Frau Kaiser und der Dämon. Ulla Garden
das, was er sich erhofft hatte. Auf Anraten von Max und seinem neuen Hamburger Freund Henrik, der Jessica kannte, beendete er diese Beziehung, bald nachdem er nach Hamburg gezogen war. Sein Chef war zwar außer sich, da er ihm die Nachfolge der Kanzlei versprochen hatte, wenn er seine Tochter Jessica heiraten würde, aber das Opfer war Johannes doch zu groß und zudem konnte er Leni nicht vergessen.
Obwohl Max sich vom ersten Augenblick an in sie verliebt hatte, war er es, der Leni vor etwas über einem Jahr drängte, zu Johannes nach Hamburg zu reisen, was sie dann auch tat. Seitdem waren Johannes und Leni ein Paar. Sie hatten im März standesamtlich und im Juni kirchlich geheiratet, wohnten jetzt zusammen am Stadtrand von Leipzig und freuten sich auf die Zwillinge, die im November zur Welt kommen sollten.
Eine Pflegerin kam in den Raum und brachte den Wartenden etwas zu trinken.
„Wissen Sie, wie es meiner Frau geht?“, fragte Johannes und schaute sie erwartungsvoll an.
„Nein, es tut mir leid, ich kann Ihnen nichts sagen, soviel ich weiß, wird sie immer noch operiert“, erwiderte sie verständnisvoll lächelnd.
So saßen sie alle drei weiterhin da und hingen ihren Gedanken nach, bis endlich die Tür aufging und ein Arzt, der einen ziemlich müden und angespannten Eindruck machte, hereinkam.
„Wer von Ihnen ist denn der Ehemann?“, fragte er und schaute zwischen Johannes und Max, die es beide nicht mehr auf ihren Stühlen gehalten hatte, hin und her.
„Das bin ich“, meldete sich Johannes. „Und das sind meine Mutter und mein Bruder“, sagte er, indem er auf die beiden anderen Wartenden zeigte.
„Wie geht es meiner Frau?“, fragte er verzweifelt. „Und was ist mit den Babys?“
„Sie hatte ein Aneurysma und hat die Operation zunächst mal überstanden, aber wir mussten sie in ein künstliches Koma versetzen, weil der Druck im Gehirn noch zu hoch ist“, erklärte der Arzt. Er sah alle drei der Reihe nach sehr ernst an und fuhr leise fort: „Wenn Sie gläubig sind, dann beten Sie, und wenn nicht, versuchen Sie es trotzdem.“ „Den Ungeborenen geht es den Umständen entsprechend gut, die haben das bis jetzt alles gut überstanden“, fügte er beruhigend hinzu.
Alle drei atmeten erleichtert auf.
„Kann ich zu ihr?“ wollte Johannes dann wissen.
„Ja, gut, einverstanden, aber, wie gesagt, sie liegt im Koma.“
„Und Sie beide“, sprach er Susanne und Max an, „gehen am besten nach Hause. Sie können hier jetzt wirklich nichts ausrichten.“
„Hat Ihre Frau einen Unfall gehabt oder sich heftig den Kopf gestoßen?“, wollte er dann noch von Johannes wissen.
„Nein, nicht dass ich wüsste“, meinte er und schüttelte leicht den Kopf. „Aber sie hat die letzten zwei Tage über heftige Kopfschmerzen geklagt“, fiel ihm dann noch ein.
Nachdem eine Pflegerin ihn abgeholt und ihn mit Schutzkittel, Haube und Mundschutz eingekleidet, sowie seine Hände desinfiziert hatte, saß er nun am Bett und betrachtete seine Frau, die mit allen möglichen Kabeln und Schläuchen verbunden war. Man hatte ihr das Kopfteil des Betts ziemlich hochgestellt, so dass sie fast saß. Unzählige Monitore und Geräte blinkten, piepten oder zeigten irgendwelche Daten an. Am meisten irritierte ihn das Beatmungsgerät. Dieses Geräusch ging ihm durch Mark und Bein.
„Oh, meine liebste Lene, wie konnte das nur passieren?“, flüsterte er, legte eine Hand auf ihren gewölbten Bauch und weinte. Durch die dünne Bettdecke konnte er die Bewegungen der ungeborenen Zwillinge spüren. „Bitte, bitte, lieber Gott, lass sie nicht sterben“, flehte er. „Wir haben doch noch unsere ganze Zukunft vor uns.“
Hin und wieder kam jemand in den Raum, schaute auf die diversen Monitore und nickte ihm verständnisvoll zu. Nach ein paar Stunden versuchte man ihn zu überreden, nach Hause zu gehen, aber er weigerte sich: „Ich kann sie doch jetzt nicht alleine lassen. Sie braucht mich doch.“
„Aber sie liegt im Koma und es kann unter Umständen noch Tage dauern, bis wir sie aufwecken können, irgendwann müssen Sie doch schlafen.“
Johannes schüttelte nur müde den Kopf und nahm Lenis Hand in seine und hauchte durch den Mundschutz einen Kuss darauf. Er sah die Blutergüsse auf ihren Unterarmen, die er ihr beigebracht hatte und bat sie leise um Verzeihung. „Lene, Schätzchen, ich wollte das nicht. Das war ganz bestimmt keine Absicht.“ Er sprach dieses Schätzchen nicht abwertend, sondern sehr liebevoll aus, wobei er beide Silben betonte, so dass es wie Schätz-chen klang. Er weinte und irgendwann schlief er im Sitzen ein. Plötzlich schreckte er wieder hoch. Ein Pfleger betrat den Raum und brachte ihm einen Kaffee und eine Flasche Wasser.
