Die Wilderer von der Schinderleit'n. Siegmund Klakl

Die Wilderer von der Schinderleit'n - Siegmund Klakl


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von der Seite. Hartmut zahlte wieder ein paar Runden Obstler und amüsierte sich weiterhin über seine feine Gattin, deren überschäumende Fröhlichkeit und das erstaunliche Leuchten in ihren Augen, das er in Berlin niemals zu sehen bekam.

      Am nächsten Tag verabredeten sich die beiden Jäger zu Mittag. Wastl wollte mit seinem Gast zur Jagdhütte oben im Stierkar und dort auch übernachten. „Die Jausn richtet uns die Liesl, ois aundere is eh obn ba da Hittn“, brummte der Jagdführer und zog genüsslich an seiner Pfeife. Für Hartmut war das die Krönung. In der Jagdhütte übernachten, das durften bei Weitem nicht alle Gäste, und es erhob ihn in eine Art adeligen Ritterstand. So empfand er es jedenfalls, und seine Augen leuchteten, dass es eine Freude war. Und Brigitte freute sich mit ihrem mutigen Jägersmann. Pünktlich um 12 Uhr Mittag rauschte der Jeep vom Hof, am Rücksitz mit temperamentvoller Jagdfreude Hirschmann, der treue Bayerische Gebirgsschweißhund von Wastl. Der Fahrweg reichte weit hinein ins Tal und endete am unteren Ende des Weitgrabens. Von dort war’s dann noch ein einstündiger Aufstieg bis zur Hütte, die sich knapp unter der Baumgrenze neben der Quelle eines kleinen Bächleins in eine windgeschützte Mulde drückte, so idyllisch, so urtümlich, dass Hartmut meinte, in einem romantischen Heimatfilm gelandet zu sein. Gemächlich sperrte Wastl die Hüttentür auf, öffnete beide Fenster und die knarrenden Balken und ließ die frische Bergluft herein. Hartmut saß auf dem wackeligen Bankerl vor der Hütte und konnte sich nicht sattsehen. Die herbstliche Sonne warf ihr mildes Licht auf die Bergrücken ringsum, die rötlich-gelb verfärbten Lärchen standen wie brennende Kerzen im schütteren Fichtenwald.

      Nachdem der Wasserzulauf zum Brunnen ausgeputzt war und im Ofen Feuer brannte, mahnte Wastl zum Aufbruch. Unweit der Hütte befand sich an eine alte Zirbe gelehnt ein Bodensitz, von dem aus man das ganze Stierkar absehen konnte, dorthin setzten sie sich und hofften Aufschluss darüber zu erhalten, wo sich die Hirsche herumdrückten.

      Und tatsächlich, ganz drüben unter der Gamsstelle, einem mächtigen Felsbrocken unterhalb des Wettersteins, sahen sie in den wuchernden Latschenfeldern die Geweihe von zumindest fünf Hirschen hin und her wacheln. Weiter unten auf einer Blöße standen sogar einige Stück Kahlwild, und etwas später zog ein passabler, aber viel zu junger Kronen-Zwölfer ganz gemütlich knapp am Bodensitz vorbei. Oben, unter dem Karlspitz, tummelte sich eine Schar Gämsen, die Kitze genossen die herbstliche Sonne mit übermütigem Spiel, und irgendwo mitten im riesigen Kar hörte man hin und wieder auch ein Murmeltier pfeifen. Für ein Angehen der Hirsche war es schon zu spät, die Dämmerung kroch bereits herauf aus dem dunklen Tal. Die beiden Jäger verließen vorsichtig ihren Posten und pirschten zur Hütte zurück. Wastl stellte Teewasser auf den Herd, in dem es heimelig knisterte, und dann machten sie sich über die Jause her, die ihnen Liesl in den Rucksack gepackt hatte. Bei einigen Häferln staubigen Jägertees wurde so einiges erzählt. Wastl bediente sich wie immer bei solchen Gelegenheiten seiner Lieblingssprache, dem Jägerlatein. Hartmut gefiel das, er wusste, dass er nicht alles glauben musste. Andächtig lauschend und leicht angesäuselt gab er sich der archaischen Rauheit der Wildnis hin und verschwendete kaum einen Gedanken an seine im Gasthaus zurückgebliebene Brigitte.

