MUSIK-KONZEPTE Sonderband - Josquin des Prez. Группа авторов
ist.
Allen beteiligten Autoren, nicht zuletzt Laurenz Lütteken und Klaus Pietschmann, danke ich sehr, dass dieser Sonderband zum 500. Todesjahr von Josquin des Prez entstehen konnte.
Ulrich Tadday
1 Ludwig Finscher, Art. »Josquin des Prez, Ruhm und Nachruhm«, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel – Stuttgart – New York 2016 ff., zuerst veröffentlicht 2003, online veröffentlicht 2016, unter: https://www.mgg-online.com/mgg/stable/46144. — 2 Zit. nach Finscher, ebd. — 3 Ludwig Finscher, »Von Josquin zu Willaert – ein Paradigmenwechsel?«, zuerst erschienen in: Musik/Revolution. Festschrift für Georg Knepler zum 90. Geburtstag, hrsg. von Hanns-Werner Heister, Bd. 1, Hamburg 1996, S. 145–173. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Renate Finscher, Wolfenbüttel, sowie Rolf von Bockel/von Bockel Verlag, Neumünster.
VOLKER REINHARDT
Macht, Hof und Kultur in Mailand, Rom und Ferrara
Die Gesetze der Klientel
Die Angaben und Daten zu Josquin des Prez’ Aufenthalten in Italien sind lückenhaft, nicht immer eindeutig und teilweise umstritten.1 Einige Fixpunkte sind gleichwohl durch verlässliche Dokumente gesichert. Auf diese Weise lässt sich trotz aller Lücken und Unsicherheiten aus der Sicht des Historikers zweierlei nachzeichnen: zum einen ein elementares Geflecht aus Patronage und Anstellung, durch das der große Musiker in der Gesellschaft und zumindest partiell auch im politischen Gefüge der Zeit platziert und positioniert ist und durch das seine Relevanz für Selbstdarstellung und Mächtige der Zeit hervortritt, und zum anderen ein Zeithintergrund aus Protagonisten und historischen Ereignissen, vor den dieses Wirken zu stellen ist. Wie des Prez beides wahrnahm und bewertete, wie er darauf reagierte und ob bzw. in welcher Weise er diese Eindrücke als Zeitzeuge in seinem Werk verarbeitete, muss hingegen aus dieser Perspektive reine Spekulation bleiben und kann allenfalls der Musikologie als Deutungsaufgabe überantwortet werden.
In der Forschung unstrittig ist,2 dass Josquin des Prez bei seinem ersten Erscheinen in Italien in den Jahren 1484 und 1485 als Klient des Kardinals Ascanio Maria Sforza auftritt. Wie eng und dauerhaft dieses Verhältnis in den nachfolgenden anderthalb Jahrzehnten danach blieb, darüber gehen die Meinungen aufgrund lückenhafter Überlieferung weit auseinander. Nach Auswertung aller bis heute bekannten Dokumente wird hier davon ausgegangen, dass die damit geschlossene Beziehung zum wechselseitigen Nutzen bis zur Katastrophe des Hauses Sforza in den Jahren 1499/1500 funktional intakt blieb, auch während des Prez’ Tätigkeit an der päpstlichen Kapelle.
