Der Seelenwexler. Kaspar Wolfensberger

Der Seelenwexler - Kaspar Wolfensberger


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Aussterben bedroht, das meine ich. Unfähig, dich den neuen Lebensbedingungen anzupassen.»

      Zangger lachte. Er liebte diese Frotzeleien. Er fühlte sich gleich ein bisschen jünger. Aber Tom setzte eine besorgte Miene auf.

      «Ich weiss nicht, Pa», meinte er und wiegte den Kopf. «Ohne Kommunikationstool auf ein Trekking? Es geht zwar nur nach Schottland, aber auf den Caledonia Hilltreks seid ihr tagelang unterwegs, weit ab von der nächsten Strasse oder Siedlung. Stimmt doch, oder?»

      Zangger gab ihm recht.

      «Und das ohne Handy? Das ist doch verantwortungslos.»

      Verantwortungslos, dachte Zangger, das sagt sonst der Vater zum Sohn.

      «Nimmt Ma wenigstens ihres mit?», wollte Tom wissen. «Wer weiss», wog er dann ab, «vielleicht habt ihr nicht einmal Empfang. Ihr solltet ein Walky-Talky kaufen, für den Fall, dass ihr euch aus den Augen verliert.»

      Die Fürsorglichkeit seines Sohns rührte Zangger. Auf das Walky-Talky ging er trotzdem nicht ein. Dafür kaufte er die Halogenstirnlampe, die ihm Tom empfohlen hatte. Auch den neuen Leatherman mit Kombizange und Schere, denn gegen Mechanik hatte er nichts einzuwenden. Bei der Campingtischlampe blieb er stur. Das batteriebetriebene LED-Gerät kam nicht in Frage, da würde er lieber die alte Petroleumlampe wieder ausgraben.

      Zangger hatte nicht mehr oft Gelegenheit, mit seinen Söhnen in die Stadt zu gehen. Umso mehr genoss er den Anlass. Nach dem Einkauf im Snow-n-Sand lud er sie, wie in früheren Zeiten, zu einem Hamburgerfrass ein. Mona wäre entsetzt gewesen, aber den drei Männern schmeckte der Junkfood wie ein Gourmetmenü. Danach schlenderten sie durchs Niederdorf. Tom drehte sich nach jeder hübschen jungen Frau um. Umgekehrt, das nahm Zangger mit einem gewissen Stolz wahr, zogen die ungleichen Brüder die Blicke der jungen Mädchen auf sich. Wenn er früher mit seinen Töchtern, die ein paar Jahre älter waren als die Zwillinge, auf einem Stadtbummel gewesen war, hatte er es weniger entspannt erlebt: Die flanierenden Männer hatten Claudia mit begehrlichen Augen gemustert, aber von Mona hatte keiner Notiz genommen. Und das hatte, wer immer dabei war, über kurz oder lang büssen müssen. Man musste sich jederzeit darauf gefasst machen, dass Mona auf offener Strasse oder im Restaurant eine hässliche Szene veranstaltete, die Mutter beschimpfte und sich unter Getöse davonmachte. Oder die Schwester vor den unbekannten Verehrern verhöhnte. Dass sie selber mit ihrem Gesichtsausdruck und ihrer Aufmachung alles dazu beitrug, auf Ablehnung statt auf Sympathie zu stossen, das hatten ihr Tina und Zangger umsonst klar zu machen versucht.

      Vor der Condomeria blieben die Burschen stehen und sahen sich, ohne Rücksicht auf ihren Vater, die Auslagen an.

      «Brauchst du etwas?», neckte Fabian seinen Bruder. «Ich hols dir, wenn du dich nicht rein traust.»

      Tom versetzte ihm mit dem Ellbogen einen Puff.

      Sie gingen weiter.

      Ein Mann trat aus einem Haus. Den kenne ich doch, dachte Zangger. Es war Herr Knüttl. Zangger hatte es sich abgewöhnt, als Erster zu grüssen, wenn er nicht sicher sein konnte, ob das der andern Person willkommen war. Denn Patienten wollten in der Öffentlichkeit lieber nicht von ihrem Psychiater gegrüsst oder gar angesprochen werden. Er hatte deshalb gelernt, die Sekunde zu warten, die es dem andern erlaubte, so zu tun, als habe man sich gar nicht gesehen. Herr Knüttl hatte Zangger sehr wohl gesehen, denn seine Augen verrieten einen leisen Schreck und er fuhr mit der Hand blitzschnell über seinen Hosenladen. Eine Reflexbewegung, die er selber vermutlich nicht wahrnahm. Er tat, als habe er Zangger nicht gesehen. Zangger war es recht. Aha, dachte er, Seidenbast hat den Nagel wieder einmal auf den Kopf getroffen: Knüttl hat bereits eine andere, eine von der käuflichen Sorte. Aber länger mochte er sich nicht mit ihm befassen. Leid tut mir nur seine Frau, dachte er noch, dann schob er den unerfreulichen Fall beiseite.

