Frau Kaiser und der Dämon. Ulla Garden
er sich wieder um seinen Job als Eventmanager kümmern musste und auch seine Mutter nicht ewig in Leipzig bleiben konnte, hatte er Freunde und Verwandte von Johannes und Leni angeschrieben oder angerufen, mit der Bitte, sich doch für ein paar Tage Zeit zu nehmen, um Johannes bei der Betreuung von Leni zu unterstützen und sich um die Wohnung und die beiden Katzen Lilli und Mäxle zu kümmern. Alle fanden sich sofort bereit dazu und anhand der Termine, die ihm genannt wurden, erstellte er einen Einsatzplan für die nächsten Wochen. An den wenigen Tagen, an denen niemand da sein konnte, würden sich die Nachbarn aus dem Erdgeschoß um die beiden Stubentiger kümmern und auch jeweils die Schlüssel übergeben.
In der Klinik war man zwar nicht sehr erfreut, dass so viele verschiedene Menschen zu Besuch kamen und Johannes wurde ermahnt, auf die Einhaltung der Hygieneregeln zu achten und vor allem darauf, dass die Besucher Leni möglichst nicht zu nahe kommen sollten. Denn eine Infektion wäre eine Katastrophe für sie gewesen.
Als Erstes kamen Lenis Mutter und Bruder für eine Woche und lösten Max und Susanne ab. Stéphanie Kaiser war entsetzt, als sie ihre Tochter in diesem Zustand sah. „Mon Dieu, ma puce“, weinte sie und, wie befürchtet, brachte sie ziemlich viel Unruhe in das Krankenzimmer. Dafür tat es Johannes aber gut, mit Tobias zu reden und ihm seine Zukunftsängste anzuvertrauen. Die beiden hatten sich von Anfang an gut verstanden und führten lange Gespräche miteinander.
Ganz allmählich verbesserte sich der Zustand von Leni und nachdem der Ergotherapeut mit ihr das Schlucken geübt hatte, wurde die Magensonde entfernt und sie konnte gefüttert werden.
Johannes war dankbar für jeden kleinen Fortschritt, den man sah, machte sich aber große Sorgen um die Zukunft und um die Kinder. Wie sollte er eine behinderte Frau und zwei Babys versorgen? Mit dem Vorschlag von Max, dass sie ins Münsterland auf den Gutshof ziehen sollten, machte er sich immer mehr vertraut, denn dort könnten ihn seine Mutter und seine Schwester unterstützen. Aber vor allem fragte er sich, ob die Kinder das alles problemlos überstanden hatten. Er hatte große Angst davor, dass die Kinder auch behindert sein könnten. Auf seine Fragen hin konnte keiner der Ärzte ihm sagen, was auf ihn zukommen würde. Vorsorglich wurde nochmals eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt und so wie es aussah, waren die Ungeborenen gesund. Es wurde überlegt, Leni nach Hause zu entlassen, aber wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft sah man vorerst davon ab, denn für eine Geburt wäre es doch noch einige Wochen zu früh gewesen. Solange sie in der Klinik weilte, konnte man ihr sofort einen Wehenhemmer geben, falls verfrühte Wehen einsetzen sollten.
Die Wochen vergingen und allmählich erkannte Leni ihre Besucher, Pfleger und Ärzte. Sie wurde jedes Mal sehr unruhig, wenn Johannes für ein paar Stunden nicht an ihrem Bett war. Er hatte mittlerweile eine Therapie begonnen und um den Kopf etwas freizubekommen, ging er hin und wieder zum Laufen oder ins Fitnessstudio. Zudem musste er sich auch endlich um einen neuen Job kümmern und noch dazu machte sich bei ihm das Schlafmanko bemerkbar, so dass er einfach nicht mehr Tag und Nacht bei ihr sein konnte. Dank des ausgeklügelten Plans von Max war fast immer jemand bei Leni, so dass sie selten alleine war. Die jeweiligen Besucher redeten viel mit ihr oder lasen ihr vor. Sie selber war aber immer noch nicht in der Lage, richtig zu sprechen, obwohl die Logopädin bereits angefangen hatte, mit ihr zu üben.
3
Für Lenis Geburtstag Anfang Oktober hatte Max sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Er war am Abend zuvor angereist, kam gleich morgens in die Klinik und stellte den Fernseher an. Er hatte mit Hilfe von Lenis Bruder Tobias ein Video zusammengestellt, in dem alle Freunde und Verwandte Leni zum Geburtstag gratulierten. Die beiden Brüder setzten sich zu Leni aufs Bett, wobei Johannes den Arm um sie gelegt hatte, und sie warteten gespannt auf ihre Reaktion. Zunächst schien sie nicht zu verstehen, was da vor sich ging, dann liefen ihr plötzlich Tränen über das Gesicht und sie versuchte, etwas zu sagen. Johannes nahm sie ihn den Arm, küsste sie sanft und gratulierte ihr zum Geburtstag und auch Max ließ es sich nicht nehmen, sie zu drücken und ihr zu gratulieren. Sie zeigte auf sich, schaute die beiden ungläubig an und versuchte „Geburtstag“ zu sagen.
