Verkörperter Wandel. Martin Witthöft

Verkörperter Wandel - Martin Witthöft


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begreifen. Gerät eine dieser Ebenen aus der Balance, verliert sie leicht den Kontakt zu den anderen beiden.

      So kann sich beispielsweise ein in Konzepten und Ideologien verstrickter Geist immer weiter von den Emotionen entfernen. Ein hyper­aktiver Körper kann dagegen kaum noch einen rationalen Gedanken fassen, sondern läuft Gefahr, sich in blindem Aktionismus zu verlieren. Eine hohe emotionale Ladung wiederum führt zu explosiven Ausbrüchen und verhindert ergebnisorientierte, geplante Handlung.

      Immer wenn wir auf einer Ebene blockiert sind, fallen Fühlen, Denken und Handeln auseinander. Daher ist es hilfreich, die jeweiligen Funktionen der Ebenen zu verstehen, um so auch ihre Blockaden erkennen und benennen zu können.

      Sowohl Sankhya als auch Entwicklungsbiologie beschreiben eindrucksvoll die Ursache und Bedeutung unserer inneren Dreiteilung. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass sich die drei wichtigsten Arbeitsfelder des Yoga an dieser organischen Architektur orientieren. Sie bildet das Fundament für Atemübungen, Körperarbeit und Meditation.

      Wir finden sie in den ursprünglichen Yogawegen Karma-Yoga, Bhakti­-Yoga und Jnana-Yoga wieder. Sie sind Gegenstand der Unterweisung, die Krishna, eine Inkarnation des Gottes Vishnu, dem Krieger Arjuna in der Bhagawadgita zukommen lässt.

      Karma-Yoga: Karma bedeutet Handlung und ist uns bereits im Zusammenhang mit unseren Handlungsorganen, den Karmendriyas, begegnet. Karma-Yoga ist demnach das Yoga der Handlung, Yoga auf der Ebene des Körpers. Im Karma-Yoga geht es darum, sein Leben entsprechend der eigenen Bestimmung zu leben, ohne sich mit den Ergebnissen dieser Handlung zu identifizieren.

      Jnana-Yoga: Jnana ist die Erkenntnis; die Jnanendriyas sind die Erkenntnisorgane. Jnana-Yoga ist das Yoga auf der Ebene unseres Geistes. Es führt über den Intellekt, das Studium und die Auseinandersetzung zu Urteilskraft und Unterscheidungsvermögen (viveka). Diese Klarheit ist die Voraussetzung, um das wahre Wesen, die Essenz aller Dinge zu erkennen.

      Bhakti-Yoga: Bhakti bedeutet Liebe, Verehrung oder Anbetung und meint damit die Hingabe zu Gott. Dies ist das Yoga der Emotionen. Jede Tat in Liebe zu vollbringen, führt den Bhakti-Yogi zur Selbsterkenntnis. Eine derartige Liebe ist allumfassend und geht weit über die persönlichen Emotionen und Motive des Übenden hinaus.

      Patanjali vereinigte später diese drei Formen des Yoga im Ashtanga-Yoga oder königlichen Weg. Er führt über acht Stufen (Ashtanga) zur Befreiung. Inhaltlich umfasst er Anleitungen zu Pranayama, verschiedene Atemübungen und Asanas, einschließlich der heute so populären Körperübungen, sowie Meditation.

      Pranayama: Prana bedeutet Energie oder Lebensenergie, Ayama steht für Kontrolle. Im Pranayama geht es also um die Kontrolle der Lebensenergie. Das bei uns gebräuchliche Wort Psyche stammt aus dem Altgriechischen und bedeutete ursprünglich Atem oder Hauch. Wenn wir von der Psychologie als Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen sprechen, greifen wir die enge Beziehung zwischen Atem, Emotionen und Körper unmittelbar auf. Pranayama steht dabei nicht nur für die Kontrolle der Lebensenergie, sondern unterstützt auch die Regulation von Gefühlen. Er hilft, eine ausgleichende Harmonisierung des Körpers zu erreichen.

      Asana: Heute werden alle Körperstellungen im Yoga Asana genannt (eigentlich »Sitz« oder »Körperhaltung«). Asana-Sequenzen sind dementsprechend aufeinander folgende Körperhaltungen. In der Regel sind die Positionen dabei so aufeinander abgestimmt, dass sie unseren Energiehaushalt, die Körperspannung und den Geisteszustand ausgleichen und verbinden können. Der Körper ist sehr viel mehr als nur die stoffliche Grundlage für Geist und Emotionen. Sinn und Sinnlichkeit sind eng miteinander verbunden. So erleben Menschen, die sich aus ihren körperlichen Empfindungen zurückgezogen haben, nicht selten auch eine geistige Leere. Die Asanas stehen insgesamt für die Körperarbeit im Yoga.

