Der Seelenwexler. Kaspar Wolfensberger

Der Seelenwexler - Kaspar Wolfensberger


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Wochen mehr, Luc», sagte sie und drehte sich nach ihm um. «Du fährst in drei Wochen. Ich fliege am Sonntag.»

      «Was?», rief Zangger.

      «Ich sagte doch: Es ist ein Notfall. Die vom WWN bestehen darauf, dass sofort jemand hingeht. Ich musste zusagen oder die Sache fahren lassen.»

      «Und für wie lange, wenn ich fragen darf?»

      «Das weiss ich noch nicht», erwiderte Tina. «Vielleicht nur zwei, drei Wochen. Vielleicht genügt ein Coaching. Dann bin ich zurück, wenn du nach Schottland fährst.»

      «Ich weiss gar nicht, ob ich nach Schottland fahre», brummte Zangger gekränkt.

      «Ach, Luc. Jetzt mach kein Theater. Du fährst nach Schottland, es ist schliesslich alles vorbereitet. Der Camper steht bereit, die Fähre ist gebucht, deine Patienten sind informiert, du hast es doch selber gesagt. Du brauchst diese Auszeit. Dringend, das sehe ich doch.»

      Zangger hatte einen schwierigen Tag hinter sich. Fast hätte er zu flennen begonnen, so wohl tat ihm Tinas fürsorglicher Ton. Aber die Regung war von kurzer Dauer.

      «Es kann auch länger dauern», sagte Tina nämlich. «Ein, zwei Monate, wenn ich ad interim die Leitung des Hauses übernehmen muss. Oder noch länger. So oder so, auch wenn ich in drei Wochen zurück bin, muss ich mich für einen weiteren Einsatz bereithalten. Es ist ein Mandat auf drei Monate.»

      «Wie bitte? Du hast dich für drei Monate verpflichtet?» Zangger konnte es nicht fassen.

      «Ja, Luc. Ich musste.»

      «Na, wunderbar.» Jetzt konnte er nicht mehr verhehlen, wie gekränkt er war. «Du meldest dich für ein Vierteljahr ab, ohne dich mit mir abzusprechen.»

      «Entschuldige, aber du sagtest doch, du seist mit allem einverstanden, was ich entscheide. Und dass sich ein solcher Auftrag nicht im Handumdrehen erledigen lässt, das dürfte dir doch klar sein. Aber du hast trotzdem recht», räumte sie ein. «Ich hätte noch einmal mit dir reden sollen, bevor ich definitiv zusagte.»

      «Schon gut», sagte Zangger. «Jetzt ist es, wie es ist.»

      In den paar wenigen Tagen bis zu Tinas Abreise bemühte er sich so gut es ging, seinen heimlichen Groll zu verbergen. Da wehrt sie sich seit Jahren dagegen, mit mir auf Afrikareise zu gehen, dachte er immer und immer wieder. Und entscheidet sich dann von einem Tag auf den andern, in Mosambik ein Mandat anzunehmen, das gut und gern drei Monate dauern könnte. Drei Monate in Mosambik! Und das ohne mich. Mich lässt sie stattdessen nach Schottland reisen. Nach Schottland!

      7.

      Der neue Job gefiel Phil gar nicht schlecht. Er gefiel ihm sogar ausgesprochen gut. Er war bloss im Stundenlohn angestellt, und das kam ihm sehr entgegen. So konnte er vormittags nach wie vor bei MacMax aushelfen. Nachmittags arbeitete er dann ein paar Stunden im Seefeld. Was er hier zu tun hatte, war für ihn ein Kinderspiel und, da er dabei die meiste Zeit am Computer sass, ganz nach seinem Gusto. Nach ein paar Tagen hatte er gesehen, wie der Laden lief. Seine Aufgabe wäre es eigentlich gewesen, ein System für das Katalogisieren der antiquarischen Bücher zu erstellen. Er hatte bereits eine entsprechende Software heruntergeladen. Gratis, oder besser gesagt illegal. Natürlich verriet er das seinem Boss nicht, er sagte bloss, die Software sei sehr günstig zu haben. Aber das Katalogisieren musste jetzt warten.

      «Wie heisst Ihre Domain?», fragte Phil den Inhaber am zweiten Tag.

      «Habe ich nicht. Nur eine E-Mail-Adresse.»

      «Wie bitte, Sie haben keine Website?», staunte er.

      «Nein, wieso? Sollte ich?»

      «Allerdings», lachte Phil und versprach, in den nächsten Wochen einen Entwurf vorzulegen.