„Ja, Frau Kaiser, mein liebes Schätz-chen, heute ist dein Geburtstag“, bestätigte Johannes und nahm sie erneut in den Arm.
Leni gab den beiden zu verstehen, dass sie das Video nochmals sehen wollte und Max tat ihr den Gefallen natürlich gerne. Sie versuchte, die Personen, die jeweils auf dem Bildschirm erschienen, zu erkennen und zu benennen. Aber ihre Sprachfähigkeit war immer noch sehr eingeschränkt.
Max war so begeistert von diesem erneuten Fortschritt, dass er ein Foto von Leni machte. Leider hatte er nicht viel Zeit und musste sich bald wieder verabschieden. Aber er schickte das Foto an alle Freunde und Verwandte von Leni und schrieb dazu: Dornröschen ist aufgewacht und bedankt sich für eure Glückwünsche. Worauf sein Handy noch stundenlang piepste und er unzählige Fragen beantworten musste.
Leni zeigte auf ihre Finger und versuchte zu fragen, wo ihre Ringe seien. Johannes überlegte und ihm fiel ein, dass seine Mutter bei Leni gewesen war, als sie bewusstlos wurde. Er rief daraufhin sofort seine Mutter an und die bestätigte, dass sie die Ringe an sich genommen und in das kleine Seitenfach von Lenis Tasche gesteckt hätte. Dort fand Johannes sie dann auch und streifte Leni mit feierlichem Gesichtsausdruck sowohl den Verlobungsring als auch den Ehering über den jeweiligen Ringfinger und küsste sie liebevoll, worauf sie ihn anlächelte. Er konnte nicht mehr an sich halten, nahm sie fast stürmisch in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr: „Oh, meine süße, kleine Lene, ich liebe dich so sehr.“
Kurze Zeit später gab sie ihm zu verstehen, dass sie eigene Kleider anziehen und nicht mehr in diesem Krankenhaushemd rumliegen wollte. Johannes überlegte einen Moment und sah dann auf seinem Handy nach, wen Max als Nächstes eingeteilt hatte.
„Du hör mal, heute Nachmittag kommt Sarah. Die weiß sicher besser als ich, was du gebrauchen kannst. Ich ruf sie an und sag ihr, dass sie dir ein paar Sachen einpacken soll, wenn sie angekommen ist.“ Leni nickte zufrieden, machte dann aber ein nachdenkliches Gesicht. Sie konnte sich an nichts erinnern und fragte sich, warum sie an ihrem Geburtstag im Krankenhaus lag. Johannes gab sich große Mühe zu verstehen, was sie sagte, aber sie sprach so unverständlich, dass ein Gespräch fast nicht möglich war. Er erzählte ihr, dass sie eine Hirnblutung gehabt hatte und seit sechs Wochen in der Klinik lag. Sie weinte und tastete nach ihrem Bauch. „Den Kiddies geht es gut, mein Schätz-chen“, beruhigte er sie. Sie atmete erleichtert auf.
Während der nächsten Stunden kamen immer wieder mal Ärzte und Pfleger ins Zimmer, um Leni zum Geburtstag zu gratulieren. Alle waren begeistert über den munteren Eindruck, den Leni machte. Und wenn sie versuchte, sich für die Glückwünsche zu bedanken, hatte der ein oder andere Tränen in den Augen. Im Laufe der vergangen Wochen hatten alle Anteil an ihrem Schicksal genommen und freuten sich über diesen großen Fortschritt bei ihrer Genesung.
Am späten Nachmittag erschien dann Sarah mit einer Reisetasche voller Kleidung für Leni. Und da war er wieder, dieser verführerische Blick zu Johannes. Leni war von Anfang an aufgefallen, wie Sarah ihren Johannes anschaute. Zunächst war sie so verliebt gewesen, dass sie dachte, sie hätte sich getäuscht. Sarah war Gynäkologin und zudem um einiges älter als sie. Deshalb hatte sie dem keine weitere Beachtung geschenkt. Trotzdem hatte sie bei der jetzigen Schwangerschaft, solange sie noch in Freiburg wohnte, die ersten Untersuchungstermine ohne Johannes wahrgenommen. Nur beim letzten Termin, bevor sie zu ihm nach Leipzig gezogen war, hatte Johannes sie begleitet und da war sie sich ganz sicher, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Und später hatte Sarah ihr doch tatsächlich während eines Telefonats gebeichtet, wie sexy sie Johannes findet. Aber da Freiburg weit weg von Leipzig war, fand Leni das eigentlich nur amüsant und hatte es Johannes sogar erzählt. Als sie vor ein paar Monaten wegen des Prozesses gegen ihren Entführer in Freiburg gewesen waren, war sie so schlecht zuwege, dass Sarah dachte, Leni hätte nicht bemerkt, wie heftig es zwischen ihr und Johannes geknistert hatte. Doch obwohl Leni voller Beruhigungsmittel war, hatte sie trotzdem einiges davon mitbekommen und ihr Verhältnis zu Sarah war merklich abgekühlt.
Im Moment konnte Leni sich zwar an keine Einzelheiten erinnern, aber die Funken, die zwischen Sarah und Johannes sprühten, bemerkte sie auch jetzt. Und dann besaßen die beiden doch noch die Unverfrorenheit, hinter der Schranktüre beim