu informieren mit dem richtigen Maß an Transparenz und Nachhaltigkeit.« Anm. G.G.)
Timo Lange schaut aus dem Fenster zu den Gleisen hinüber, wo elegant ein roter Zug dahingleitet, und sagt: »Wir haben allen dreien detaillierte Fragen gestellt und von keinem bisher eine Antwort erhalten. Aber wir wollen nicht lockerlassen, sondern erfahren, welche Beeinflussung lag hier möglicherweise vor. Das zu wissen ist das Recht der Bürger und Wähler. Es gibt für die Unternehmen viele Möglichkeiten der Einflussnahme, sie haben ihre Verbände, wo sie Mitglied sind, dann hat man eine ganze Reihe von Lobbydienstleistern, und es gibt z.B. den klassischen parlamentarischen Abend für Abgeordnete, mit Ansprachen und Häppchen am Buffet, Getränken. Politische Landschaftspflege nennt sich das. Journalisten werden zu Reisen eingeladen, Studien werden bei Denkfabriken in Auftrag gegeben, um die eigene Argumentation zu belegen, oder man gibt auch gern an Hochschulprofessoren ›Forschung‹ in Auftrag.
Gerade vor ein paar Tagen hat der Bundesverband der Deutschen Industrie zu einem großen Empfang geladen, einem ›Festlichen Abend‹ im Deutschen Historischen Museum. Alle von Rang und Namen waren da, Merkel sagte ein paar Worte, dann ist das offizielle Programm vorbei, und nun kommt das Eigentliche, es wird ›genetworked‹. Lobby-Control steht da nicht unbedingt auf der Gästeliste, wie Sie sich denken können.
Die Konzerne haben ihre eigenen Lobbybüros, da arbeiten so fünf bis zehn Leute in der Regel. Sie haben spezielle Aufgaben, viel davon ist Recherche und Monitoring, Informationsbeschaffung. Die Arbeit des Lobbyisten besteht natürlich auch darin, möglichst viel Einfluss zu nehmen auf Abgeordnete. Um das zu können, muss der Lobbyist erst mal erfahren, was ist überhaupt geplant. Und je früher er darüber Bescheid weiß, umso besser, umso gründlicher kann er eine Strategie entwickeln. Und zur strategischen Unternehmenskommunikation gehört übrigens auch blockieren, verzögern, verwässern, und sicherlich gehört auch dazu, zu versuchen, bestimmte Themen möglichst aus der medialen Debatte verschwinden zu lassen oder ganz herauszuhalten. Gerade in Krisensituationen ist das natürlich erwünscht.
Was das Budget betrifft, aus der Perspektive eines Unternehmens, das geht, je nach Größe, von 100.000 bis hin zu 10 Millionen im Jahr, nur für Lobbyarbeit. Büro Unter den Linden usw., ein großer Teil geht in die Gehälter. Ein richtig guter Fachmann mit guten Kontakten wird so ab 100.000 Euro im Jahr bekommen.« (Ein Bundestagsabgeordneter bekommt seit 1. Januar 2013 eine sogenannte Abgeordneten-Entschädigung von 8.252 Euro und eine Kostenpauschale von 4.023 Euro im Monat. Anm. G.G.)
Timo Lange lächelt und sagt: »Das ist ein bisschen mehr, als ich kriege. Ich bekomme 2.500 Euro im Monat, plus Reisekosten, wenn welche anfallen.« Ich frage nach dem Budget von Lobby-Control. »Das liegt so bei 300.000 im Jahr. Wir finanzieren uns ja nur über Spenden, Förderbeiträge, Geld von Stiftungen und dem Verkauf von ›LobbyPlanet‹ und Stadtführungen. Der finanzielle Unterschied ist natürlich sehr groß gegenüber denen, die wirtschaftliche Partikularinteressen vertreten. Aber es gibt viele kleine unabhängige Organisationen wie Lobby-Control, die mit wenig Geld versuchen, gemeinwohlorientierte Interessen gegenüber der Politik zu vertreten, und öffentlich auch wahrgenommen werden.
