Die Wilderer von der Schinderleit'n. Siegmund Klakl
entgegen, drückte und herzte ihn überschwänglich und wünschte ihm „Weidmannsheil“.
Drei Stunden später lag der Hirsch am Vorplatz des Gasthauses, gebettet auf Fichtenästen und Latschen, das Geweih stolz aufgerichtet. Rundum versammelte sich alles, was Beine hatte in dem kleinen Dorf und selbstverständlich alle Jäger des Stammtisches, die sich so eine Hirschfeier niemals entgehen ließen. Wastl griff sogar zum Jagdhorn und schmetterte mit Inbrunst das „Hirsch tot“ in den wolkenlosen Nachmittagshimmel. Drei der anwesenden Jäger erwiesen sich als passable Sänger und jodelten ein paar Jägerlieder in die Runde, bis dann der Hias mit seiner Harmonika kam und das Ganze beinahe zu einem Volksfest werden ließ – ein Ganghofer’sches Spektakel vor dem Gasthaus von Elisabeth und Sebastian in dem kleinen Dorf in den steirischen Bergen.
Keiner der Jäger wollte die Geschichte mit dem Kopfschuss glauben, alle lachten sie über diese maßlose Aufschneiderei, und jeder einzelne suchte den Wildkörper nach einem Einschuss ab. Doch es war tatsächlich keiner zu finden. Allesamt blieben ein wenig ratlos, sie sahen den Schuss am Haupt des Kapitalen mit ihren eigenen Augen, aber glauben wollte es dennoch keiner so richtig.
Am Abend gab es dann in der Gaststube noch geröstete Hirschleber mit Kartoffeln und weiterhin zu trinken, was hineinpasste in die durstigen Kehlen. Es wurde wahrlich ein feuchtfröhliches Fest, und Hartmut schwebte auf Wolken, betrunken und glückselig lallte er jedem einzelnen seine Geschichte vom Jagderlebnis vor – dass sich der Jäger Sepp außergewöhnlich heftig um seine Frau Brigitte kümmerte, berührte ihn nur am Rande. Am Ende des Gelages gingen Hartmut und Brigitte Hand in Hand hinauf in ihr Zimmerchen und beide trugen, wenn auch aus recht unterschiedlichen Gründen, ein Leuchten in ihren Augen, das sie in Berlin niemals voneinander zu sehen bekamen.
Und der Jäger Sepp schnalzte mit der Zunge und barg ein weiteres süßes Geheimnis hinter seinen feurig funkelnden Augen.
Der Bock vom Unterland
In meinem herrlichen Bergrevier, das ich damals in Pacht hatte, gab es ein kleines Problem, wirklich ein kleines, sozusagen ein „Luxus-Problem“. Denn während ich dort mit freudvollen Erfolgen – im bescheidenen Rahmen natürlich – auf Rotwild und Gams, Birkhahn und Murmel und sogar auf den großen Hahn jagen konnte, war der Rehwildbestand lausig. Vom Sepp, meinem guten Freund und Besitzer dieser Eigenjagd, wusste ich, dass mein Vorgänger als Pächter darauf gar keinen Wert gelegt und auf die Rehwildhege vollkommen verzichtet hatte. Ich erhielt dann zwar die Erlaubnis, eine sorgsam eingezäunte Rehfütterung zu errichten, doch um den Bestand nachhaltig zu verbessern, musste man sich schon einige Jahre gedulden. Und mein Jägerherz, das sich so sehr danach sehnte, einmal einen richtig guten Bock zu erlegen, wurde auf eine harte Geduldsprobe gestellt.
Doch wie so oft im Leben, wenn eine Tür klemmt, dann geht zuweilen eine andere auf. Und Jägerstammtische gibt es ja auch nicht ganz umsonst. Von so einem Stammtisch kannte ich den Fritz, einen sogenannten „Landler-Bauern“ (wir nannten sie so, weil sie ihre Höfe unten „am Land“ hatten, meist viel größer und viel leichter zu bearbeiten als die Bergbauernhöfe bei uns heroben). Fritz hatte seine Eigenjagd da unten, mit prächtigen, ebenen Wiesen und Äckern, dafür aber nur mit einem kleinen Waldanteil. Er hatte auch keine Alm, denn die Berge, die es dort gab, waren weit niedriger und über ihre Rücken hinweg bewaldet. Und so gab es in seinem Revier natürlich keine Gämsen!
Der eine möchte also für sein Leben gern einmal eine Gams schießen, der andere sehnt sich danach, einmal auf einen guten Rehbock zu gehen. Was tut also St. Hubertus? Er führt die beiden zusammen und lässt sie einen Handel abschließen. „I lod di ein auf an guaten Rehbock ba mir im Revier, dafür derf i im Spotherbst ba dir a Gams schieaßn, wos sogst dazua?“, meinte Fritz eines Tages bei einem sonntäglichen Frühschoppen beim Pfandlwirt. Dagegen war nun wirklich nichts zu sagen, eine wunderbare Idee, wir gaben uns die Hand drauf, und der Austausch war zu beider Zufriedenheit besiegelt.
