Die Wilderer von der Schinderleit'n. Siegmund Klakl

Die Wilderer von der Schinderleit'n - Siegmund Klakl


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in einem Art „Hexenring“, doch so schnell wie sie gekommen waren, verließen sie die Bühne auch wieder. Ich war sicher, dass sich der Dreijährige darüber im Klaren war, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte, nämlich im Einstandsgebiet eines viel stärkeren Bockes. Aber der zeigte sich nicht. Ich fiepte ein paarmal ein wenig zaghaft, die gewünschte Wirkung blieb aus. Ein malerischer Sonnenuntergang half mir über die erste leichte Enttäuschung hinweg.

      Sonntag früh setzte ich mich wieder auf den Hochsitz, wieder sah ich den jungen Bock, diesmal ganz unten an der Wiesenöffnung, wie er seine Geiß ins Getreidefeld trieb. Kurz meinte ich, einen zweiten Bock gesehen zu haben, zum Ansprechen reichte es aber nicht.

      Am Abend erinnerte ich mich an den Steig, den mir Fritz bei unserem ersten Ansitz gewiesen hatte, und pirschte ihn mit äußerster Vorsicht entlang, bis ich den kleinen Kahlschlag erreicht hatte, den der Fritz „hinterer Winkel“ nannte. Die Himbeerstauden waren gerade dabei, von der kleinen freien Fläche Besitz zu ergreifen, für einen Hochsitz hatte Fritz wohl noch keine Zeit gehabt. Ich kauerte mich an einen alten Wurzelkörper und konnte den Schlag ganz gut überblicken, also beschloss ich, sitzen zu bleiben. Vielleicht hatte der Bock seinen Einstand ja tatsächlich bis hierher ausgeweitet.

      Nach einigen Minuten versuchte ich es mit dem Lockruf der Geiß. Nichts! Doch kurz bevor das Büchsenlicht zu schwinden drohte, stakste tatsächlich ein Reh aus dem Altholz. Es war ein Bock! Sehr starker Körperbau, aber doch irgendwie jugendlich, das Krickel massig und stark vereckt, aber kaum über Lauscher hoch. Das war nicht der Bock, den mir Fritz beschrieben hatte, das war ein junger, gut veranlagter, dem man jedenfalls noch ein paar Jahre geben sollte. Ich schaute ihm eine Zeit lang zu, wie er sich ein paar Blätter von den frischen, saftigen Stauden zupfte und schließlich verschwand, wie er gekommen war.

      Als ich um die Stadlecke des stattlichen Bauernhofes einbog, stand der Fritz vor der Haustüre und rief mir von weitem schon ungläubig zu: „Wos is lous, wou is da Rehbock?“ Ich erzählte ihm wahrheitsgetreu, wie es mir ergangen war, und Fritz schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber der Bock is do, deis is gaunz sicher, do muasst hiaz draubleibn, du kaust jederzeit ausigeih, wias’d holt Zeit host!“ Er zog mich mit hinein in die Stube, wo Cilli bereits eine zünftige Jause für mich aufgetischt hatte. „Mia hätt ma uns schou denkt, dass du heit mit’n Bock hoamkimmst“, grinste mich die Bäuerin an und stellte mir auch noch ein Bier auf den Tisch.

      Nun hatte ich leider neben der Bockjagd auch noch etwas anderes zu tun und musste die nächsten Tage aussetzen. Am Mittwoch zum Abendansitz war ich aber wieder zur Stelle, eine kurze Besprechung mit Fritz ergab keine neuen Erkenntnisse, also setzte ich mich wieder auf den Hochsitz im „vorderen Winkel“. Das Wetter hatte umgeschlagen, der Himmel war bedeckt, und es war erheblich kühler, doch der Wind stand gut. Nur der Bock kam nicht. Auch am darauffolgenden Morgen saß ich drei Stunden vergebens auf dem Hochsitz. Ich muss gestehen, dass mich bereits die ersten Zweifel beschlichen, doch am Abend kam die Wende. Ich wagte ein paar zaghafte Fieplaute, und nach ein paar Minuten stand er da! Tatsächlich ein kapitaler Bock, so wie Fritz ihn mir beschrieben hatte, mit dem auffälligen, zusätzlichen Ende auf der linken Stange. Zur gleichen Zeit erschien allerdings von mir unbemerkt in der anderen Ecke der Bühne eine Geiß, und da war es um den Bock natürlich geschehen. In hohen Fluchten jagte er über die ganze Wiese, erreichte seine Angebetete und verschwand mit ihr im Unterholz, so schnell konnte ich gar nicht schauen.

      Ich wartete bis zum allerletzten Büchsenlicht, doch sie kamen nicht mehr zurück. In der Bauernstube beim Fritz und bei der Cilli erzählte ich freudestrahlend von meinem Anblick und Fritz schmunzelte vor sich hin: „Na jo, auf an guaten Bock muass ma schou a poarmol geihn, sunst hot man neit vadient, deis is a oide Haubn.“ Ich nahm das zur Kenntnis, fuhr nach Hause und plante auch das kommende Wochenende jagdlich.

