Die Bargada / Dorf an der Grenze. Aline Valangin
Gesicht wiederkehre, den er diesen Morgen aufgefangen. Nein, das Gesicht blieb unbewegt. Enttäuscht dachte der Alte, die Zeit sei noch nicht da.
Es war mitten in der Rekrutenschule. Bernardo und ein paar seiner Kameraden benützten einen Urlaub, um die alte Burg zu besuchen, die auf einer Anhöhe, nahe dem Städtchen, wo er Dienst tat, übers Land schaute. Der Ruf, die Burgwartsfrau, die eine kleine Wirtschaft führte, schenke einen guten Wein aus und habe eine hübsche Tochter, lockte die Soldaten mehr als die schöne Aussicht. Sie zogen singend durch den lichten Wald bergan und trieben Schabernack und Unfug.
Wo der Wald aufhörte und in Matten überging, kniete an einem flachen Brunnentrog ein Mädchen. Sie wrang Wäsche aus und legte sie, Stück für Stück, in die danebenstehende Hotte. Etwas ängstlich schaute sie auf die jungen Kerle, die, kaum hatten sie die Wäscherin bemerkt, im Wettrennen auf sie zustürzten, als kämen sie vor Durst um und suchten bei ihr Erquickung. Sie erwiderte knapp die überschwenglichen Begrüßungen und beeilte sich, mit ihrer Arbeit fertig zu werden. Da erlaubte sich der eine eine anzügliche Bemerkung. Das Mädchen wurde rot. Die Burschen brachen in wieherndes Gelächter aus. Es war der pure Übermut, weiter nichts. Aber Bernardo faßte eine plötzliche Wut. Er packte den Frechen und warf ihn vor dem Mädchen zu Boden. Dieser ließ sich die Demütigung nicht gefallen. Er erhob sich flink und stürzte sich mit Wucht auf Bernardo. Die andern mischten sich in den Streit. Es entstand eine Prügelei, und ehe man sichʼs versah, floß Blut. Bernardo trug einen Schnitt im Arm davon. Die Gesellschaft war ernüchtert. Das Mädchen, das entsetzt dem Tumult zusah, bot ein Wäschestück an, das Blut zu stillen. Sie legte es Bernardo geschickt um den Arm. Er lächelte sie an und sie senkte die Augen.
Der Streit hatte Folgen. Die Verletzung war nicht zu verheimlichen gewesen. Die Burschen mußten mit der Wahrheit herausrücken. Sie wurden bestraft. Bernardo kam ins Krankenhaus, dann in Arrest. Es ließ ihn gleichgültig. Seit der Begegnung mit der Wäscherin war er in einem sonderbaren Zustand. Er hielt ihn nicht für Verliebtheit. Er wünschte nicht einmal sehr, das Mädchen wiederzusehen. Er staunte nur in sich hinein, in ungewohnter, heißer Schläfrigkeit, ganz innern Bildern hingegeben, die sich mit Erinnerungen aus der Kinderzeit mischten. Die schöne Traummutter, Teresina in Mailand, die weiße Frau aus dem Kinderbuch, die ihn ansah, die buntlackierten Damenbildnisse der Marzipanschnitten, Alda, das blonde Mädchen vom Dorf, die Diven in rosa Trikots, deren verfängliche Photographien er gelegentlich im Guckkasten bewundert hatte, die Kellnerinnen Carmen und Rosita und wie die Zufallsbekanntschaften heißen mochten, er konnte sie nicht mehr auseinanderhalten. Sie verwuchsen zu einer einzigen, in voller Schönheit ihm vorschwebenden Figur, die ihn durch ihre Nähe bedrängte. Er konnte ihr keinen Namen geben, aber er glaubte, der Name der unbekannten Wäscherin würde ihr am besten passen. Sein erster Ausgang führte ihn dann zum Brunnen am Waldrand, und er war enttäuscht, das Mädchen dort nicht zu finden. Sie hatte ja nichts anderes zu tun, als auf ihn zu passen, spottete er über sich, und stieg weiter, bis zur Burg, die er damals wegen des Streites nicht erreicht hatte. Durch ein breites, offenes Tor trat er in den Hof. Er war leer. Nur ein Huhn gackerte herum. Vor dem Hauptgebäude standen Granittische und grün gestrichene Bänke. Er setzte sich. Wie still es hier war. Fast wie auf der Bargada.
Aus der Haustüre trat eine Frauengestalt. Bernardo, geblendet von der Sonne, legte die Hand über die Augen, um besser zu sehen. Sein Herz klopfte. Es war das Mädchen vom Brunnen. Sie machte eine Bewegung auf ihn zu, hielt sich dann zurück und fragte schüchtern nach seinem Begehr. Bernardo schwieg. Er nahm aus der Brusttasche ein weißes Tuch, sorgsam gefaltet, und hielt es ihr hin. Es war das Wäschestück, das sie ihm um den Arm gewickelt hatte. Sie nahm es und dankte. Dann lachten beide auf. Das Mädchen wollte die Narbe sehen. Er schob den Ärmel hoch, daß am braunen Arm der hellrote Strich sichtbar wurde. «Es hätte dumm gehen können», meinte das Mädchen. «Es ist aber gut gegangen», fand Bernardo und zog sie neben sich auf die Bank.
Nun erst konnte er sie richtig betrachten. Sie sah anders aus, als er gemeint hatte. Kein blondes Lockengewirr, nur schlichte, dunkelbraune Zöpfe, ordentlich um den Kopf geschlungen, und statt der honigbraunen Augen mit den Funken darin ein sehr dunkler, ernster Blick. Sie war ganz anders, ach, aber sie war hübsch, und sie gefiel ihm. Auch ihr Wesen, vorsichtig und doch zutraulich, fand er reizend. Bald plauderten sie wie alte Bekannte. Um ein weniges und er hätte ihr von der Bargada erzählt. Wie kam er dazu? Die lag doch hinter ihm!
