Seelenfreunde. Katrin Ehrlich

Seelenfreunde - Katrin Ehrlich


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      Wenn wir wahrnehmen, was wirklich fehlt, erst dann fangen wir an, neue Wege zu suchen.

      Wo früher die Pferde tagaus und tagein durch ihre Arbeiten in der Landwirtschaft, beim Militär oder als wertvolles Transportmittel beschäftigt wurden, war ein Bewegungsmangel durch die damals eher engen Stallungen kein Problem. Heute sieht das anders aus. Die Aufgaben der Pferde entwickeln sich mit unseren Ansprüchen und Lebensformen zeitgleich mit. Pferde sind der Lebensmittelpunkt vieler Menschen und bekommen somit deren Probleme ab. Von ihrem natürlichen Leben entfernt sich das immer weiter.

      Vergleichen Sie sie wieder mit uns Menschen, werden Sie Parallelen feststellen. Unsere heutige Zeit fordert ihren Tribut in allen Lebensbereichen.

      Die Freizeit der Menschen, mit den vielen Möglichkeiten und voller Aktivitäten, ist – unter ständigem Termindruck – heutzutage begrenzt. Zeit ist Mangelware.

      Darunter leiden unsere Pferde, die hauptsächlich als Freizeitpartner dienen. Lebensraum ist nicht nur für Menschen teuer, auch in der Pferdehaltung zählt jeder Quadratmeter. Oft leben die Pferde in Ställen, wo der Lebensraum mit einem Huhn in einer Legebatterie durchaus zu vergleichen ist, weit weg von seinen frei lebenden Artgenossen im natürlichen Lebensraum. Es fehlt vor allem an der für das Pferd lebenswichtigen Bewegung. Die Spirale dreht sich weiter. Um die mit Bewegungsmangel verbundenen Erkrankungen zu therapieren oder das Pferd in dieser künstlichen Welt gesund zu erhalten, erschließen sich neue (mehr oder weniger sinnvolle) Alternativen und neue Berufszweige. Mancher Terminkalender eines Pferdes ähnelt dem seines Besitzers. Training auf dem Laufband oder in der Führmaschine, Phy- siotherapeuten-Termine, Zahnbehandlungen und Solariumsbesuche gehören zum Alltag vieler der wertvollen Rösser.

      Unterforderung, ob in der Bewegung oder in sozialer Beschäftigung, verbunden mit Überforderung durch Aufgaben der modernen Welt, machen Mensch wie Tier krank.

      Dabei benötigt unser großer Freund vor allem gutes Raufutter und ausgesuchte Gräser, Kräuter. Aber auch Laub und Zweige stehen auf dem natürlichen Speiseplan unserer Pferde. Während sie Nahrung zu sich nehmen, sind sie in Bewegung und ständig untereinander im Austausch. Sie fressen in ihrem natürlichen Lebensraum bis zu 18 Stunden am Tag und zwischendurch gehen sie immer ein Stück. Diese regelmäßige Bewegung in Freiheit unter Artgenossen ist für Kopf und Körper mindestens genauso wichtig wie eine gute Ernährung. Pferde sind dafür gebaut, miteinander ständig beschäftigt zu sein. Alles andere macht sie krank – psychisch und physisch.

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      (Foto: Christiane Slawik)

      Die Umstellung der Haltung, etwa durch die Einrichtung von Offenställen und durch artgerechte Bedingungen, geht nur langsam voran. Es fehlt an Platz für die vielen Pferde, die, nicht ausgelastet, in zu engen Ställen ihr Dasein fristen, bis ihr Besitzer einmal Zeit hat, ihnen Bewegungsmöglichkeiten zu schaffen. Leider bedeutet das in unserer vielfach künstlichen Welt nicht immer, dass die Pferde sich nach eigenem Bedürfnis austoben und freudig mit Artgenossen zusammen sein können. Wieder sollen sie nur die Erwartungen des Menschen erfüllen.

      Bewusst leben heißt Verantwortung übernehmen – für sich selbst und für die neben uns.

      Das Pferd wird sich immer den Haltungsumständen anpassen. Kann es das nicht mehr, fangen Schwierigkeiten an, die sich leider nicht durch ein Spe-zialfutter für gute Nerven wegzaubern lassen.

      Unserem Pferd stabilen Kontakt zu Artgenossen, ausreichende Bewegung und Platz sowie eine möglichst natürliche Ernährung zu ermöglichen, liegt in unserer Verantwortung.

      Leistungsdruck in unserer Wegwerfgesellschaft – Oder: Wohin wollen wir tatsächlich?

