Menschengesichter. Ursula Kampmann

Menschengesichter - Ursula Kampmann


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Inbegriff der Fruchtbarkeit und furchtbar in seiner ungezähmt dahin stürmenden Gewalt.

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      Gela (Sizilien). Didrachmon, 490–480 v. Chr. Nackter Reiter n. r. galoppierend. Rs. Das Vorderteil des Flussgottes Gelas als menschengesichtiger, bärtiger Stier n. r. gelagert.

      In Akragas dagegen wurde Zeus verehrt. Ihm baute man einen prachtvollen Tempel, dessen Ruinen Besucher der Stadt Agrigento heute noch bestaunen. Ihm reservierten die Bürger von Agrigento auch eine der beiden Seiten ihrer Münzen. Sie stellten Zeus in seiner Wirkungsweise dar: Er, der Oberste aller Götter, war es, der das menschliche Schicksal in den Händen hielt. Er konnte das Dasein jederzeit ohne Vorwarnung zerstören, genauso wie der Adler jederzeit aus den Höhen des Himmels hinabstossen konnte, um die sich auf einem Felsen sonnende Schlange zu packen und sie zu töten. Zeus war mächtig in dieser Zeit ohne Notfallmedizin und Genfer Konvention. Das Schicksal der Stadt Akragas ist dafür ein gutes Beispiel: Kurz nachdem die hier gezeigte Goldmünze geprägt wurde, eroberten die Karthager die Stadt und zerstörten sie.

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      Akragas (Sizilien). Notprägung einer Tetradrachme in Gold, 406 v. Chr. Adler n. l., in seinen Krallen eine Schlange haltend, im Begriff, mit dem Schnabel auf die sich noch windende Schlange einzuhacken. Rs. Krabbe.

      Zeus war aber nicht nur der Zerstörer, der Vernichter, er konnte auch auf andere Art und Weise wirken. Er schenkte zum Beispiel den Sieg im Wettspiel oder im ernsthaften Kampf und machte damit aller Welt klar, wer in seiner Gunst stand.

      Aber langsam, über Jahrhunderte hinweg, veränderte sich das Weltbild der Griechen. Wobei die Entwicklung nicht stetig dahinfloss, sondern sich die verschiedenen Vorstellungen – und natürlich auch die unterschiedlichen Bilder auf Münzen – generationenlang nebeneinander hielten. Zunächst waren es nur einige wenige, die erkannten, dass nicht die Götter das menschliche Schicksal bestimmten, sondern dass es jedem einzelnen gegeben war, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Zwar anerkannte jeder die Macht, die als Schicksal, oberste Gottheit, olympische Götter oder wie immer man sie nennen wollte, ins irdische Dasein eingreifen konnte, zwar praktizierten die Bürger noch jahrhundertelang die überlieferten städtischen Rituale, und trotzdem wandelte sich das Bild der Götter, sie wurden menschlicher.

      Ausdruck davon sind die seit dem letzten Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. auf den Münzen zunehmend als Menschen erscheinenden Gottheiten: Apollon als junger, attraktiver Mann mit langem, wallendem Haar, Dionysos als etwas verweichlichter Geselle, dem man seine Freude an jeder Form von Gelage anzusehen glaubt, Artemis als kurz geschürzte Jägerin mit Pfeil und Bogen, Athena als gewappnete Kriegerin, Hera als erhabene, reife Frau, Aphrodite als der Inbegriff des reizenden Mädchens und Zeus als weiser Mann in den besten Jahren, alleine geeignet, um das Schicksal der Welt zu regieren. Damit hatte das menschliche Antlitz das Münzbild erobert.

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      Syrakus (Sizilien). Tetradrachmon, um 466 v. Chr. Siegreiches Viergespann mit Wagenlenker im Schritt n. r., darüber fliegende Nike, die Pferde bekränzend, darunter Löwe. Rs. Kopf der Quellnymphe Arethusa im Lorbeerkranz n. r., darum vier Delphine.

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      Olympia. Münze der Hüter des Heiligtums, der Eleer (Peloponnes). Stater, um 360 v. Chr. Kopf des bärtigen Zeus von Olympia mit Lorbeerkranz n. l. Rs. Adler n. r. sitzend.

      Heute denken wir bei Olympia sofort an die Olympischen Spiele. Im Geiste sehen wir edle Jünglinge um die Wette laufen oder sich im Ringkampf messen, und doch fing es einst ganz anders an.

