Die Rosa-Hellblau-Falle. Almut Schnerring

Die Rosa-Hellblau-Falle - Almut Schnerring


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finden trans Personen »nicht normal«, glauben Schwarze Kinder kommen aus Afrika und seien nicht von hier. Die Denkmuster sind da, auch wenn dahinter keine böse Absicht oder feindliche Haltung steckt.

      Seit Jahren reden sich Feminist*innen den Mund fusselig, dass ›Sexismus‹ nicht erst sichtbar wird, wenn eine Frau beleidigt oder sexuell genötigt wird. Bei Sexismus geht es um die Frage, wie unsere Gesellschaft tickt: also inwieweit Männer und Frauen unterschiedliche Rollen mit unterschiedlichen Eigenschaften zugeteilt bekommen. Dieses Verhalten ist leider problematisch für alle Beteiligten: Jungen und Mädchen werden in tradierte Verhaltensmuster gedrängt und andere Geschlechter sowie nicht-heterosexuelle Identitäten unsichtbar gemacht.

      Sexistische Ansichten kommen oft als scheinbar nette Worte daher, wie etwa: »Du bist doch viel zu hübsch, um Feuerwehrmann zu werden.« Vermeintliche Komplimente wie dieses bekommen Kinder und Erwachsene gleichermaßen zu hören. Und immer, wenn darüber diskutiert wird, finden sich ein paar Neunmalkluge, die meinen, man dürfe sowas nicht Sexismus nennen – weil das ›echte Fälle‹ von Sexismus verharmlose. Doch echte Fälle sind es auch, wenn Eltern, Erzieher*innen, Lehrkräfte oder die Werbung Kinder unterschiedlich behandeln, weil sie Thomas oder Yasemin heißen. Das passiert meist ohne böse Absicht. Einfach nur, weil sie Mädchen und Jungen sind. Und trotzdem leiden Kinder unter diesen Zuschreibungen.

      Dieses Buch ist enorm wichtig. Es zeigt auf, wie stark Sexismus noch immer unseren Alltag prägt. Es ist nicht nur ein Elternratgeber für alle, die wollen, dass ihr Nachwuchs sich frei entfalten kann – es ist auch ein gesellschaftspolitisches Manifest. Kapitel für Kapitel hilft es den Lesenden dabei, sich bewusst zu werden über Geschlechterrollen und -zwänge, in die wir gepresst wurden und die wir an unsere Kinder weitergeben. Wer »Die Rosa-Hellblau-Falle« gelesen hat, wird die Welt um sich herum mit anderen Augen sehen.

      Ich habe dank der »Rosa-Hellblau-Falle« erstmals begriffen, warum sich Sexismus so hartnäckig hält, obwohl wir doch in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft leben. Sich dessen bewusst zu werden, ist der erste, wichtige Schritt, um damit reflektierter umzugehen. Der nächste ist, sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen. Ich habe dabei festgestellt, dass es vielen ähnlich geht, wie mir – dass auch sie die omnipräsenten Rollenklischees in der Erziehung, im Berufsleben oder auch im Supermarkt endlich überwinden wollen. Und das macht große Hoffnung.

      Wer sich gemeinsam mit den Autor*innen auf den Weg raus aus der »Rosa-Hellblau-Falle« machen möchte, kann sich auch in den Initiativen engagieren, die von Almut Schering und Sascha Verlan gestartet wurden: dem ›Equal Care Day – Aktionstag für mehr Wertschätzung, Sichtbarkeit und eine faire Verteilung der Sorgearbeit‹, oder bei ›Goldener Zaunpfahl - Preis für absurdes Gendermarketing‹.

      Doch zuerst einmal viel Spaß mit dieser spannenden Lektüre!

      Ferda Ataman

       #ROSAHELLBLAUFALLE 2021

      Als wir 2012 mit der Recherche für die erste Auflage dieses Buch begannen, hatten wir in unserem Umfeld kaum Gleichgesinnte, mit denen wir uns über das Phänomen der Rosa-Hellblau-Falle® hätten austauschen können. Tatsächlich gab es noch nicht einmal eine Bezeichnung dafür, und wir überlegten hin und her, welchen Titel wir überhaupt wählen könnten, der unkompliziert auf den Punkt bringt, was uns mit drei Kindern jeden Tag, mal bewusster, mal unbewusst begegnete und im Weg stand: Die Zuweisung von Interessen, Eigenschaften, Farben, Fähigkeiten und Berufswünschen nach Geschlecht. Eine Gleichmacherei in Medien und Werbung, die alle Mädchen über den pinken Kamm schert und alle Jungs als wilde Raufbolde abstempelt. Die Hierarchie zwischen »Aber Hallo, an der ist wohl ein Junge verloren gegangen?!« und »Heul nicht, sonst denken die Anderen noch, du wärst ein Mädchen!«, die letztlich bis ins eigene Berufsleben hineinreicht, wo ein und dasselbe Verhalten einmal als durchsetzungsstark beziehungsweise als zickig bewertet wird, je nachdem, ob es um einen Mann oder eine Frau geht.

