Das Gesetz des Wassers. Urs Schaub

Das Gesetz des Wassers - Urs Schaub


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      Aberwitzige Verbrechen in atemberaubender Landschaft – erneut lässt Urs Schaub den charismatischen Tanner auf Spurensuche gehen: Simon Tanner, der vor Jahren den Polizeidienst quittiert hat, stolpert unerwartet in einen komplizierten Mordfall. Ein Japaner stirbt in einem zwielichtigen Etablissement, seine Leiche verschwindet auf rätselhafte Weise. Eine zweite Leiche, eine junge Japanerin, wird nackt in einem Brunnen gefunden. Zeuge dieses Verbrechens ist ein Mann, der in einem dornigen Gebüsch lebt und den Untergang der Stadt prophezeit. Und ehe Tanner sich versieht, ist er in ein Netz von Geschäften und Verbrechen internationalen Ausmaßes verstrickt.

      Urs Schaub, geboren 1951, arbeitete lange als Schauspiel-Regisseur und war Schauspiel-Direktor in Darmstadt und Bern. Als Dozent arbeitete er an Theaterhochschulen in Zürich, Berlin und Salzburg. 2003 bis 2008 leitete er das Theater- und Musikhaus Kaserne in Basel, 2006 bis 2010 war er Kritiker im «Literaturclub» des Schweizer Fernsehens. «Das Gesetz des Wassers» ist der zweite von vier Kriminalromanen mit dem charismatischen Ermittler Simon Tanner. Urs Schaub lebt in Basel.

      Foto Yvonne Böhler

      PROLOG

      Einem schlafenden Frauenkörper gleich scheidet der sanfteste aller Hügel mit seinen üppig bewachsenen Formen die Elemente. Nach oben die zitternde Luft des Himmels. Nach unten das schwer liegende Wasser. Spiegelglatte Fläche vor geformtem Grün. Im Norden des Sees gleißt ein beunruhigendes Blau. Im Südwesten nimmt das Wasser eine Türkisfarbe an, deren Intensität von Minute zu Minute wächst. Wo das Tiefblau auf das Türkisblau trifft, trennt eine weiße Linie die beiden Wasser, als ob jemand mit Kreide eine Trennlinie gezogen hätte. Zu allem Überfluss der Farben legt die untergehende Sonne ihre glutrote Straße über den See. Mit einem Saum aus purem Gold.

      Das vorbeiziehende Ausflugsschiff durchkreuzt mit weiß schäumender Bugwelle die gespiegelte Sonnenbahn. Das Oberdeck des Schiffes ist übervoll. Dicht gedrängt sitzen Ausflügler. Kinder stehen an der Reling. Sie winken einem schmalen Segelboot zu, das heftig schaukelnd das brodelnde Kielwasser des Schiffes kreuzt.

      Die Hitze des Tages, der als der heißeste Tag des Jahrhunderts in die Annalen der Meteorologen eingehen wird, liegt schwer über dem sanften Land. Obwohl die Sonne bereits tief im Westen steht, ist noch kein Anzeichen von Abkühlung zu spüren.

      Schon seit Tagen ist das Land unter einer Gluthitze gefangen, die alle gewohnte Emsigkeit zum Erliegen bringt. Der Fleiß, auf den sich die Bewohner des kleinen Landes einiges einbilden, ist arg gefährdet. Dem einen oder andern wird langsam klar, unwillig zwar, dass es für Menschen in heißen Ländern nicht so einfach ist, den ganzen lieben langen Tag tätig und fleißig zu sein. In der Glut des Tages bildet sich in manch einem überhitzten Gehirn ungewohnte Trägheit. Und plötzlich aufflammende wilde Begierde, wo sonst gewohnheitsmäßig Taubheit herrschte.

      Einzelne Schulen sind bereits seit einer Woche wegen Hitze geschlossen. Die Nachrichten berichten täglich über zunehmende Wasserknappheit, über eine steigende Sterblichkeitsrate unter alten Menschen und erteilen medizinische Ratschläge. Der Ozongehalt der Luft hat längst alle von den Umweltorganisationen genannten Grenzwerte überschritten. Mittlerweile allerdings auch die von der Industrie akzeptierten Kennziffern. Die Regierung des Landes berät Maßnahmen. Verantwortungsvolle Kreise fordern mindestens autofreie Sonntage. Die großen Lebensmittelketten behalten sich vor, bei anhaltender Hitze die Öffnungszeiten ihrer Läden auf den Abend zu verlegen.

      Die Gäste auf dem Schiff sind vorwiegend Japaner. Mitarbeiter eines großen Konzerns. Sie sind auf einer Besichtigungstour europäischer Niederlassungen ihrer Firma. Eine davon hat zu einer Dreiseenfahrt eingeladen. Unter den japanischen Gästen sind auch Mitarbeiter des hiesigen Betriebs. Zum Teil mit ihren Familien, denn die Geschäftsleitung legt großen Wert auf persönlichen Kontakt mit den japanischen Geschäftsfreunden. Den Gästen, die während zweier Wochen ein aberwitziges Besichtigungsprogramm in ganz Europa absolvieren, macht die Hitze offensichtlich nichts aus. Fröhlich lächelnd sitzen sie in bunten, luftigen Kleidern auf den harten Bänken. Nicht zum ersten Mal fragen sich die schwitzenden einheimischen Manager, ob ihre japanischen Geschäftsfreunde vielleicht doch von einem anderen Stern stammen.