      Dharana: Im Yoga geht die Übung der Konzentration (Dharana) der Meditation (Dhyana) voraus. Zunächst schulen wir unseren Geist, sich auf ein Objekt auszurichten und zu sammeln, ohne dabei in blockierende Anstrengung zu geraten. In der sich anschließenden Meditation löst sich die Identifikation vom Meditationsgegenstand ab. Der Geist geht über ihn hinaus und öffnet sich in einen Zustand losgelöster Freiheit. Meditation als regelmäßige Praxis kann uns dabei unterstützen, immer tiefer reichende Gleichmut (Vairagya) zu erreichen. Diese ist nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit, vielmehr geht es in dieser annehmenden Offenheit um ein umfassendes Vertrauen und unsere Bereitschaft, sich dem Leben auf allen Ebenen hinzugeben. Fassen wir im folgenden Abschnitt die Perspektiven zusammen.

      Die energetische Ebene: Gefühle – Entoderm – Pranayama

      Die energetische Ebene pulsiert zwischen Auf- und Entladung.

      Blockaden äußern sich in Über- und Unterladung.

      Wenn wir uns auf der energetischen Ebene befinden, geht es um das Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus, um die Pulsation zwischen Auf- und Entladung. Auf der Ebene des vegetativen Systems offenbart sich damit das Phänomen der Überladung, wie während einer Manie, oder das der Unterladung, wie während einer Depression.

      Yogapsychologische Ausrichtung

      Auf der Ebene des vegetativen Nervensystems geht es darum, die Schwingungsfähigkeit zwischen den beiden Funktionsmodi Anspannung und Aktivierung (Sympathikus) sowie Entspannung und Erholung (Parasympathikus) wiederherzustellen.

      Die meisten Bereiche des vegetativen Nervensystems lassen sich nicht willentlich steuern. Allerdings beeinflusst die Regulierung des Atems, wie beispielsweise das Anhalten, Verlangsamen oder Beschleunigen, die verschiedenen vegetativen Funktionen. Damit befinden wir uns auf dem Feld des Pranayama.

      Auf der einen Seite können wir hier die Entspannungsfähigkeit des Organismus fördern, um das Nervensystem zu beruhigen. Mit verlangsamenden Atemübungen lernen wir, belastende Stresskreisläufe zu unterbrechen, um eine chronische Überladung zu korrigieren.

      Auf der anderen Seite haben einzelne Atemübungen aber auch das Potenzial, den Sympathikus zu aktivieren, Aktionsfähigkeit zu steigern und einer Unterladung, beispielsweise bei Erschöpfung, entgegenzuwirken.

      Wechselt die Unterrichtsstunde zwischen aktivierenden und entspannenden Sequenzen, macht der Organismus die Erfahrung lebendiger Pulsation zwischen beiden Polen und lernt mit der Zeit, in diesen natürlichen Regulationsprozess zurückzufinden. Im Yogasutra von Patanjali heißt es dazu:

      »Prāṇāyāma (die Atemtechnik) wird geübt mit umsichtiger Einfühlung in die Ausatmung, die Einatmung und das Anhalten, die Körpergegend, in der sich die Atmung abspielt, die Länge jeder Atempause und die Anzahl der Atemzüge. Dabei wird der Atem lang und zugleich sanft geführt« (Sriram 2006).

      Yogasutra 2.50

      Die Handlungsebene: Körper – Mesoderm – Karmendriyas – Asana

      Die Handlungsebene pulsiert zwischen An- und Entspannung.

      Blockaden äußern sich in Über- und Untererdung.

      Auf der Handlungsebene reguliert das Stammhirn innerhalb des extra­pyramidalen Systems unser Gleichgewicht zwischen bewussten, halb bewussten und unbewussten Bewegungen. Dies können wir als Überspannungen und Unterspannungen erleben. Hypertonische, »überspannte« Muskulatur kann als übererdet bezeichnet werden. Schlaffe, hypotonische Muskulatur dagegen als untererdet.

      Yogapsychologische Ausrichtung

      Wir alle kennen die Neigung zu muskulären Verspannungen bei privater oder beruflicher Belastung. In gewisser Weise leiden wir dabei unter aufgestauter, nicht umgesetzter Handlungsenergie: Wir speichern gleichsam Stress in der Muskulatur ab.

      Auf der Ebene des Bewegungsapparates bietet Yoga mit seinen abwechslungsreichen Asanas


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