      Wir Menschen sind klug, denn wir planen. Ohne Ziele, die uns anspornen, wäre das Leben langweilig. Viele Aufgaben, die wir uns selbst stellen, geben Energie und Kraft. Doch wir müssen aufpassen, wenn die Ansprüche zu groß werden. Wir verlieren dann aus den Augen, was uns guttut, und funktionieren nur unter Druck. Ein zentrales Thema dieser Zeit, die mit wachsendem Lebensstandard immer schnelllebiger wird.

      Wir Menschen bewegen uns in einer Hochleistungsgesellschaft, sind diszipliniert und bekommen von klein auf beigebracht, in diesem System zu funktionieren. Doch das hat seinen Preis, wenn der Stress zu groß wird. Burn-out und Depressionen sind die Folgen, sowohl für uns Menschen als auch für unsere Pferde. Leistungsdruck zerstört vieles, was wir suchen, wonach wir uns tief im Innern sehnen: Ruhe und Zeit, Verständnis für- und miteinander.

      Unsere – selbst und von außen – gesetzten Anforderungen übersteigen oft das, was wir tatsächlich zu leisten vermögen. Die Wohnung, das Auto, der Job, aber vor allem die Familie, unsere Kinder und unser Pferd benötigen Zeit. Dabei gerät schnell alles aus den Fugen, wenn das System, das wir um uns herum aufgebaut haben, Lücken bekommt, Pläne nicht mehr aufgehen, wir unter Stress nicht mehr hinhören, nicht mehr mitempfinden können und uns gegenseitig nicht mehr verstehen.

      Familienstreitigkeiten und Krankheiten können schnell jene Existenz gefährden, für die man das ganze Leben hart gearbeitet hat. Ruhe für die Seele hatte da selten Raum, wir agieren nur noch im Vorwärts. Und doch bleibt das nagende Gefühl, nie anzukommen. Der Preis für unseren Komfort ist hoch.

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      (Foto: Christiane Slawik)

      Lernen wir, wieder zu sehen, was unser Herz braucht, welche Schätze wir um uns herum vorfinden, anstatt immer nur hektisch zu suchen, was uns an Materiellem fehlt.

      Unsere Werte und Aufgaben haben sich verändert. Am wichtigsten scheint heute die Leistungsfähigkeit zu sein. Bei den Kindern geht das im Allgemeinen spätestens nach Schulbeginn los – Wertigkeiten der Person werden durch Schulnoten festgelegt, fernab von jeder Suche nach Talenten und Förderung der persönlichen oder sozialen Fähigkeiten. So ist unsere Gesellschaft reich an Wohlstand, jedoch ärmer an sozialen Kompetenzen geworden.

      Die meisten Menschen arbeiten hart, unter anderem für ihre Gesundheitsvorsorge und ihre Rente. Dadurch kommen sie oft an ihr Limit und werden krank. Dabei wissen wir doch längst, dass die Ursache vieler heutiger Krankheiten Stress ist. Wir stehen unter Druck, damit bringen wir unsere Seele und letztendlich unseren Körper in einen dauerhaften Ausnahmezustand.

      Wer in diesem System aus der Reihe tanzt, dabei den Anschluss in der Schule oder im Job versäumt, hat es in unserer Gesellschaft schwer. Zeit und Platz für die nötige Selbstfindung gibt es für diejenigen nicht, die sich in dieser Abwärtsspirale drehen. Psychische und physische Störungen sind die Antworten.

      Die Familien werden kleiner, soziale Netzwerke ersetzen die früheren Großfamilien mit dem entlastenden Austausch untereinander. Das gemeinsame Tischgespräch zu festgelegten Essenszeiten erscheint in manchen Familien schon fast altertümlich. Eltern und Großeltern leben nicht mehr zusammen, sondern sind über weite Entfernungen verstreut. Dadurch fehlt es an Stabilität und vor allem an sozialem Lernen, das früher in Großfamilien von Kindesbeinen an selbstverständlich war. Dazu gehörte auch, die jeweilige Persönlichkeit wahrzunehmen, die Fähigkeit, das Potenzial eines jeden zu erkennen und dieses zu nutzen. Denn jeder hat eine Aufgabe und sollte tun, was er am besten vermag, um für die Gesellschaft von Nutzen zu sein.

      Allerdings sind unsere Chancen für die individuelle Selbstverwirklichung heutzutage größer als je zuvor. Zu keiner Zeit hatten wir so viel Freizeit, verbunden mit einem durchaus komfortablen Leben voller Möglichkeiten.

      Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit besteht darin, wieder das zu finden, was uns guttut, und zu wählen, wie wir unsere wertvolle Lebenszeit verbringen möchten. Nur in dieser täglich neu zu treffenden


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