Seelenfreunde. Katrin Ehrlich

Seelenfreunde - Katrin Ehrlich


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Stress. Wir sollten entschleunigen, sollten die Überholspur immer wieder verlassen, um die wahren Werte des Menschseins und unsere tatsächliche Lebensaufgabe nicht zu vergessen.

      Wie wir selbst soll auch unser Pferd „funktionieren“. Es reist von Fohlenbeinen an weite Strecken, muss sich schnell umstellen und neu einfügen können. Neue Ställe oder auch Besitzerwechsel sind an der Tagesordnung. Dabei sollte es perfekt für unseren Sport einsetzbar sein, danach wird es gewertet und gehandelt. Der Leistungsverweigerer findet keinen Platz in diesem Denken. Ähnlich den Menschen muss auch das Pferd mit dem Druck fertigwerden, den wir ihm zumuten.

      Es muss sich nach Wunsch reiten lassen, gut funktionieren. Als Reitschulpferd, Turniercrack, muss es seine Termine artig erfüllen. Einfach nur Pferd sein, in einem stabilen sozialen Umfeld, das sich Herde nennt, ist in vielen Gegenden nur schwer möglich.

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      (Foto: Christiane Slawik)

      Pferde können nicht sprechen, sodass wir Menschen es eindeutig und unüberhörbar verstehen; ihnen fehlt ein Schmerzlaut, wenn ihnen die Umstände nicht passen oder sogar wehtun. Pferde erdulden lange. Dabei können sie durchaus depressiv werden; die Liste der Verhaltensstörungen und Degenerationserscheinungen in Gefangenschaft ist lang. Weggesperrt in kleinen Boxen müssen sie, wenn sie dann einmal herauskommen, sofort das tun, was sich Reiter für sie ausgedacht haben.

      Die Starken sind da, um den Schwachen zu helfen.

      Das Pferd muss funktionieren, auch bei dem Reiter, der es grob behandelt und nicht hinhört, wenn es sich auf seine Weise wehrt, erst vorsichtig, dann immer massiver. So sollte zum Beispiel ein Pferd ein Dressurpferd werden. Es wird jahrelang dahin getrieben, obwohl es überhaupt nicht geeignet ist. Die Vorstellungen und Ansprüche des Menschen bestimmen das Leben des Pferdes bis in den letzten Winkel seines Daseins – mit oft für beide erschreckenden Konsequenzen.

      Es fehlen Zeit und Bewusstsein, oft auch einfach das Wissen, um genau hinzuhören, was unser Pferd uns sagen möchte. Missverständnisse und Überforderung sind also an der Tagesordnung. Eine Vollbremsung und eine Richtungsänderung erfolgen selten.

      Dass Krankheit oder Widersetzlichkeit durch artfremde Lebensumstände und Stress hervorgerufen werden, für diese Einsicht ist im Denken der Pferdemenschen wenig Platz. Auch hier fehlt es an Zeit, Geduld und Geld, um nach Hintergründen zu suchen, sich fachliches Wissen zum komplexen Geschöpf Pferd und zum anspruchsvollen Reitsport anzueignen und in der Folge problematische Haltungs- und Umgangsformen zu verändern.

      Also werden Pferde krank, wie ihre Menschen entwickeln sie Magengeschwüre und Allergien durch Stressfaktoren, wie einen Stallwechsel oder ähnliche Veränderungen. Dass Pferde unreitbar werden oder ihre Leistung nach einem Stall- oder auch Reiterwechsel einbricht, zeigen Beispiele auch aus dem großen Turniersport.

      Die Schuld, warum plötzlich nichts mehr klappt, wird gern irgendwelchen Krankheiten zugeschoben. Mit den wahren Gründen möchte kaum einer etwas zu tun haben. Das Erkennen und vor allem das Annehmen der Bedürfnisse unseres Gegenübers, hier dem Pferd, fehlen oft gänzlich.

      Unsere Pferde brauchen keine bunte Welt und jeden Tag etwas Neues. Sie zeigen uns, wie sie am glücklichsten sind: in einer stabilen Herde, mit genügend Bewegung und ausreichend gutem Futter. Aller sonstige Überfluss ist Erfindung der Menschen.

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      (Foto: Christiane Slawik)

      Es können sicherlich auch körperliche Probleme Gründe dafür sein, wenn ein Pferd sich nicht mehr reiten lässt oder Schwierigkeiten im Umgang auftreten. Antworten werden bei Experten gesucht. Pferdebesitzer geben heute sehr viel Geld für die verschiedensten Heilmethoden aus, um für ihre wertvollen Tiere Hilfe zu finden. Doch meistens kann der beste Therapeut für körperliche Leiden keine eindeutige Ursache finden, wenn die Pferde sich verweigern. Der Besitzer zahlt gern für Behandlungen, hat er doch die Verantwortung für das Problem abgewälzt. Denn Antworten werden gesucht in einem System, wo Fakten und Zahlen das Denken beherrschen. Dabei verlässt sich der Besitzer oftmals auf die Aussage des Tierarztes und blendet die eigene Aufgabe aus. Das Zutrauen in die eigene Wahrnehmung und der Mut für Veränderung wurden schon längst abtrainiert.

