Frauenfragen – Männer antworten. Mari Lang
wollenden Wäschebergen und der Hoffnung, mich selbst dabei nicht zu verlieren, oft verzweifelt bin, habe ich mir immer wieder vorgestellt, wie es wohl sein muss, alleinerziehend zu sein. Vor jedem Menschen in dieser Situation habe ich den allergrößten Respekt, und trotzdem ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich vor alleinerziehenden Frauen mehr Respekt habe als vor Männern. Denn bei allem Bestreben, eine moderne Feministin zu sein, traue ich ihnen diese Aufgabe insgeheim nicht zu 100 Prozent zu. Habe ich das jetzt wirklich geschrieben? Ja, und zwar, weil ich mir vorgenommen habe, in diesem Buch so offen wie möglich zu sein, mich mit meinen eigenen tief sitzenden Geschlechterklischees und Vorurteilen zu konfrontieren und sie zu hinterfragen. Denn nur so ist es möglich, sie zu verändern. Und nachdem Christian Kern, als er mit 22 Jahren zum ersten Mal Vater wurde, eine Zeit lang alleinerziehend war, habe ich jetzt die perfekte Gelegenheit dazu. „Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du plötzlich Solo-Papa warst?“, will ich wissen. Das ist ja schon eher ungewöhnlich. Denn immer noch sind laut Statistik Austria nur 11,7 Prozent11 der Alleinerziehenden Männer, und vor rund 30 Jahren waren es sogar noch weniger. „Mit meiner ersten Frau war das lange so eine Hop-On-Hop-Off-Sache. Als wir uns zum ersten Mal getrennt haben, wollte sie das Leben durchaus mehr genießen, ich meine das nicht böse. Das ist halt so eine Entscheidung. Aber für mich war immer klar, dass ich mich da nicht aus der Verantwortung stehlen kann. Ich werde jedenfalls nie vergessen, wie es war, wenn mein Sohn in der Früh in mein Bett gekommen ist, auf allen Vieren über meinen Brustkorb gekrabbelt und dann seufzend wieder neben mir eingeschlafen ist. So lange das her ist, fast 30 Jahre mittlerweile, das wirst du im Positiven nicht mehr los“, erinnert sich Kern. Ich höre ihm aufmerksam zu und frage mich, ob ich auch einmal so verklärt über diese erste Zeit mit Baby sprechen werde oder ob Kern und ich, was das Gefühl über ein Leben mit Kindern betrifft, einfach aus anderem Holz geschnitzt sind. Ich tippe eher auf Zweiteres. „Ich bin so ein Kinderfreund“, sagt Kern. „Ich habe auch mein Studium, bevor mein Ältester geboren wurde, als Babysitter finanziert. Wenn du mir ein Baby hinhältst, bin ich hin und weg.“ Das kann ich von mir definitiv nicht behaupten. Ich liebe zwar den Geruch von Babys und ihre zerknautschten Gesichter, ich liebe ihre unbändige Neugier auf die Welt und ihre Kuscheligkeit, aber es gibt mindestens genauso viele Aspekte, die ich an Babys nicht mag. Schon gar nicht an fremden.
Ich erzähle Kern, dass es bei uns im Kindergarten einen alleinerziehenden Vater gibt, und dass der immer sehr viel Verständnis für seine Situation erfährt. „Wie war das denn bei dir?“, will ich wissen. „Genauso. Bis zum Abwinken wirst du als alleinerziehender Mann bewundert und giltst als Sensation“, meint der 54-Jährige. „Da haben es Frauen wirklich schwerer, das ist überhaupt keine Frage.“ Und dann spricht er mit Begeisterung vom Roman „About a boy“12, in dem sich ein Mann als Alleinerziehender ausgibt, um an attraktive Single-Mütter ranzukommen. „Das ist eine großartige Geschichte, an die ich mich manchmal erinnert gefühlt habe. Also nicht wegen dem Aufreißen, aber wie du da bei Frauen im Mittelpunkt stehst und auch ganz anders gesehen wirst. Das ist völlig unangemessen und fast skurril.“ Negative Reaktionen hat Kern als alleinerziehender Vater jedenfalls nie erlebt. Eigentlich seltsam, denn genauso oft wie Solo-Väter beklatscht werden, erleben sie Ablehnung und Skepsis – siehe meine eigenen Vorurteile. Wissenschaftlich abgesicherte Informationen zu alleinerziehenden Vätern gibt es noch relativ wenige. Erfahrungsberichte zeigen jedoch, dass sie es ähnlich schwer haben wie Frauen, nur eben auf anderer Ebene. Während Alleinerzieherinnen nämlich vor allem finanzielle Sorgen quälen und sie ihren Beruf rechtfertigen müssen, um nicht als Rabenmütter zu gelten, kämpfen Männer mit dem Fehlen eines klaren Rollenbildes. Sie werden oft nicht ernst genommen, müssen sich mehr erklären und tun sich schwerer, Gleichgesinnte zu finden.13 Eine neuere Untersuchung besagt außerdem, dass alleinerziehende Väter eine dreimal höhere Sterberate als Single-Mütter oder Frauen und Männer haben, die in Beziehungen leben. Dass sie weniger Obst und Gemüse essen und mehr Alkohol trinken, also einen ungesünderen Lebensstil pflegen.14 Ich wage zu behaupten, dass das vielleicht damit zu tun hat, dass Männer aufgrund der klassischen Rollenzuschreibungen im Patriarchat nicht lernen, sich gut um sich selbst zu kümmern. Ein Mann, der regelmäßig zum Arzt geht, seine Emotionen zulässt und ernst nimmt und nicht immer bis zur maximalen Belastungsgrenze arbeitet, gilt ja vielerorts immer noch als Weichei. Also: Smash the patriarchy! Männer hätten auch etwas davon.