      Die Rosa-Hellblau-Falle® war noch nicht besetzt, und so sollte es denn sein. Wir benannten unseren Blog danach, gründeten eine Facebook-Gruppe und waren schnell erleichtert, nicht mehr allein zu sein mit unseren Zweifeln und unserem Staunen darüber, was so schlimm daran sein soll, wenn unser Sohn die geblümte Jacke seiner Schwester trägt, warum Tanzen und Weinen als unmännlich gilt, und wie es dazu kommt, dass Mädchen in vielen Familien so viel selbstverständlicher in die alltägliche Familienarbeit einbezogen werden als Jungen. Die Überraschungseier mit rosa Blümchen waren gerade auf den Markt gekommen, es gab neuerdings violette Legosteine, und wir dachten, jetzt wäre aber langsam mal gut mit dieser »extra für Mädchen«-Werbeoffensive, die immer so ein bisschen nach Frauenförderung klingt, aber natürlich das genaue Gegenteil meint und bewirkt. Wie naiv wir waren!

      Eigentlich wollten wir uns ja am liebsten direkt wieder abschaffen, hätten uns gewünscht, die Inhalte dieses Buchs würden sich wenige Jahre später bereits wieder als irrelevant erwiesen haben. Einige Jahre sind nun vergangen seit der Erstauflage 2014, und als Autor*innen freuen wir uns zwar über das anhaltende Interesse, gleichzeitig macht es uns doch fassungslos, dass sich keins der Kapitel erledigt hat, auch heute nicht. In manchen Bereichen ist die Situation nicht nur unverändert geblieben, sondern noch extremer geworden. Gender-Reveal-Partys zum Beispiel, ein Trend aus den USA, erfreuen sich auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit: nicht nur, dass weit über 80 Prozent der werdenden Eltern gerne wissen wollen, welche Geschlechtsorgane ihr Ungeborenes hat (vgl. Kapitel 2), sie wollen sie auch klischeevoll feiern. Dafür färben sie das Innere von Kuchen, die dann beim Aufschneiden Rosa oder Hellblau enthüllen, lassen Luftballons in der entsprechenden Farbe aufsteigen oder entzünden mit Farbpulver gefüllte Raketen – in Kalifornien hat im Herbst 2020 eine solche Aktion einen tagelangen Waldbrand ausgelöst. »Was wird es denn?« – die Frage, mit der alles Leben beginnt, scheint noch wichtiger geworden zu sein.

      War Rot vor einigen Jahren noch eine Farbe, die auch Jungen tragen durften (vgl. Kapitel 3), werden Eltern heute auf Spielplätzen angesprochen, gar gemaßregelt, warum sie ihrem Sohn denn eine rote Jacke gekauft hätten. Selbst Schuld, wenn das Kind dann als Mädchen angesprochen wird. Ist das so? Markieren wir neuerdings farblich das Geschlecht unserer Kinder, und suchen, damit Fremde es erkennen, die von Firmen entsprechend gelabelte Kleidung und Spielzeuge aus? Oder sollte es nicht erst einmal darum gehen, was uns und unseren Kindern gefällt, weil die individuelle Wahl doch wichtiger ist als ein Etikett? Allerdings gibt es inzwischen kaum mehr einen Produktbereich, in dem Waren nicht getrennt nach Rosa und Blau beziehungsweise Pink und Mattschwarz angeboten werden. Oft ist die pinke Version dann sogar etwas teurer. Dieses Preisgefälle in Rosa-Blau, das vor allem auf Drogerieprodukte angewandt wird, zum Beispiel bei Rasierern, bei Shampoo oder Parfum, gibt es auch in anderen Bereichen, wie eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Gender Pricing1 2017 aufgezeigt hat, die diese Strategie eindeutig als diskiminierend einstuft. Von Hersteller*innen wird sie trotzdem verteidigt, indem die Verantwortung den Konsumentinnen angelastet wird: Selbst schuld die Frauen, wenn sie für die pinke Variante mehr bezahlen. Wirklich? Und vor allem: dürfen und wollen wir das dann auch Kindern anlasten?

      Beim Kleiderkauf erkennt man heute noch deutlicher als vor ein paar Jahren die für Jungen gedachte Abteilung an der grün-braun-schwarz-matsch Farbpalette, an Botschaften rund um Coolness-Motoren-wilde Tiere. Farbenfroh, Glitzer-Lila-Rosa, aber auch Ponys, Regenbögen, Einhörner, Herzen und niedliche Tiere sind dagegen Mädchen vorbehalten2. Ausnahme: Es soll tatsächlich einmal ein paar Wochen lang Wendepailetten-Shirts mit Dinosauriern gegeben haben! Gendermarketing, die Werbestrategie, Produkte nach Geschlecht zu sortieren, hat den Regenbogen für Jungs eingeführt – für Kinderstoffe in sogenannten Jungenfarben wird das Violett ersetzt durch Grau. Und sie hat dazu beigetragen, dass sich Eltern im Kleiderkreisel vergewissern, ob das Shirt mit Dinosaurier-Aufdruck nicht vielleicht doch ungeeignet sei für den Sohn, weil der Dinosaurier einen Hauch von rosa Wangen hat. Sie hat unterstützt, dass beim Schuhkauf die Frage nach dem Geschlecht noch vor der Frage nach der Größe der Füße kommt. Eltern müssen sich fragen lassen, ob der Säugling im Kinderwagen wirklich und wahrhaftig ein Junge


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