Ein weiteres großes Problem des Lobbyismus ist, dass Ministerien teilweise Gesetzentwürfe von Anwaltskanzleien erstellen lassen, wie es z.B. beim ›Finanzstabilisierungsgesetz‹ von 2008 der Fall war. Die haben ja auch Bankkunden. Besonders brisant war in diesem Fall, dass es Peer Steinbrück war, der denen als Bundesfinanzminister viel Geld zugeschanzt hat, indem er ihnen den Auftrag gab, und dass er später von dieser Kanzlei dann Geld für einen Vortrag bekommen hat. Ganz grundsätzlich: Gesetze sollen in den demokratischen Institutionen entstehen und nicht in internationalen Großkanzleien!« (Am Investment-Modernisierungsgesetz, das 2004 in Kraft trat, hat direkt im Finanzministerium eine Juristin vom Bundesverband der Investmentgesellschaften mitgearbeitet und ebenso ein Mitarbeiter der Deutschen Börse. Sie saßen dort in einem eigenen Büro, im Rahmen des »Personalaustauschprogramms« von Bundesinnenminister Schily. Die Folge war, dass u.a. die hoch spekulativen Hedgefonds, die es zuvor in Deutschland nicht gab, zugelassen wurden. Hier hat die Finanzbranche sich ihre eigenen Gesetze schreiben und eine »Deregulierung der Finanzmärkte« bewirken können. Anm. G.G.)
»Zum Schluss will ich noch mal auf die Hochschulen zurückkommen, wo Transparenz auch sehr wichtig wäre. Wer finanziert hier wen und was? Wie unabhängig ist eigentlich diese staatlich geförderte Institution der Forschung? Eine der Lobbystrategien besteht beispielsweise auch darin, dass man gute Kontakte zu Hochschulprofessoren pflegt, dass man bei Hochschulprofessoren Forschung in Auftrag gibt. Es gab ja den Fall, den Martin Kaul im Herbst 2011 in der taz mit aufdeckte. Da zeigt sich sehr anschaulich, wie so was vor sich geht. Das Deutsche Atomforum hatte 2008 bei einer Düsseldorfer Kommunikationsagentur eine Kampagne ›pro Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke‹ in Auftrag gegeben, sie sollte bis zur Bundestagswahl 2009 die öffentliche Meinung dementsprechend beeinflussen.« (Die Bundestagswahl gewann dann Schwarz-Gelb, und ein Jahr später stimmte die Mehrheit im Bundestag für die Laufzeitverlängerung. Erst Fukushima machte einen Strich durch die Rechnung. Anm. G.G.)
»Die Agentur hatte im Rahmen dieser Kampagne Herrn Professor Schwalbach von der Humboldt-Uni in Berlin eine Studie in Auftrag gegeben, sie hat den schönen Titel, ich muss ablesen: ›Gesellschaftsrendite der Kernenergienutzung in Deutschland. Eine Studie zum volkswirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen der Kernenergie‹. Diese Studie sollte mit 135.000 Euro honoriert werden und sie sollte belegen, was für positive Auswirkungen der Einsatz von Atomkraftwerken für die gesamte Gesellschaft hat. Atomenergie ist für alle gut: für Wirtschaft, für die Umwelt, wahrscheinlich auch für die Kultur.«
Er lacht leise. »Die Studie wurde nie veröffentlicht. Über den Grund kann man nur spekulieren. Eine These ist, dass es zu offensichtlich ein Gefälligkeitsgutachten war. Er hat es nebenbei gemacht, über seine eigene Agentur, oder die seiner Frau. Lobby-Control und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedenfalls haben, nachdem das alles öffentlich wurde, zügige Aufklärung der Affäre gefordert. Aber die Universität schweigt zum Thema und zu Disziplinarmaßnahmen. Es scheint, als würden auch hier alle Beteiligten die Sache einfach aussitzen.«
Professor Joachim Schwalbach ist Betriebswirt und Management-Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, einer seiner Schwerpunkte: »Der ehrbare Kaufmann«. Martin Kaul zitierte damals aus dem Abstract der Schwalbach-Studie, wo u.a. zu lesen ist: »Die Kernenergiewirtschaft ist als Innovations- und Bildungstreiber von großer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft.« Der Professor hat 2011 übrigens ein weiteres Gefälligkeitsgutachten verfasst. Diesmal veröffentlicht, und zwar nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Berlin für die Offenlegung aller Verträge und Nebenabsprachen zum Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe an die Energieriesen Veolia und RWE im Jahr 1999. Auftraggeber des Schwalbach-Gutachtens war die Industrie- und Handelskammer. Der Auftrag war, eine Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe als falsch und vollkommen unökonomisch darzustellen.
Es ist sehr zu befürchten, dass Lobby-Control die Arbeit nicht ausgehen wird angesichts der emsigen Lobbyisten. Auch die Banken sind nicht müßig. Auf 34 Seiten hat das Bundesfinanzministerium – als Antwort auf eine Anfrage