      Am Freitagabend erschien im unteren Wieseneck gegen das Getreidefeld hin wieder der Dreijährige. Am Samstag blieb ich den ganzen Tag unten im „Unterland“, streifte auch über Mittag durchs Revier, fiepte da und dort, bekam noch einen weiteren jungen Bock in Anblick, der ebenfalls mit einer Geiß beschäftigt war. Am Sonntag in der Früh regnete es in Strömen, da trat mein Kapitaler ganz unten kurz aus dem Getreidefeld, für einen weidgerechten Schuss war es jedoch viel zu weit. Am Abend packte ich nach weiteren drei Hochsitzstunden meine Sachen und fuhr nach Hause, ein bisschen enttäuscht war ich schon. Fritz sprach mir unermüdlich Mut zu, ich solle nur ja nicht verzagen, ich würde ihn schon kriegen, versprach er mir.

      Meine allerliebste Ehefrau, die verständnisvollste von allen, konnte nicht umhin, ihrem Befremden darüber Ausdruck zu verleihen, dass ich so unglaublich viel Zeit dafür verwendete, einem Rehbock nachzujagen. Meine Erklärungsversuche scheiterten erwartungsgemäß. Aber immerhin erkämpfte ich mir das Recht, auch das folgende Wochenende noch einmal jagdlich zu planen.

      Mit Optimismus, der allerdings durchwachsen war von einem Hauch von Verzagtheit, das muss ich gestehen, machte ich mich auch am folgenden Freitag wieder auf den Weg ins Unterland. Mein Freund Fritz versicherte mir, dass er den bewussten Revierteil die ganze Woche über in Ruhe gelassen hätte und dass er nach wie vor sicher wäre, dass der Bock im vorderen Winkel seinen Einstand hätte. Das Wetter war gut, der Wind mäßig, als ich mich am Hochsitz einrichtete, stand er mir im Gesicht, also beste Voraussetzungen.

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      Eine gute Stunde tat sich nichts, ich genoss den lauschigen Abend und ließ mich von Vogelgezwitscher und Grillengezirpe verzaubern. Den Rehfiep packte ich nicht mehr aus, Fritz hatte gemeint, ich solle das lieber bleiben lassen. Und dann auf einmal: der Bock! Da stand er, dicht am Waldrand rechts oben, mit dem Stich zu mir, ich hatte das Gefühl, er äugte mir direkt in meine Augen! Langsam, wirklich ganz langsam hob ich das Glas, um mich zu vergewissern, der Bock stand da wie angewurzelt. Er war es, ohne Zweifel. Und wieder ganz langsam griff ich zur Büchse, der Bock konnte mich nicht im Wind haben, irgendetwas schien ihm aber doch nicht ganz zu passen.

      Er begann zu äsen, warf aber immer wieder in kurzen Abständen auf. Er stand immer noch spitz, zog herein auf die Wiese, wurde immer schneller und sprang schließlich flüchtig gegen das Altholz zurück. Ich hatte ihn im Zielfernrohr. Jetzt sprach ich ihn nicht mehr an, sondern ich schrie ihn an. Und da machte er das „Haberl“, das sein Schicksal besiegeln sollte. Der Schuss krachte hinaus in die abendliche Dämmerung, so laut, kam mir vor, dass ihn auch meine Frau oben am Tauern gehört haben musste. Und wenn nicht den Schuss, dann den Jauchzer, der mir gleich darauf entfuhr, denn der Bock lag im Feuer! Es war bei Weitem der beste Bock, den ich bis dahin erlegt hatte.

      Das war dann natürlich ein großes Hallo beim Fritz, der rief gleich noch ein paar Nachbarn zu sich ins Haus, und die emsige Cilli trug Jause und Getränke auf, dass sich der alte Bauerntisch bog, eine Bockfeier der zünftigen Art nahm ihren Lauf. Von Fritz bekam ich dann noch so eine Art Orden: Er hätte schon vielen Jägern einen Bockabschuss in seinem Revier ermöglicht, ich wäre derjenige gewesen, der mit Abstand am längsten dazu gebraucht hatte! Ich habe nachgerechnet, es waren 16 Pirschgänge gewesen. „Zache Jaga mochn Wüdbrat!“, lobte mich der Fritz und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Und meine liebe Frau oben am Tauern war auch nicht sonderlich böse darüber, dass ich die Nacht im gastlichen Haus von Fritz und Cilli verbrachte, an ein Nachhausefahren war nicht zu denken.

      Als wir im November das erste Mal ins Stierkar aufstiegen und Ausschau hielten nach einem passenden Gamsbock für Fritz, dachte ich kurz darüber nach, ob ich es ihm nicht auch ein wenig schwerer machen könnte und ihn zumindest beim ersten Mal auf gar keinen Fall zu Schuss kommen lassen sollte. Aber den Gedanken verwarf ich gleich, denn so etwas rächt sich meistens. Ich sah an diesem kalten und klaren Novembertag die Gämsen schon von Weitem in den Wandeln stehen, wir kamen bei passendem Wind gut heran, und Fritz erlegte mit sicherem Schuss seinen Gamsbock. Und die Freundschaft eines Gebirgsjägers mit einem Landler-Bauern, die mit einem jagdlichen (Bock-)Handel begonnen hatte, war für lange Zeit gefestigt.

       Der Wödhabel-Luis

      Einen hatten wir in unserem Dorf, der hieß Alois. Jedenfalls war das sein richtiger Name. Die Leute nannten ihn alle Luis. Der Luis war ein riesenhafter


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