Kerns Hund, der mir gegenüber bisher brav die Corona-Abstandsregeln eingehalten hat, kommt plötzlich ein bisschen näher und schnuppert an meinen Schuhen. Dabei wedelt er eifrig mit dem Schwanz, was bei Hunden ja so eine Art Begrüßung darstellt. Vielleicht ist es aber auch als Verabschiedung gemeint, denke ich und schaue auf die Uhr, die anzeigt, dass wir schon über eine Stunde hier sitzen und über klassische Frauenthemen sprechen. Die Zeit ist jedenfalls wie im Flug vergangen. Zum Abschluss möchte ich noch kurz über Kerns Rolle als Vater sprechen, in der er ja besonders aufzugehen scheint. Mit insgesamt vier Kindern15 kann der bekennende Kinderfreund darin auch einen großen Erfahrungsschatz vorweisen. „Hattest du in Bezug auf dein Vatersein eigentlich ein Vorbild?“, will ich wissen. „Nein. In so etwas wächst du rein, so etwas entwickelt sich. Bei mir im Elternhaus war das unglaublich liebevoll, wobei es da eine ganz klassische Geschlechter-Rollentrennung gab. Meine Mutter hat sich um mich und meine Schwester gekümmert, unglaublich viel Zeit investiert und auf vieles verzichtet. Aber mein Vater war auch voller Liebe. Das war wahrscheinlich das, was mich in meinem Vatersein am meisten geprägt hat.“ „Und wie würdest du dich als Vater beschreiben?“, frage ich weiter, und erstmals zögert Kern ein bisschen bei der Antwort. „Ich glaube, ich bin … Jetzt wirst du wahrscheinlich lachen und meine Tochter wird vielleicht aufjaulen, aber, ich glaube, ich bin wirklich ein cooler Vater, mit dem man tolle Dinge machen kann.“ Interessant, dass ihm das Adjektiv cool zu seinem Vatersein als Erstes einfällt, finde ich, und überlege, ob ich ihm im Anschluss an unser Gespräch anonym eines dieser peinlichen T-Shirts mit Aufschriften wie „So sieht ein echt cooler Papa aus“ schicken soll. „Ist es dir als Vater denn besonders wichtig, cool zu sein?“, frage ich nach. „Nein, das habe ich natürlich scherzhaft gemeint“, rudert Kern zurück und fügt lachend hinzu: „Wenn jemand ernsthaft von sich behauptet, er ist cool, dann ist er vermutlich ein Idiot.“
Cool ist wahrscheinlich der letzte Begriff, der mir einfallen würde, wenn ich über meine Rolle als Mutter nachdenke. Und das tue ich sehr oft. Lange Zeit war mein Muttersein vom Adjektiv „perfekt“ geprägt bzw. von dem ungesunden Wunsch danach. Jetzt habe ich mein Bestreben zumindest auf „gut“ gedownsized: Ein schneller Toast zum Frühstück statt frisch gekochtem Porridge und eine Runde Fernsehen statt pädagogisch wertvoller Basteleien. Meine Kinder, die ohnehin viel genügsamer sind als ich, finden das jedenfalls gut, und mein Leben ist so auch weniger anstrengend. Was ich aber immer noch recht schwierig finde, ist, die Balance zu finden, um genügend Zeit und Energie für meine Kinder und meinen Beruf zu haben. Das schlechte Gewissen ist allgegenwärtig. Auch Kern meint: „Die Frage, ob man ein guter Vater war und sich genug gekümmert hat, ist in Wahrheit nicht angenehm zu beantworten. Ich habe die Fähigkeit, das Glas so gut wie immer halbvoll zu sehen. Aber wenn du ein bisschen reflektierst, lebst du ja schon im Bewusstsein deiner eigenen Schwächen, und wer breitet diese schon gerne in der Öffentlichkeit aus.“ Vielleicht wäre aber genau das notwendig: dass wir alle ein bisschen mehr über unsere Schwächen und Ängste sprechen. Darüber, dass wir Fehler machen und nicht vollkommen sind. Darüber, dass wir oft mit uns selbst hadern und immer wieder auch scheitern. Egal wie erfolgreich wir nach außen scheinen. Passend dazu legt mir Kern zum Abschied noch ein Zitat von Winston Churchill auf den Tisch: „Erfolg ist nicht endgültig, Misserfolg ist nicht fatal. Was zählt, ist der Mut, weiterzumachen.“
In Bezug auf mein eigenes Elternsein stimmen mich diese großen Worte sehr versöhnlich, und ich werde definitiv noch ein bisschen darüber nachdenken. Übrigens genauso wie über Kerns Angebot, mir in Zukunft als Kinderbetreuer zur Verfügung zu stehen. „Wenn du mal einen Babysitter brauchst, ruf mich an, ich bin da sehr kreativ“, sagt er mit einem Augenzwinkern, das ich bewusst übersehe. Denn was liegt, das pickt! Und so werde ich heute nicht nur mit einer guten Unterhaltung und interessanten Erkenntnissen beschenkt, sondern