      Durchs Oberdorf schlenderten sie zum Bellevue weiter. Zangger wäre bei dem frühsommerlichen Wetter gern mit seinen Söhnen auf der Seepromenade spazieren gegangen. Die beiden wollten aber lieber ins Kino. Nach der Vorstellung genehmigten sie sich eine Bratwurst, die sie im Stehen verdrückten, dann verabschiedeten sich die beiden mit einer nonchalanten Handbewegung für den Rest des Abends von ihm. Er sah ihnen nach. Stolz, ein wenig wehmütig und ein kleines bisschen neidisch. Das alte Lied, dachte er. A la recherche du temps perdu.

      5.

      Auf einem der Stühle im Vestibül vor Zanggers Sprechzimmer sass eine junge Frau. Sie blickte auf, als Phil herauskam. Er spürte sofort, dass er ihr gefiel. Er genoss diese halb erschreckten, halb staunenden Blicke von Frauen. Sie hatte blaue Augen und einen nicht eben unschuldigen Blick. Volles, blondes, nackenlanges Haar und einen frischen Teint.

      Schwedin, dachte er.

      Er sah sie eine Spur intensiver an, als es der Wartezimmersituation entsprochen hätte, gab aber Acht, dass in seinem Blick nichts Anzügliches war. Er grüsste sie höflich und ging an ihr vorbei hinaus. Draussen schien die Sonne. Er fand, die Arbeit bei MacMax könne warten. Er setzte sich auf die Bank neben dem Brunnen im kleinen Park gleich neben Zanggers Praxis. Nach einer Stunde kam die Frau – in Bluejeans und weisser Jacke, einen Herrenhut auf dem Kopf – heraus und nahm den kleinen Fussweg quer durch den Park. Sie war weniger hoch gewachsen, als er sich vorgestellt hatte, und etwas molliger. Tolle Figur, dachte er. Als sie Phil erblickte, lächelte sie überrascht. Er sagte Hallo, und als sie, keine fünf Meter von ihm entfernt, ihren Schritt verlangsamte, rückte er ein wenig zur Seite und deutete neben sich auf die Bank. Sie blieb stehen, zögerte eine Sekunde und kam dann näher.

      «Hat er Sie in die Mangel genommen?», fragte er.

      Sie setzte sich neben ihn.

      «Ach, es geht», lachte sie. «Und Sie?»

      «Easy», lachte Phil zurück.

      «Easy Therapiestunde?» S-Tunde, sagte sie.

      Dänin, dachte er, nicht Schwedin.

      «Nicht Therapie», erwiderte er. «Supervisionsstunde. Doktor Zangger ist mein Supervisor. Ich bin sein Supervisand.»

      Die junge Frau machte grosse Augen.

      «Dann sind Sie selber Psychotherapeut», stellte sie fest. «Oder Psychiater?»

      «Beides», sagte er und erklärte ihr bereitwillig den Unterschied, den sie bislang nicht ganz begriffen hatte. Da sie danach fragte, sagte er ihr, er arbeite in der Psychiatrischen Universitätsklinik.

      «Könnte ich Sie notfalls dort anrufen?», fragte sie, nachdem sie ihn eine ganze Weile von der Seite her angesehen hatte. «Doktor Zangger schliesst vorübergehend seine Praxis. Für mehrere Wochen, das wissen Sie ja selber. Man weiss nie, ob man nicht plötzlich jemanden braucht. Und wenn Sie sein Supervisand sind, arbeiten Sie vermutlich gleich wie er.»

      «Das stimmt. Nur, zurzeit bin ich im Urlaub. Eine wissenschaftliche Studie, wissen Sie. Darum kann ich es mir leisten, hier zu sitzen», sagte er lachend.

      «Gut für Sie. Und im Notfall?», wollte sie wissen. «Wären Sie erreichbar?»

      Für den Notfall gab er ihr seine Handynummer.

      «Danke», sagte sie und tippte die Nummer in ihr eigenes Handy ein. «Sie sind Doktor …?»

      «Ach was», wehrte er ab. «Lassen Sie den Doktor. Wexler ist mein Name, Phil Wexler.»

      Wexler hatte der Postbote in der Talschaft Lugnez geheissen. Ernesto Wexler, ein Zugewanderter mit Zigeuneraugen, der den Frauen im Tal den Kopf verdrehte. Phil war einmal zum Schluss gekommen, dass er sein leiblicher Vater sein könnte. Er hatte sich deshalb berechtigt gefühlt, seinen Namen zu führen, wenn es ihm in den Kram passte. Als Maturand hatte er sich einen Schülerausweis auf den Namen Filippo D. Wexler gebastelt. Als seine Mitschüler davon Wind bekamen, trug ihm das einen Spitznamen ein: Pippo. Er hatte nichts dagegen gehabt, im Gegenteil. Pippo gefiel ihm weit besser als sein Taufname. In Zürich schien ihm Phil jedoch passender zu klingen.

      «Linda Larsson», erwiderte sie. «War nett, mit Ihnen zu plaudern. Ich muss weiter», sagte sie und erhob sich. Sie zögerte, und für einen Augenblick sah es aus, als wolle sie ihm die Hand


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