Seelenfreunde. Katrin Ehrlich
holte ich aus dem unteren Stockwerk des Hauses mein blaues Fahrrad, was sich sofort in mein Reitpferd verwandelte. Immer begrüßte ich es mit einem Streicheln. Dann schaffte ich es liebevoll über die vielen Treppen nach draußen. Es war windig und regnete. Rasch – ich bat es zu warten – lief ich in die Wohnung zurück, um meine Regenjacke zu holen. Mit einem Dankeschön fürs Warten setzte ich mich auf mein Drahtross und spornte es an. Wir genossen den Galopp bergab.
Doch der Weg war weit für eine Elfjährige. Den Weg abwärts durch das Dorf nahmen wir schnell, den Weg bergauf schafften wir dieses Mal nicht ganz bis zur kleinen Kirche. Dort musste ich immer absteigen und den restlichen Hang schieben. Mein Pferd und ich kämpften uns bergauf gegen den Regen. Gemeinsam schafften wir es, bis ich wieder auf ihm sitzen durfte. Im langsamen Trab schwitzte ich, musste viel treiben, bis wir aus dem Dorf hinaus waren. Es blitzte und donnerte, als ich endlich an der Kreuzung bei den Aussiedlerhöfen ankam. Ich verlor an Kraft, der Sturm tobte, ich musste absteigen. Ganz fest hielt ich dieses liebe blaue Fahrrad, wir mussten es gemeinsam schaffen. Doch es ging nicht weiter. Die Angst hielt mich fest. Der Sturm tobte, und ich wünschte mir nur, dass er mich nicht wegbläst. Ob es das gibt, über die Felder zu fliegen? Wo würde ich dann landen? Nein, ich klammerte mich, geschüttelt von Kälte und Angst, an mein Blechross und versuchte zu atmen. Ich lebte. Mein Ziel lag nicht weit entfernt. Ich werde nicht weggeblasen! Zwischen zwei Böen schob ich weiter, immer weiter, Meter für Meter. Der Weg war noch nie so lang. Irgendwann, nach gefühlten Stunden, erreichte ich meine ersehnte Heimat. Ein bekannter Geruch stieg auf, und ich rettete mich in den Stall. Alles war gut. Angekommen.
Echte Leidenschaft lässt alles andere vergessen
Viele Jahre lang konnten mich kein Schnee, kein Regen, keine Hitze davon abbringen, in mein eigentliches Zuhause zu fliehen. Den Stall, wo meine wirklichen Freunde wohnten. Oftmals glich der Weg einem kleinen Lebenskampf. Doch ich wurde immer belohnt von den weichen Augen meines Lieblingspferdes, von der Wärme seiner Haut und dem Geruch nach Heu und warmem Mist. Alle Sorgen waren vergessen. Hier ging es nicht um Noten, nicht um Familienstreit, sondern nur um eins: die Pferde.
So entwickelte sich eine tiefe Leidenschaft. Und ich durfte sie schon in ganz jungen Jahren fühlen. Heute lebe ich sie immer noch, und dafür bin ich dankbar. Meine Kinder leben in einer anderen Zeit, werden bei jedem Regen mit dem Auto gefahren und müssen für manches vielleicht weniger kämpfen. Ich lernte, unter schwierigen Bedingungen für meine Ziele alles zu geben; diese unerschöpfliche Leidenschaft trieb mich an, denn bei den Pferden fand ich Zuwendung, Vertrauen, Verlässlichkeit. Niemals ging und geht es hier um Geld oder Erfolg. Sondern einfach nur um Liebe.
Die Kehrseite der Medaille
Pferde dienen bis zum Umfallen – früher in Schlachten, im Krieg, heute durch Hochleistungen für Sport und Spaß der Menschen.
Im Lauf der Jahre lernte ich die andere Seite der Pferdeszene kennen. Die der Ungerechtigkeit diesen treu Dienenden gegenüber. Die Seite des Schmerzes, der Freiheitsberaubung, der Qualen und des fehlenden Verständnisses der Pferdebesitzer. Immer wieder setzte ich mich für den Pferdeschutz ein und bewahrte viele Pferde vor dem Gang ins Schlachthaus oder auch vor dem frühzeitigen Verkauf. Es ist eine Lebensaufgabe. Das Kämpfen dafür lernte ich bereits in jungen Jahren.
(Foto: Christiane Slawik)
Nun möchte ich die Menschen, die es nicht besser wissen, niemals nur verurteilen, sondern auffordern, hinzuschauen und etwas zu verändern. Jeder, wie er kann. Dann wäre schon viel gewonnen. Und es gäbe viel mehr gesunde und glückliche Menschen und Pferde, denn wir brauchen sie und sie brauchen uns. Früher, und heute umso mehr, denn Pferde sind Fenster zur Natur und somit zu unseren Wurzeln, die uns in dieser Welt noch bleiben.