      Zeitig am Morgen machten sie sich wieder auf die Socken. Das Morgengrauen warteten sie im Bodensitz an der alten Zirbe ab, dann prüfte Wastl mit großer Sorgfalt den Wind, leuchtete noch einmal sehr bedächtig das ganze Kar mit seinem Fernglas ab und resümierte schließlich kurz und bündig: „Passt!“ Ein Pirschsteig führte auf halber Höhe bis hinüber zur Gamsstelle, geschickt angelegt und immer wieder die Deckung von kleinen Baumgruppen oder Latschenfeldern ausnutzend, den nahmen sie jetzt, Hirschmann an der Leine bei Fuß. Wastl mahnte zu äußerster Vorsicht, hinter jeder kleinen Biegung konnte Hochwild stehen. An einem kleinen Bächlein vorbei mussten sie ein Stück steil bergauf steigen, um ein Latschenfeld zu umgehen. Dann schoben sie sich auf dem Boden robbend über die nächste Kuppe. Unter ihnen, auf einer kargen Wiese zwischen Steingeröll und Latschen, ästen zwei Hirsche! Wastl griff zum Glas und sprach an – eine unendlich lange Zeit lang, so schien es Hartmut, dessen Herz ihm nun bis zum Halse schlug. Hirschmann lag brav fünf Meter hinter den Jägern, ein aufgeregtes Hecheln konnte er aber nicht unterdrücken. „Traust di schieaßn? Es is holt vadaumt weit!“, raunte Wastl seinem Gast zu. Es waren wohl über 200 Meter. Hartmut nickte mit zittrigen Händen. „In rechten nimmst, loss da aber Zeit, woat, bis a broad steht.“ Hartmut ging in Anschlag, Wastl hatte ihm seinen Rucksack als Auflage gerichtet. Es dauerte eine Weile, bis er sich in seiner Lage einigermaßen sicher fühlte, dann atmete er durch, tief und lang, und spürte trotzdem seine Hände zittern. Er suchte durch das Zielfernrohr seinen Hirsch, setzte wieder ab, atmete noch ein paar Mal tief durch und nahm all seine Konzentration zusammen, denn jetzt stand der Hirsch breit. „Hoch aunfoarn muasst, hiaz kaust schiaßn!“ Der Schuss gellte hinaus und hallte wider im ganzen Kar, der Hirsch zeichnete nur schwach und trottete hinter eine kleine Latschengruppe. „Repetieren!“, rief Wastl mit einiger Aufregung und behielt sein Glas oben, unverwandt die Stelle im Auge behaltend, an der der Hirsch verschwunden war. Es dauerte tatsächlich nicht lange, und der Hirsch trat unterhalb der Latschen wieder aus. Er stellte sich breit, mit seinem Haupt immer wieder heftige Bewegungen nach hinten vollführend. „Schiaßn!“, befahl Wastl, und schon krachte der zweite Schuss aus der Büchse des Berliner Jägers. Der Hirsch brach auf der Stelle zusammen und lag im Feuer. Wastl nahm sein Glas nicht herunter und wies Hartmut an, noch einmal zu repetieren, es wäre nicht das erste Stück, das nach einem Krellschuss zusammenbricht und nach ein paar Sekunden wieder auf den Läufen ist. Doch der Hirsch war verendet, nach ein paar Minuten klopfte Wastl seinem Gast freudig auf die Schulter. „Weidmannsheil!“

      Hartmut stand der Schweiß auf der Stirn, nun sank er in sich zusammen und – es war nicht zu verhehlen – eine Träne kollerte ihm über seine Wange. Wastl steckte sich ein Pfeiferl an und beruhigte seinen Jagdgast mit einem kräftigen Schnapserl, dann machten sie sich auf zum erlegten Hirsch. Für Hirschmann war dabei nichts zu tun, sie sahen den Kapitalen ja schon von weitem daliegen. Der Hund freute sich aber trotzdem und begann ein aufgeregtes „Totverbellen“. Es war ein reifer Hirsch, der ungerade Vierzehn-Ender prahlte mit einer ungewöhnlich weiten Auslage. Hartmut war selig, er steckte sich den von Wastl feierlich überreichten Latschenbruch mit stolz geschwellter Brust an seinen Hut und den letzten Bissen in den Äser des erbeuteten Hirsches. Die „rote Arbeit“ verrichtete Wastl. Auf der Suche nach Ein- und Ausschuss allerdings kam er aus dem Staunen nicht heraus. Am Ziemer oberhalb des Blattes war eine Fleischwunde zu sehen, das war gewiss der erste Schuss, der den Hirsch nur gestreift hatte, mit den Bewegungen seines Hauptes hatte der Hirsch wohl versucht, mit seinem Lecker die schweißende Wunde zu erreichen. Doch von einem tödlichen Einschuss war nichts zu sehen. Kopfschüttelnd erledigte Wastl den Aufbruch, drehte den Hirsch von links nach rechts und wieder zurück – kein Einschuss! „I moan, den Hirsch hot da Schlog troffn“, meinte er noch, doch dann, bei der nochmaligen Betrachtung des majestätischen Geweihs, fiel ihm ein Schweißtropfen am Haupt des Hirsches knapp hinter dem rechten Licht auf. Da saß der Schuss! Der Berliner Jäger hatte seinen Kapitalen mit einem Kopfschuss erlegt, auf 250 Meter, offenbar in dem Moment, als der Hirsch zum wiederholten Male sein Haupt zurückwarf, um an seine Schusswunde am Ziemer zu gelangen! Da kann man auch unter Jägern einmal von Glück sprechen.

      Wastl zog den Hirsch ein Stück weit unter die Latschen und verblendete ihn, denn zur Bringung musste er sich einen Gehilfen holen, alleine war das nicht zu schaffen. Die beiden Jäger gingen zurück zur Hütte, um dort alles aufzuräumen und die Balken zu schließen, dann ging es frohen Schrittes hinunter ins Tal. In der Gaststube – es war später Vormittag – stand abermals der Jäger Sepp in seiner Krachledernen mit leichten Ringen unter den Augen an der Theke und trank ein Bier. Der Beutebruch an Hartmuts Hut war gut sichtbar, also stürmte er ihm gleich entgegen. „Weidmannsheil! Weidmannsheil!“, dröhnte er durch die Stube, „Wird’s dou nou zan Hirschn ziagn!“ Hartmut wunderte sich ein bisschen darüber, dass der Sepp nicht nur nach Bier und Tabak roch, sondern auch von einer irgendwie vertraut wirkenden, eigentümlich lieblichen Duftwolke umnebelt schien, doch was kümmerte ihn das, er freute sich darüber, dass er seine Hilfe anbot und sich über den Jagderfolg mitfreute.

      Nach einem zünftigen Schnapserl, mit dem sie den Schützen hochleben ließen, machten sich Sepp, Wastl und der Jagdgehilfe Franz auf den Weg, den Hirsch aus dem Stierkar zu holen. Hartmut zog sich zurück in sein Zimmerchen, wo er seine Brigitte im reizvollen Negligé vor dem


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