      Apollon und Herakles sollen in mythischer Vorzeit dem Zeus in Olympia ein Heiligtum eingerichtet haben, in dem ein Sohn des Apollon aus den Flammen des Opferfeuers die Zukunft weissagte. Die Nachkommen dieses ersten Priesters von Olympia begleiteten in historischer Zeit als eine Art Feldgeistliche griechische Heere und Siedler in die ganze damals bekannte Welt. Wir wissen zum Beispiel, dass die Auswanderer, die in Syrakus eine neue Heimat finden sollten, von einem olympischen Priester begleitet wurden, und dass vor der Schlacht von Plataiai, wo im Jahre 479 v. Chr. die vereinten griechischen Streitkräfte die Perser besiegten, ein Priester aus Olympia den Willen der Götter erkundet hatte.

      Viele politische Gemeinschaften verdankten dem Zeus von Olympia, der durch seine Priester wirkte und half, ihr Bestehen. Und natürlich revanchierten sie sich. Sie sandten dem Gott reiche Weihgeschenke und schickten anlässlich des alle vier Jahre stattfindenden grossen Festes zu seinen Ehren eine Festgesandtschaft. Und da zu jedem ordentlichen griechischen Fest Wettspiele gehörten, waren in den Wettkämpfen von Olympia natürlich die besten Sportler jeder Stadt vertreten. Das war der Ursprung der Berühmtheit der Olympischen Spiele, die die besten Sportler aus allen von Griechen besiedelten Weltgegenden anzogen.

      Das Bild von Zeus, der uns hier als bärtiger Mann in seinen besten Jahren entgegentritt, ist beeinflusst durch die berühmte Darstellung des Zeus, die Phidias Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. für den Tempel von Olympia schuf. Diese Gold-Elfenbein-Statue, die übrigens nie ein verehrtes Kultbild, sondern lediglich eine kostbare Weihegabe an den olympischen Zeus war, zählte in der Antike zu den sieben Weltwundern. Unzählige Griechen sahen sie. Sie alle waren von ihr so beeindruckt, dass sich bald niemand mehr in Griechenland Zeus anders vorstellen konnte, als ihn die Statue des Phidias zeigte.

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      Athen. Tetradrachmon, um 450 v. Chr. Kopf der Göttin Athena mit Helm n. r., auf dem Helmkessel Palmette und drei schmückende Blätter vom Olivenbaum. Rs. Eule n. r. sitzend, dahinter Zweig vom Olivenbaum mit Blättern und Frucht sowie Mondsichel.

      Ein in der Antike weithin bekannter Mythos erzählt, wie Athena zur Beschützerin von Athen wurde: Einst stritten sich die Götter Poseidon und Athena, wer Attika besitzen solle. In bester griechischer Tradition beschlossen sie, durch einen Zweikampf zu entscheiden, wer in Zukunft die dort wohnenden Menschen schützen dürfe und dafür von ihnen Opfer bekommen sollte. Wer den Athenern das bessere Geschenk machen könne, der würde Schutzgottheit Attikas sein. Poseidon stiess seinen Dreizack in den felsigen Grund und liess eine Quelle aufsprudeln, Athena aber schenkte den Olivenbaum, in der Antike eines der wichtigsten Kulturgewächse überhaupt. Aus seinen Früchten wurde das Öl gepresst, mit dem die Griechen ihre Speisen kochten, den Körper pflegten und die Nacht erhellten. So fiel die Entscheidung leicht: Athena wurde die wichtigste Schützerin Athens. Was – zumindest nach antiker Vorstellung – auch der Göttin Vorteile brachte. Denn Athen war eine reiche Stadt, die über die Mittel verfügte, ihre Stadtgottheit durch prächtige Weihegeschenke, reiche Opfergaben und grosse Prozessionen zu ehren. Das Verhältnis zwischen Stadt und Schutzgottheit wurde damals nämlich als eine Art Vertrag verstanden, bei der die Gottheit nur so lange verpflichtet war, ihre Hilfe zu gewähren, wie sie von den ihr anvertrauten Bürgern die ihr zustehende Verehrung erhielt.

      So ist Athena auf dieser Münze dargestellt als die Göttin, die durch ihr Geschenk den Athenern in der Vergangenheit eine grosse Wohltat erwiesen hatte und dies in Zukunft weiterhin tun würde. Ihr Helm ist geschmückt mit den Blättern des von ihr geschenkten Baumes, auf der Rückseite finden wir über der Eule, dem heiligen Tier der Athena, einen kleinen Olivenzweig. Diese Wohltaten der Göttin darzustellen, war wichtig, denn erst dadurch wurde Athena, die in den meisten Städten Griechenlands verehrt wurde, als die besondere Schutzgottheit Athens charakterisiert.

      Ob es nun die Hilfe Athenas war oder das Silber, das in den attischen Bergwerken bei Laurion gefunden wurde, oder die kompromisslose


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