Das Pferd im Wandel unserer Zeit
Sie dienen bis zum Umfallen
Seit Menschengedenken spielt das Pferd eine sehr wichtige Rolle im Dasein der Menschen. Es half im täglichen Leben, arbeitete in vielen Einsatzgebieten und diente zur Fortbewegung – auch unter schlimmsten Bedingungen. Als Beispiel schauen wir auf das Kriegsende im Winter 1945: die Flucht der Ostpreußen in den Westen. Unglaublich viele Pferde mussten dabei ihr Leben lassen, um Menschen zu retten. Egal, ob tragende Stuten oder Jungtiere, alles wurde genommen, um zu fliehen. Viele der edlen Trakehner Pferde brachen auf dem Eis vor der Kutsche sterbend zusammen, die wenigsten überlebten diesen langen Weg in schlimmster Kälte und unter härtesten Bedingungen.
Mehrere Millionen Pferde starben im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sie dienten in früheren Zeiten in Schlachten, im Krieg, als Arbeitspferde und gingen bis in den Tod – aus Vertrauen zu ihrem Herrn. Nach dem Krieg lebten in Deutschland nur noch um die 30 000 Pferde. Innerhalb von 50 Jahren stieg ihre Zahl in Deutschland wieder auf über eine Million.
Heute übernehmen Pferde jedoch nicht nur als Partner der Menschen die unterschiedlichsten Aufgaben. Geschätzte 70 000 Stuten werden in Farmen Amerikas zeitlebens angebunden und trächtig gehalten, um ein Wechseljahrhormon für die Menschen zu produzieren. Die Pferde wurden damals wie heute gebraucht und gezüchtet für den jeweiligen Anspruch des Menschen. Neue Aufgaben veränderten ihre weitere Entwicklung enorm.
Wir formen unsere Tiere nach unseren Wünschen
Unsere Tiere bekommen unsere Krankheiten, weil sie durch uns und mit uns leben.
In den letzten 50 Jahren veränderte sich vieles. Die Reiterei erfuhr in Deutschland einen Einbruch in der Nachkriegszeit, doch in den1970er-Jahren erlebte sie diesen unglaublichen Aufschwung. Das Pferd wurde zum beliebten Freizeitpartner, der Pferdesport blühte wieder auf. Pferde wurden für die neuen Ansprüche an eine moderne Pferdegeneration gezüchtet. Sportpferde wurden um 10 bis 20 Zentimeter größer gezüchtet, Mischungen aus den unterschiedlichsten Rassen lassen jeden Reitertraum wahr werden. Ex- und Importe aus allen Ländern der Erde wurden durch leichtere Transportwege selbstverständlich.
Nichts ist unmöglich geworden. Neue Pferderassen entstehen, das Pony aus dem Norden wird gekreuzt mit dem Vollblüter aus der Wüste. Evolutionstechnisch wäre niemals passiert, was heute für den Menschen ein leichtes Spiel ist. Künstliche Besamungen wurden in den letzten Jahren zur üblichen Methode, Nachwuchs zu zeugen. Dabei spielt die Sympathie und die damit verbundene instinktive Auswahl für das passende Gegenstück zum Rasseerhalt schon lange keine Rolle mehr. Durch die von Menschenhand immer unterschiedlicher vermischten Tiere entstanden neue Erkrankungen. Degenerationserscheinungen im Bewegungsapparat schon in jungen Jahren, Fehlstellungen der Beine sind Antworten auf moderne Zuchtgeschichte und die dazugehörende Umwelt.
(Foto: Christiane Slawik)
Vergleichen wir die Pferderassen mit den Menschen ihres Landes, wo sie sich seit Jahrhunderten formten zu dem, was sie heute sind, werden wir große Ähnlichkeiten entdecken.
Die bunte Welt der Rassen
Zu beobachten ist auch, dass extreme Mischungen, wie zum Beispiel Kreuzungen zwischen Vollblütern mit Ponyrassen, in manchen Fällen charakterlich im Ungleichgewicht scheinen. Wen wundert es, wenn über Jahrhunderte entstandene Arten, die sich mit ihren Menschen langsam entwickelten, sich plötzlich miteinander verpaaren? Es ist interessant, aber nicht immer ohne Überraschung, in welche Richtung der Nachwuchs schlägt.
So entsteht – inmitten der Vielzahl an Menschen – eine bunte Rassevielfalt in den Reitställen, insbesondere bei Freizeitreitern. Man sieht Friesen neben Spaniern, Haflinger, Westernpferde neben Warmblütern, Arabern, Ponys, auch die buntesten Mischungen aus allem.
Multikulturell erscheint das Leben in den Reitställen, schaut man die Herkunft der Pferde an. Selbst wenn sie alle eine Sprache sprechen, so sind die Pferde dennoch durch ihre