Als die Mutter des Mädchens, die Wirtin, aus dem Hause kam, um nachzusehen, warum die Bestellung so lange daure, hielt Bernardo das Mädchen mit einem Arm umschlungen. Die jungen Leute schauten einträchtig und versunken ins Land hinaus. Über ihnen schwirrten und zwitscherten die Schwalben. Die Wirtin traute ihren Augen nicht. Was fiel Bellinda ein? Sonst brachte sie die Tochter kaum dazu, einen Gast zu bedienen, und nun setzte sie sich mit dem ersten besten an den Tisch und tat schön mit ihm. Zornig segelte sie heran, daß die Falten ihres weiten Rockes wedelten, und schlug mit der Hand auf den Tisch. Bellinda schien nicht zu wissen, wie ungewöhnlich ihr Benehmen war. Sie stand auf und sagte freudig zu der Mutter: «Das ist der Soldat, der sich für mich einsetzte.» Die Mutter, etwas besänftigt, hatte nicht im Sinn, schon einzulenken. Unwirsch murrte sie: «Ein feiner Soldat, der mit Messerhelden geht!» Bernardo wehrte sich für den Freund, er sei sonst recht, sie seien eben hitzig geworden, und so geschehe schnell ein Unheil. Es lohne sich übrigens nicht, davon zu sprechen. «So, so, es lohnt sich nicht», sagte spitzig die Frau, «aber es lohnt sich, wie ich sehe, meiner Tochter nachzustellen!» Zu Bellinda gewendet, befahl sie: «Geh ins Haus!» Dann kehrte sie sich mit gemachter Freundlichkeit zu Bernardo: «Und was wünscht der Herr?» Bellinda stand beschämt auf und verschwand in der Haustüre. Bernardo aber sagte: «Wenn Ihrʼs so nehmt, dann könnt Ihr auch Euren Wein behalten. Es gibt Orte, wo man freundlicher ist», schnallte seinen Gurt um, den er abgelegt hatte, schob sich die Mütze auf dem Kopf zurecht und ging mit lauten Schritten zum offenen Tor hinaus.
Doch wo und wann hat eine strenge Mutter ihre Tochter verhindern können, Mittel und Wege zu finden, sich mit ihrem Liebsten zu treffen! Bellinda und Bernardo kamen zusammen, zufällig zuerst, dann auf Verabredung hin immer häufiger und immer länger. Oft kehrte das Mädchen erst spät und zerzaust nach Hause zurück. Die Mutter wußte ziemlich genau, was die Tochter trieb, doch schwieg sie dazu. Der Militärdienst würde ein Ende nehmen und Bernardo fortziehen, wie das so geht mit Soldaten, Bellinda den Kopf hängen lassen und den Burschen vergessen. Kindereien!
Sie irrte sich. Die Liebe zwischen den beiden war nicht leichter Art. Weder Bellinda noch Bernardo wollten einander lassen. Es war beiden klar, daß Bernardo einen neuen Arbeitsplatz im Städtchen suchen müsse, damit sie bald heiraten könnten. Freilich, der Verdienst würde gering sein. Große Sprünge konnten sie nicht machen, denn Bellindas Mutter, das war sicher, würde ihnen nichts beisteuern, und den Vater um Hilfe angehen, das kam nicht in Frage. Nun, sie waren beide jung und gesund, es mußte gehen. Lebten nicht genug andere ebenso bescheiden, wie es ihnen vorgeschrieben war! Und Bernardo konnte sich hinaufarbeiten. Auch der Vetter in Mailand hatte als Arbeiter begonnen. Nur vorwärts!
Es gab zwei Malermeister am Ort, Nerina erede di Nerina und Rossi, beide alt und als schwierig bekannt. Sie lagen in ständigem Krieg miteinander, denn, war der eine eine Hauptstütze der Kirche, so feierte der andere Triumphe als Redner an Arbeiterversammlungen. Ihre Kundschaft bestand aus den Anhängern der beiden Parteien, die sie zierten, und eher wäre im Sommer Schnee gefallen, als daß je ein Gartenzaun der einen vom alten Nerina gestrichen oder eine Schlafkammer der andern von seinem Rivalen Rossi geweißelt worden wäre. Man hielt im Städtchen auf Ordnung. Bernardo mußte sich also entscheiden, zu welchen er gehören wollte. Nicht leicht für ihn, denn weder waren ihm die Grundsätze des Nerina teuer, noch traute er den Ansichten des Rossi. Ohne Wahl ging es aber nicht. Und so traf er sie, lieber mit den Wölfen heulend als mit den Schafen blökend, wie er Bellinda erklärte, und stellte sich bei Rossi vor. Er hatte Glück. Dem alten Plagegeist war ein Arbeiter entlaufen, und Bernardo bekam seine Stelle.
So waren die Liebenden nach einem Jahr verheiratet. Mutter Bice hatte eingesehen, daß sie mit der Tochter nicht fertig wurde. Sie mußte ihr den Willen lassen. Doch wünschte sie, das Paar solle bei ihr wohnen. Bellinda sei zu unerfahren, einen eigenen Haushalt zu führen, und zudem begehre sie, die Mutter, nicht allein zu bleiben. Es wurde eine Kammer im Turm für die Jungen eingerichtet. Als der Raum frisch gereinigt war, zeigte