Als der Arzt am nächsten Morgen kam, fand er Johannes, vornübergebeugt auf dem Stuhl sitzend und mit dem Kopf auf dem Bett liegend, schlafend vor. Er zog die Augenbrauen kurz hoch, schüttelte leicht den Kopf und sah sich dann die diversen Daten an.
„Schicken Sie den Mann endlich nach Hause“, wies er die diensthabende Pflegerin an.
„Das haben die Kollegen schon die ganze Nacht versucht, aber er weigert sich standhaft“, erwiderte die Frau. „Vielleicht tut es der Patientin gut, wenn sie spürt, dass er da ist“, fügte sie leise hinzu. Der Arzt schüttelte nochmals den Kopf und verließ dann den Raum.
Es war also doch kein Alptraum, dachte Johannes, als er aufwachte. Er fühlte sich total steif und er musste dringend zur Toilette. Er ging auf den Gang und suchte nach jemandem, der ihm den Weg zeigen konnte. Danach schickte ihn die besorgte Pflegerin in die Cafeteria, um zu frühstücken. Er musste zugeben, dass das Frühstück ihm gut tat. Zwischendurch hatte er mit seiner Mutter telefoniert, um ihr zu sagen, dass Lenis Zustand unverändert sei. Zum Glück hatte seine Mutter ihm, bevor sie ging, die Tasche von Leni ihn die Hand gedrückt, so dass er jetzt Geld hatte, um sein Frühstück zu bezahlen. In der Hektik war er ohne Geld und Papiere aus dem Haus gegangen. Er kam sich allerdings etwas seltsam vor, als er in die Tasche seiner Frau griff, um den Geldbeutel rauszunehmen. Er hatte ihr immer ihre Privatsphäre gelassen, ebenso wie sie ihm seine. Auch in so kleinen Dingen. Es wäre ihm normalerweise nie in den Sinn gekommen, ihre Tasche zu öffnen.
Aber was war seit gestern Morgen schon normal?
Und Johannes tätigte noch einen Anruf. Seine Mutter hatte ihm nach seiner Ankunft in der Klinik die Visitenkarte einer Psychologin in die Hand gedrückt. Er war zunächst verwirrt, aber seine Mutter bestand darauf, denn sie war überzeugt davon, dass ihr Sohn jetzt professionelle Hilfe brauchte.
Leni hatte am vorherigen frühen Morgen, nachdem Johannes sich an ihr vergangen hatte, verfrühte Wehen bekommen. Da Johannes nicht da war und sie wegdrückte, als sie ihn anrufen wollte, rief sie in ihrer Verzweiflung ihre Freundin Sarah an. Sarah Fischer war Gynäkologin und wohnte in Lenis Heimatstadt Freiburg. Sie befahl ihr, sofort den Notarzt zu rufen, was Leni dann auch machte. Außerdem verständigte Sarah die Familie von Johannes, die auf einem Gutshof im Münsterland lebte, worauf die Mutter und Max sofort nach Leipzig fuhren. Ihre eigene Mutter wollte Leni nicht behelligen, da diese immer sofort in Panik verfiel und das konnte sie in dieser Situation absolut nicht gebrauchen.
Während der Untersuchung stellte der Gynäkologe fest, dass Leni Gewalt angetan worden war und da Leni das zuerst nicht zugeben wollte, schickte er die Psychologin zu ihr ans Bett. Dort war inzwischen auch schon ihre fassungslose Schwiegermutter eingetroffen. Susanne von Moeltenhoff hatte ihrer ersten Schwiegertochter nicht geglaubt, als die sich bei ihr über Johannes beklagt hatte und von Vergewaltigungen sprach. Umso entsetzter war sie, als sie erfuhr, was er mit Leni gemacht hatte. Sie konnte das absolut nicht verstehen, denn die beiden schienen doch so glücklich miteinander gewesen zu sein. Sie hatte ihren Sohn bisher nie so oft lächeln sehen. Leni schien ihn irgendwie verzaubert zu haben.
Die Psychologin hatte nach ihrem Gespräch mit Leni ihre Visitenkarte auf den Nachttisch gelegt, mit der Bitte, dass Leni und ihr Mann sich am besten gemeinsam bei ihr melden sollten. Einen Moment später war Leni dann mit einem Griff an ihren Kopf zusammengesackt. Während Leni sofort zum CT gebracht wurde, hatte Susanne Lenis Tasche, ihr Handy und die Visitenkarte an sich genommen, denn