      Der Unterschied zwischen dem domestizierten Tier und dem erwachsenen Menschen ist, dass Menschen für sich auswählen können, welche Entscheidungen sie treffen. Unsere Tiere können es nicht.

      Die Ursachen für so manche Probleme werden schnell in dem ausgerenkten Wirbel oder der verspannten Schulter gesucht. Doch leider liegt in den meisten Fällen das Problem ganz woanders. Pferde wehren sich aus verschiedenen Gründen, die aber immer direkt mit einem Schmerz oder Unwohlsein in der entsprechenden Situation zu tun haben. Das bedeutet, auch wenn ein Pferd lahmt und dieser Schmerz sich nicht nur beim Reiten zeigt, wird das Pferd sich deshalb nicht gegen das Reiten wehren. Reißt jedoch der Reiter beim Reiten so fest am Zügel, dass es dem Pferd im Maul immer wieder Schmerzen bereitet, wird es – früher oder später – versuchen, sich der Situation zu entziehen – um sich selbst zu retten.

      Wenige Pferde verweigern ihre Arbeit gänzlich, auch wenn gerade irgendwas wehtut. Sie liefen früher in Kriegen, zogen Kutschen, bis sie zusammenbrachen, leisteten jeden Job auch unter Schmerzen.

      Warum tun sie das? In ihrer Herde befolgen Pferde immer in der Rangreihenfolge die „Anweisungen“ des Ranghöheren. Das ist überlebenswichtig, denn funktionieren sie als Mitglied in ihrer Gemeinschaft nicht, werden sie verjagt; sie bringen als Störfaktor die Herde in Gefahr. Das ist sicherlich auch der Grund, warum sie im Lauf der Evolution keinen Schmerzlaut entwickelt haben. Würden sie als Beutetier schreien, wenn sie erlegt werden, würde auch das die ganze Herde in Gefahr bringen, denn es würde Feinde auf die Herde aufmerksam machen. Würden Pferde wegen Verletzungen oder Schmerzen der Herde nicht mehr folgen, könnten sie allein nicht lange überleben. Sie müssen folgen, sich bedingungslos anschließen und sich von einem Herdenführer – auch vom Menschen – dominieren lassen, nur dann ist ihnen Schutz sicher.

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      (Foto: Christiane Slawik)

      Wir müssen Verantwortung übernehmen für unser Tun. Leiden zu erzeugen im Dienst unseres Luxuslebens, anderen Wesen zu schaden, um schnell unsere Bedürfnisse zu befriedigen, ist ein Unglück, das auf uns selbst zurückfällt.

      So ist es zumindest in ihren Instinkten festgelegt. Leider ist es oft ein Fehlschluss, einem Menschen zu trauen. Denn er gibt nicht in jedem Fall Sicherheit, sondern verlangt Gehorsam, manchmal über alle Grenzen hinaus. Und so lässt sich unser starkes Pferd leicht zähmen und dominieren, auch wenn es dadurch Schmerzen erleiden und aushalten muss, denn es ist ein äußerst friedliches Wesen.

      Arbeitsverweigerung oder andere Probleme, die nur in Gefangenschaft beim Pferd auftreten, haben ihre Ursache wohl am häufigsten in gegenseitigen Missverständnissen. Auch von Missbrauch darf die Rede sein. Ein Tier, das ursprünglich (oder von seiner Natur her) in Freiheit lebt, muss Dienste leisten, die bei ihm Stress auslösen, körperlich und psychisch. Der Tierarzt wird erst gerufen, wenn nichts mehr geht, dann der Physiotherapeut oder ein Heilpraktiker. Alle tun ihr Bestes und erstellen vielleicht auch körperliche Befunde. Oder der dritte neue Sattel muss angeschafft werden. Dabei wäre eine artgerechtere Haltung oder ein veränderter Umgang vonseiten der Menschen oder besseres Reiten oftmals die einzige erfolgreiche Therapie.

      Es fehlt an spezialisierten Psychologen oder umfassend ausgebildeten Reitlehrern und Trainern für die Pferde, die sich professionell mit den Bedürfnissen der Tiere auseinandersetzen und zielgerichtet helfen können. Denn es gibt mehr psychische Probleme beim Pferd, als viele glauben. Unarten wie Koppen,


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