MUSIK-KONZEPTE Sonderband - Josquin des Prez. Группа авторов
einzigen Künstler oder Kunstwerk, der oder das sich sicher mit Josquin des Prez verbinden ließe. Zahlreich sind hingegen die Publikationen, die sich mit den unterschiedlichen Relationen von Kunst und Musik in der Renaissance befassen.1 Der vorliegende Beitrag kann sich hier nur auf einen Aspekt konzentrieren: Die Darstellung des Komponisten und Musiktheoretikers im 15. und frühen 16. Jahrhundert, ausgehend insbesondere von jenen Bildern, die im unmittelbaren Umfeld von Josquin des Prez entstanden.
I Das Bildnis eines Musikers von Leonardo da Vinci (ca. 1485–1490)
Das weder signierte noch datierte Bildnis wird von der kunsthistorischen Forschung nicht ganz einhellig Leonardo da Vinci zugeschrieben und um 1485–90 datiert.2 (Abb. 1) Es zeigt einen jungen Mann mit dichtem, hellem, lockigem Haar im Dreiviertelprofil vor dunklem Hintergrund. Die Vorschläge seiner Identifizierung nahmen eine neue Richtung an, nachdem 1904 bei einer Restaurierung eine Notenschrift auf dem Blatt in seiner Hand entdeckt wurde.3 Basierend auf der Lektüre der Wortfragmente »Cant …« »Ang …« wurde zunächst Franchino Gaffurio (1451–1522), Kapellmeister des Mailänder Doms ab 1484 und Komponist eines »Cantum Angelicum«, vorgeschlagen, später Josquin des Prez, dann Atalante Migliorotti und schließlich Gaspar van Weerbeke.4 Suzanne Clercx-Lejeune, welche die Identifizierung mit Josquin vorschlug, stützte sich u. a. auf die Interpretation des Notenblattes: Sie ergänzte die lesbaren Buchstaben Cont, Catuz und A Z als »Contratenor« »Cantuz« »Altuz« und die Tonfolge als Hexacord. Diese findet sich häufig in seinen Werken, insbesondere in der Motette Illibata Dei Virgo nutrix, die wiederum ein Akrostichon des Namens verbirgt und somit als ein Selbstporträt des Komponisten zu interpretieren wäre.5
Abbildung 1: Leonardo da Vinci, Bildnis eines Musikers, um 1485-1490, Öl und Tempera auf Holz, 45 x 32 cm, Mailand, Pinacoteca Ambrosiana, Inv. 99 (aus: Leonardo da Vinci. Painter at the court of Milan, London 2011, hrsg. von Luke Syson und Larry Keith, S. 94)
Die Biografie von Josquin lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren. Sicher ist, dass er im Juni 1484 zur Entourage von Ascanio Maria Sforza (1455–1505), Sohn des Herzogs von Mailand Francesco I. Sforza (1401–1466), zählte, der im März 1484 zum Kardinal erhoben worden war. Im August dieses Jahres hielt er sich noch in Mailand auf, dann folgte er wohl seinem Mäzen nach Rom, wo er im Juli 1485 seinen Dienst quittierte. Dann ist er wieder am 11. Februar 1489 in einem Dokument in Mailand fassbar, in dem er als herzoglicher Sänger bezeichnet wird. Ab Juni 1489 wirkte er in der päpstlichen Kapelle in Rom.6In den Jahren, in denen das Porträt vermutlich entstand, kann er sich also sehr gut wie Leonardo im Umfeld des Mailänder Hofes bewegt haben.7 Insbesondere die Hochzeit von Gian Galeazzo Sforza (1469–1494) und Isabella d’Aragona (1470–1524), die zwischen dem 25. Januar und dem 2. Februar 1489 mit großem Aufwand in Tortona und Mailand gefeiert wurde, hätte ein Anlass sein können, Sänger, Musiker und vielleicht auch einen Komponisten anzuwerben.8 Wir wissen beispielsweise nicht, wer die Gesänge, die sowohl beim Festbankett als auch bei dem abschließenden Auftritt des Orpheus zu hören waren, komponierte und vortrug.9 Auch Leonardo war wahrscheinlich in die Vorbereitungen zu diesen Festlichkeiten involviert.