Solche Protektion hatte ihren Preis: Der Gefolgsmann (creatura) hatte seinem Protektor (padrone) treue Dienste und Unterstützung in allen Lebenslagen zu leisten und v. a. dessen Rang und Ehre zu vermehren. Alles spricht dafür, dass des Prez diese Aufgaben getreulich wahrgenommen hat. Dass er danach, wie zu vermuten, zum Sieger, König Ludwig XII., überging, der Ascanios Marias Bruder, Herzog Ludovico »il Moro«, stürzte und gefangen nahm, ist nicht als Verstoß gegen das komplexe, schriftlich nie verbindlich fixierte Regelwerk klientelärer Beziehungen zu betrachten – mit dem Untergang des Patrons, der keine Förderung mehr zu liefern vermochte, erloschen auch die Pflichten der »Kreatur«. Des Prez’ Mailänder »Hofgenosse« Leonardo da Vinci hielt es ähnlich; auch er arbeitete später für den Sieger und sandte dem gestürzten Herrscher sogar noch einen hämischen Nachruf hinterher.3
Dass des Prez 1484 auf Kardinal Ascanio Maria Sforza4 setzte, zeugte von intimer Kenntnis der italienischen Politiklandschaft, gepaart mit Risikobereitschaft. Diesem war erst kurz zuvor, im März desselben Jahres, der Purpur verliehen worden, und zwar, wie fast immer in der Regierungszeit Papst Sixtus’ IV. della Rovere (1471–1484), aus rein politischen Opportunitäts-Gründen.5 Der Pontifex stammte aus bescheidenen Verhältnissen einer ligurischen Provinzstadt und hatte es im Franziskanerorden bis zu dessen General gebracht, neben dem Eintritt in die Klientel eines einflussreichen padrone nahezu der einzig beschreitbare Weg nach oben in einer Zeit, in der sich die Elitenverhältnisse dauerhaft verfestigten. Seine für die politischen Beobachter der Zeit überraschende Wahl zum Papst verdankte der kuriale Außenseiter nach neuesten Forschungen6 einem Interessenverbund, der sich aus den versprengten Anhängern des 1477 auf dem Schlachtfeld von Nancy von den Schweizern getöteten Herzogs von Burgund, der Herrscherfamilie Gonzaga in Mantua und v. a. der in Mailand regierenden Sforza-Dynastie zusammensetzte. Dieser schuldete er nach dem an der Kurie tief verinnerlichten pietas-Gebot lebenslangen Dank, den er mit der Erhebung Ascanio Maria Sforzas kurz vor seinem Tod zum letzten Mal abstattete.
Mit dem Anschluss an diesen durfte Josquin des Prez also auf gewichtige Vorteile hoffen. Für ihn als Kleriker dürfte die Nähe zur Kirchenspitze und damit zur Bestätigung und Vergabe lukrativer Pfründen wichtig gewesen sein. Solche Benefizien wurden – sofern sie der Papst verteilen konnte – nach einer Reihe von Prinzipien vergeben: An erster Stelle standen Status, Rang, Gewicht und Einfluss des Fürsprechers, also des Patrons; danach kam es auf die Schnelligkeit der Eingabe (Supplik) und das im entscheidenden Moment richtige Wort an die Adresse des Papstes an; die Eignung durch sittlichen Lebenswandel und berufliche Qualifikation trat demgegenüber weit zurück. Nach all diesen Kriterien war Ascanio Maria Sforza erste Wahl, zumindest solange, wie der Della Rovere-Papst regierte. Als dieser im August 1484 das Zeitliche segnete, änderte sich die Situation allerdings grundlegend. Im nachfolgenden Konklave standen sich zwei Parteien in einer unversöhnlichen Konfrontation gegenüber, die sich in den nachfolgenden Jahrzehnten zu einem Dauerkonflikt erweitern sollte, der des Prez’ Aufenthalt in Italien wesentlich mitbestimmte.7
Da Ascanio Maria Sforza von Sixtus IV. den roten Hut erhalten hatte, trat er nach dem vorherrschenden Verständnis und Regelkodex der Kurie in dessen Gefolgschaft ein und schuldete ihm lebenslange Ergebenheit. Im August 1484 hieß das konkret, den neuen Chef der Familie Della Rovere, Kardinal Giuliano, bei seinen Manövern für einen genehmen Kandidaten bedingungslos zu unterstützen. Doch der frischgebackene Kirchenfürst tat genau das Gegenteil: Er verbündete sich mit Giulianos Todfeind Rodrigo Borgia, dem Kardinalnepoten Papst Calixtus’ III. (1455–1458), der selbst mit allen Mitteln nach der Tiara strebte. In den Augen der etablierten Eliten Italiens war diese Parteinahme Sforzas ein unverzeihlicher Bruch mit Normen, die allein das Machtgleichgewicht Italiens und den Schutz vor auswärtiger Intervention garantierten. Dadurch, dass er sich über dieses Gebot hinwegsetzte, machte des Prez’ Patron zweierlei deutlich: dass er die Spielregeln der übrigen Mächtigen nicht akzeptierte und, ungewollt, dass seine Familie nicht zu dieser seit Generationen herrschenden Klasse gehörte.
In der Tat repräsentierte die Sforza-Sippe8 einen Typus der Herrschenden, den die von Jacob Burckhardt so eingängig verbreiteten Legenden sehr zu Unrecht zum Inbegriff der italienischen Renaissance schlechthin erhoben: Ihre Angehörigen waren krasse Parvenüs, Glücksritter, die durch die kriegerischen Wechselfälle der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nach oben gespült worden waren. Ihr Statusbegründer Francesco Sforza (1401–1466) war Söldnerführer in der zweiten Generation, seine