      Bald stellte sich heraus, dass in diesem Laden EDV-mässig auch sonst einiges im Argen lag: Das Rechnungs- und Zahlungssystem musste optimiert, die Logistik vereinfacht und beschleunigt, die Buchhaltung auf Vordermann gebracht werden. Die gesamte Software war ziemlich veraltet. Und in Seidenbasts Geschäft standen vier verschiedene Computer, die vernetzt werden mussten. Der Patron war heilfroh, dass er sich um diese Dinge nicht mehr kümmern musste. So kam es, dass sich Phil in Buch&Wein schon nach kürzester Zeit absolut unentbehrlich machte.

      Es blieb ihm nicht verborgen, dass ihn Frau Preisig, die von früh bis spät im Geschäft herumgeisterte, in der ersten Zeit argwöhnisch beobachtete. Er grüsste sie deshalb stets, wenn er zur Arbeit kam – wenn sie nicht im Laden stand, spürte er sie im Bücherlager, im Weinkeller oder in der kleinen Teeküche auf –, bedachte sie, wenn es sich ergab, mit einer Freundlichkeit und bemühte sich im Übrigen konsequent, ihr nicht in die Quere zu kommen. Nachdem sie einmal begriffen hatte, dass er ihr nicht ins Handwerk pfuschte – sie war ja ausschliesslich für die Hardware zuständig –, gab sie ihre Vorbehalte offenbar auf.

      «Ein charmanter junger Mann, Herr Seidenbast», hörte er sie eines Tages flüstern.

      «Wer?»

      «Ihre Bürokraft.»

      «Ach so. Ja, nicht wahr?»

      Bürokraft ist gut, dachte Phil.

      Das Vorstellungsgespräch, zu dem er auf seine telefonische Bewerbung hin eingeladen worden war, hätte in der Tat nicht besser verlaufen können.

      «Sie studieren Informatik», hatte sein zukünftiger Chef konstatiert. «Gut, sehr gut. Haben Sie auch praktische Erfahrung?»

      «Nun», erwiderte Phil, «nach der Matura machte ich eine Banklehre. Ich will nicht behaupten, ich sei ein IT-Experte, aber ich bin ein ziemlich sicherer Anwender.» Dass er ein ziemlich durchtriebener Anwender war, der sich in fremde Computer hackte, das behielt er wohlweislich für sich. «Und ich fabriziere Websites für Freunde und Bekannte.»

      «Sehr gut. Das dürfte für meine Bedürfnisse bei weitem genügen. Aber sagen Sie, verstehen Sie auch ein bisschen etwas von Wein?»

      «Nur, was man mir im Duc de Rohan beibrachte.»

      «Im Duc de Rohan?», wiederholte Seidenbast verblüfft. «In Chur?»

      «Ja. War aber nur ein kurzer Stage. Drei, vier Monate, in den Semesterferien.»

      In Tat und Wahrheit hatte der Stage drei, vier Wochen gedauert. Und hatte in den Schul-, nicht in den Semesterferien stattgefunden. Nicht im Duc de Rohan, sondern in einem Bergrestaurant im Skigebiet von Obersaxen. Damit liess sich freilich kein Staat machen, das Weinangebot hatte aus Veltliner in der Liter- und Zweideziliterflasche bestanden. Und seine Arbeit im Pfannenwaschen.

      «Und später auf dem Bürgenstock.»

      «Oh lala! Als Sommelier?»

      «Nein, nur als Kellner. Hilfskellner, um ehrlich zu sein. Aber ich spitzte die Ohren, wann immer ich in der Nähe des Sommeliers war», lachte Phil.

      Dem Sommelier auf dem Bürgenstock hatte er tatsächlich immer gut zugehört, wenn sich Herr Zulauf zum Lunch eine Flasche Wein bestellte. Jeder einzelne seiner Kommentare war in seinem Gedächtnis eingraviert. Er war sich schon damals sicher gewesen, dass er die Weinsprache einmal werde brauchen können.

      «Gut, dann darf ich Ihnen eine Quizfrage stellen», schmunzelte sein zukünftiger Chef. «Was würden Sie zu einem Tournedos Rossini empfehlen: einen Barbera, eine Assemblage aus dem Burgenland oder einen Malbec?»

      Seine Sprachimitationsspielchen hatten den Klosterschüler gelehrt, dass er über eine besondere Art von Gedächtnis verfügte. Er wusste, dass es Leute mit fotografischem Gedächtnis gab. Er hatte kein fotografisches, er hatte ein tonträgerartiges Gedächtnis: Was er einmal gehört hatte, das konnte er – vorausgesetzt, es interessierte oder beeindruckte ihn – jederzeit eins zu eins wiedergeben. Als Schüler hatte er jede Menge Bücher verschlungen, aber Gelesenes blieb ihm nicht besser in Erinnerung als andern. Gehörtes jedoch konnte er mit fast untrüglicher Sicherheit abrufen. Seine guten Noten verdankte der Klosterschüler Gion-Gieri Caduff weniger einem besonders tiefen Verständnis der Dinge als dem Umstand, dass es den meisten Lehrern gefiel, wenn sie zitiert wurden. Und


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