Ende Juli rief mich Fritz an, er hätte bereits einen sehr guten Bock bestätigt, die Brunft wäre schon in vollem Gange und ich könnte jederzeit kommen. Wir vereinbarten für den kommenden Freitag den Abendansitz. Ich teilte es mir so ein, dass ich auch Samstag und Sonntag noch als Jagdtage zur Verfügung hatte, für alle Fälle.
„Eine knappe Autostunde trennt mich noch von meinem kapitalen Rehbock“, dachte ich, als ich meine Jagdsachen sorgfältig in den Kofferraum packte. Ich sollte so gegen 17 Uhr am Hof von Fritz gestellt sein. Ich war pünktlich, Fritz hatte noch einige Dinge zu erledigen, wie das auf einem Bauernhof eben so ist, doch gegen 18 Uhr brachen wir auf.
Die Sonne stand noch hoch und drückte uns ihre brütende Hitze unbarmherzig ins Gesicht. Wir pirschten einen von Birken und Pappeln gesäumten Wiesenweg leicht bergan, erreichten einen Waldstreifen, durch den ein gerade noch erkennbarer Jägersteig führte, und kamen leicht verschwitzt zu einem Hochsitz am Rande einer geradezu märchenhaften Wiese, eingesäumt von dichtem und saftigem Mischwald, nur gegen Süden hin leicht geöffnet hinaus auf die wogenden Getreidefelder. „Vor drei Tog hot da Bock do a Gaoß über die gaunze Wiesn triebn“, raunte mir mein Pirschführer zu, wir setzten uns auf den etwas wackligen Hochsitz und harrten der Dinge, die da kommen würden.
Fast zwei Stunden lang wurden wir von Mücken und Gelsen umschwirrt, man konnte also nicht sagen, dass wir keinen Anblick gehabt hätten, aber jagdbares Wild war nicht zu sehen. Dann trat am südlichen Wieseneck doch noch eine Geiß mit einem starken Kitz aus, die beiden genossen sichtlich die würzigen Leckerbissen der üppigen Wiese, Bock war aber keiner zu sehen. Beim Abbaumen meinte Fritz, dass so etwas natürlich schon vorkommen könnte. Er zeigte mir noch einen Pirschsteig, der in nordwestliche Richtung weiterführte zu einer anderen, kleineren Blöße, wo sich der Bock auch herumtreiben könnte, dort müsste man vielleicht auch einmal Nachschau halten.
Zu Hause angekommen, musste ich natürlich noch mit hinein in die Stube auf einen Schnaps und ein Bier, ich lernte seine fesche und resche Bäuerin Cilli kennen, und wir plauderten ein Weilchen. Fritz eröffnete mir schließlich, dass ich ab sofort alleine auf Ansitz gehen könne, ich wisse ja jetzt schon Bescheid. Auf die Wiese und den kleinen Schlag dahinter solle ich mich konzentrieren und natürlich auf den starken Bock, den er mir noch einmal beschrieb, so gut er konnte. An der linken Stange hätte er ein zusätzliches Ende nach hinten, das mache ihn unverwechselbar. Er selbst hätte gerade jetzt sehr viel Arbeit am Hof und am Feld, das möge ich verstehen. Freilich verstand ich das, und ich freute mich über das Vertrauen, das er mir damit entgegenbrachte. Ich kündigte an, schon am nächsten Morgen wieder hinauszugehen und verabschiedete mich nach einem gemütlichen Plauderstündchen frohgelaunt.
Es war bereits nach Mitternacht, als ich nach Hause kam, meine liebe Ehefrau war noch wach, sie hatte schon befürchtet, mich abholen zu müssen, weil ich beim Bock-Feiern versackt war. Nein, aber im Sommer ist der Tag halt so lang, man sitzt fast bis halb zehn am Hochsitz, und bis dann alles besprochen ist und die lange Heimfahrt …
Um halb 4 Uhr rasselte der Wecker, um halb 5 Uhr saß ich wieder auf dem Hochsitz. Unten am offenen Teil der Wiese meinte ich im diffusen Grau der langsam zurückweichenden Nacht die Umrisse von zwei oder drei Rehen zu erkennen, doch sie entschwanden, bevor mir das Licht des heraufdämmernden Tages erlaubt hätte, sie anzusprechen. Etwas später stand dann im rechten Eck der Wiese auf einmal ein junger Bock, suchte ein wenig nervös herum und drückte sich bald wieder ins Holz.
Die Sonne hob sich hinter meinem Rücken in den stahlblauen Himmel, ein prachtvoller Tag zog herauf, nur die Wiese vor mir blieb leer. Also pirschte ich bedächtig zurück, sah im großen Feld hinter dem Bauernhof weit entfernt noch drei Rehe, dann setzte ich mich ins Auto und rauschte nach Hause. Am Abend wollte ich etwas früher hinaus und nahm mir vor, auch meinen Rehfiep mitzunehmen (damit war ich damals allerdings noch sehr ungeübt).
Es war wirklich ein sehr heißer Tag, die Luft flimmerte noch, als ich es mir wieder gemütlich machte „im vorderen Winkel“, wie Fritz diesen Revierteil nannte. Und es dauerte tatsächlich nicht lange, ich drohte gerade ein wenig einzudösen, da stürmte eine Geiß daher, getrieben von einem Bock, den ich