      Ein riesiger Schwarm Möwen begleitet mit gierigen Schreien das weiße Schiff.

      Das Segelboot kämpft immer noch gegen die Wellen. Das kleine Boot mit einem viel zu großen Segel wird heftig hin und her geworfen. Der Baum schlägt wild von einer Seite zur anderen. Die beiden Segler versuchen verzweifelt, die Großschot einzuholen. Offensichtlich hat sich in der Hektik des Manövers das Schot verheddert. Jetzt versucht einer aufzustehen, um den Baum mit seinen Händen festzuhalten. In diesem Moment rammt das Segelboot einen Gegenstand im heftig bewegten Kielwasser des Ausflugsschiffes. Der stehende Segler wird mit Wucht über Bord geworfen. Die Kinder auf dem Schiff schreien aufgeregt. Am Heck des Schiffes entsteht Bewegung. Der zweite Segler hat sich vor Schreck erhoben und wird in diesem Moment durch den wild schlagenden Baum ebenfalls vom Boot gemäht. Für einen Moment sind beide über Bord gefallenen Segler untergetaucht. Das unbemannte Boot driftet jetzt überraschend schnell weg vom Schiff. Immer mehr Gäste drängen sich auf dem Aussichtsdeck des Ausflugsschiffes und halten angestrengt Ausschau nach den beiden Seglern im Wasser. Die Motoren stoppen. Offensichtlich hat die Mannschaft von dem unglücklichen Manöver des Segelbootes Notiz genommen. Die Schraube beginnt nun rückwärts zu drehen, um das Schiff vollends zu stoppen. Das Schiff erschauert, als ob es sich gegen die Umkehr der Fahrtrichtung sträuben würde. Ein anhaltendes Vibrieren durchströmt das Deck. Die Mannschaft öffnet auf der Steuerbordseite die Reling und steht mit Rettungsringen bereit. Zögernd beginnt das Schiff Rückwärtsfahrt aufzunehmen. Aufgeregte Schreie auf dem Oberdeck. Alle starren auf einen wild um sich schlagenden Körper im Wasser. Es ist eine Frau mit langen blonden Haaren. Plötzlich werden ihre Bewegungen ruhiger. Offensichtlich hält sie sich an einem schwimmenden Gegenstand fest. Die Gäste auf dem Schiff können nicht ausmachen, was es ist. Vom anderen Segler fehlt jede Spur. Das Segelboot ist schon weit abgedriftet. Das Ausflugsschiff ist mittlerweile auf der Höhe der Schwimmerin angekommen und der Kapitän spricht beruhigende Worte durch ein Megafon. Die Frau klammert sich mit beiden Händen fest und versucht, rittlings auf einem unterhalb der Wasseroberfläche schwimmenden Objekt zum Sitzen zu kommen. Sie schafft es und winkt zum Schiff. Die Wellen schaukeln sie hoch und jetzt kann man sehen, dass sie lacht. Offensichtlich hat sie noch nicht bemerkt, dass ihr Segelpartner auch über Bord ging. Auf dem Schiff macht die Mannschaft ein Rettungsfloß klar, allerdings schwer behindert durch die Fahrgäste. Plötzlich hört man von der blonden Schwimmerin einen panischen Schrei. Sie lässt sich wieder ins Wasser fallen und krault mit hektischen Schwimmbewegungen weg von ihrem kurzfristigen Rettungsgegenstand. Eine Serie von rollenden Wellen überflutet ihren Blondschopf. Und jetzt kann man nach und nach auch den Gegenstand erkennen, auf dem die Schwimmerin gerade eben noch saß. Zuerst sieht man starre Beine, dann einen ungeheuer aufgeblähten Bauch. Auf dem Schiff herrscht plötzlich Totenstille. Der Körper dreht sich, die Beine verschwinden. Aus dem aufgewirbelten Wasser erhebt sich ein Kopf. Er ist offensichtlich zertrümmert. Aus dem Maul hängt eigenartig verdreht eine bleiche Zunge. Zwei mächtige Hörner glänzen nass im Goldlicht. Beide Ohren sind abgeschnitten. Es ist der mächtige Schädel einer toten Kuh.

      EINS

      Tanner hält keuchend inne und lehnt sich an den kühlen Sandstein. Trotz der relativ niedrigen Temperatur im Turm ist er schweißgebadet. Was für eine unsinnige Idee, ausgerechnet an diesem heißen Tag die vielen Treppen hinaufzusteigen. Wie vollkommen verlassen wirkt die sonst so geschäftige Stadt. Jeder, der es sich leisten kann, sitzt zu Hause bei geschlossenen Fensterläden und trinkt Eistee oder Bier.

      Der historische Platz vor der roten Sandsteinkirche liegt in grellem Sonnenschein. Das Licht lässt ihn, dank der strengen Schattenrisse, noch geometrischer erscheinen. Die gepflegten Häuser aus vergangenen Jahrhunderten wirken als Architekturensemble wie eine scharf ausgeleuchtete Theaterkulisse. Der quadratische Platz neben der Kathedrale mit seinen vierunddreißig mächtigen Kastanien träumt selig von Italien. In regelmäßigen Abständen stehen die alten Bäume, die wohl einen tiefschwarzen Schatten, aber keine Kühle mehr spenden können. Die Hitzeschwaden stehen zwischen den Bäumen geradeso wie in den schmalen Gassen zwischen den Häusern. Das einzig Erfrischende ist das Wasser,


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