Doch selbst bei einer Identifizierung des auf dem Porträt des Dargestellten als Josquin des Prez bliebe offen, wer das Bild in Auftrag gegeben hätte: Der Komponist selbst, der um 1485 etwa 30-jährig bereits einiges an Ruhm und Vermögen angesammelt hatte?10Er könnte den nordischen Porträtmodus des Dreiviertelprofils vor schwarzem Hintergrund gewünscht haben, wie es etwa der Timotheos von Jan van Eyck (ca. 1390–1441) aus dem Jahr 1432 und das Bildnis des Gilles Joye (1424/25–1483) von Hans Memling (ca. 1433–1494) von 1472 zeigten, die ihrerseits als frühe Musikerporträts gelten.11Und wenn ja – für sich selbst? Oder um sich dem nominellen Herzog von Mailand, Gian Galeazzo Sforza, oder dessen Onkel Ludovico Sforza, genannt il Moro (1452–1508), der de facto die Macht in Mailand ausübte, anzupreisen? Oder wäre das Bild bereits eine Reaktion auf eine erfolgreiche Präsentation am Mailänder Hofe gewesen?
In jedem Fall handelt es sich um eine neue Bildfindung im Genre der Porträtmalerei: Der Dargestellte ist durch das Notenblatt charakterisiert, doch lässt nichts darauf schließen, dass er ein Sänger wäre, seine Lippen sind geschlossen und sein Blick gilt nicht den Noten, sondern geht in die Ferne. Ebenso wenig ist er durch ein Instrument als Musiker ausgewiesen. Dieser Darstellungsmodus suggeriert, dass das Notenblatt hier als ein Attribut eingesetzt ist, welches den jungen Mann als Schöpfer dieser Musik und damit als Komponisten identifiziert. Sucht man nach vorgängigen Darstellungen des Komponisten, wird deutlich, dass dieser – im Gegensatz zum Musiker oder Sänger – im europäischen Mittelalter keine ausgeprägte bildliche Tradition hat.12 Leonardo scheint der Erste zu sein, der mit einem Notenblatt nicht auf die Evokation eines Klanges, sondern eher auf das verschriftlichte Musikstück an sich und damit das intellektuelle Potenzial der Musik fokussiert. Zugleich wäre es eines der ersten Porträts, in dem der Beruf des Dargestellten durch ein Attribut repräsentiert wird. Anzunehmen ist auch, dass Leonardo, dessen vielfach zitierte Zeilen über den Vergleich von Malerei und Musik von seiner Auseinandersetzung mit deren medialen Möglichkeiten zeugen, hier diesen Paragone reflektierte, das zerknitterte Notenblatt etwa auf die Vergänglichkeit der Töne verwiese.13 Unabhängig davon, wen das Bildnis darstellt: Es geschieht in einem Moment, in dem Persönlichkeiten wie Josquin des Prez zu neuartiger Wertschätzung gelangen.14 Auch wenn dieser in den zeitgenössischen Dokumenten nicht als Komponist, sondern als Sänger bezeichnet ist15, so wird doch in dem ironischen Kommentar von Baldassare Castiglione über die Macht der Meinung deutlich, dass man ihn – zumindest in Italien – als Komponisten schätze: »Als man in der Gegenwart der Frau Herzogin eine Motette sang, gefiel sie überhaupt nicht und wurde keineswegs für gut gehalten, bis man erfuhr, dass sie eine Komposition des Josquin de Préz war.«16
II Das Bildnis des Komponisten und Musiktheoretikers in der Buchmalerei
Abbildung 2: Jacopo da Bologna, in: Squarcialupi-Codex, Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Med. Pal. 87, fol. 7v (aus: William Gibbons, »Illuminating Florence. Revisiting the composer portraits of the Squarcialupi Codex«, in: Imago musicae 23 [2006], S. 25–45, Abb. 5, S. 33)
Die ältesten Porträts von Komponisten finden sich in dem in Florenz um 1410–15 geschaffenen Squarcialupi Codex, einer Sammlung von Musikstücken des 14. Jahrhunderts.17 Hier erscheint jeweils, im Modus des Autorenporträts, in einer Initiale der Autor der folgenden Musikstücke.18 Die 14 Persönlichkeiten sind individuell dargestellt, es wiederholen sich aber die Attribute: Portativorgel, Zither sowie Bücher bzw. Schriftrollen. Es ist weder davon auszugehen, dass es sich um Porträts handelt, noch dass die Attribute spezifisch