Die Bargada / Dorf an der Grenze. Aline Valangin

Die Bargada / Dorf an der Grenze - Aline Valangin


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würde? Davon hing vieles ab. Endlich hörte sie Schritte. Sie hielt den Atem an. Gingen sie am Haus vorbei? Traten sie ein? Als der Bursche mit leisem Gruß in der Küche erschien, war sie gefaßt.

      «Schau, der Giovanni», warf sie hin, stand auf und schob ihn an ihren Platz neben der Mutter. Dem Vater, der verwundert aufschaute, erklärte sie, warum Giovanni so spät erst nach Hause gehe, und daß er am frühen Morgen schon wieder hier oben an der Arbeit sein müsse.

      «Viel Schritte umsonst», meinte Tomaso ohne Teilnahme. Doch Detta schlug vor, der Junge solle über Nacht im Heu bleiben, es hätte wohl niemand etwas dagegen.

      Er blieb, und von da an kam es vor, daß Giovanni eine Nacht in der Woche auf der Bargada verbrachte, um sich den Weg zu sparen. Ja, um sich den Weg zu sparen. Nur die alte Tante Giulia erriet, daß Giovanni nicht aus Bequemlichkeit auf dem Hof übernachtete.

      Man sah sie selten mehr. Sie spann sich in ihrem Hause ein, was sie aber nicht hinderte, alles zu wissen, was sich auf der Bargada zutrug, und mit besonderem Spürsinn zu ahnen, was weder zu sehen noch zu hören war. So war ihr aufgefallen, daß Orsanna an gewissen Tagen eine andere Ordnung in ihre Arbeit brachte, hier war statt dort, ausging, wo sie sich sonst im Hause beschäftigte. Sie fand bald heraus, daß diese Veränderungen im Tagesplan mit dem Auftauchen des jungen Wegknechtes zusammenfielen. Schau, schau! Neugierig strich sie herum, fing mit Or­sanna Gespräche an und tauchte unerwartet im Hause auf. So kam sie eines Abends, als Giovanni in der Küche saß, hereingeschlurft und hockte kichernd dem Jungen gegenüber auf einen niedern Schemel, von wo sie ihn mit kleinen, von Hautsäcken verhangenen Augen musterte. Er erzählte gerade von der Gant des Spertini, der nicht mehr aus seinen Schulden zu retten sei und nun das Tal verlasse, um in einer Stadt als Handlanger seinen Verdienst zu suchen, während seine Frau und die Tochter, jene Alda, die Tomaso für seinen Sohn ausgewählt hatte, die Wirtschaft «Zur Post» übernähmen. Tomaso nickte. So hatte es kommen müssen, weil Bernardo ohne Vernunft seine guten Pläne durchkreuzte.

      In dieser Nacht glaubte Giulia durch das Guckloch ihrer Küche zu sehen, wie Giovanni, nachdem alle schlafen gegangen waren, sich nochmals ins Haus schlich. Schau, schau! Wie war das nun? Wenn Orsanna den Burschen heiraten mußte – und wie sollte es anders ausgehen? –, dann kehrte sich auf einmal die Ordnung auf der Bargada um. Nicht die angeheiratete Frau wurde Meisterin, sondern die Zugehörige, die Eingeborene, die Echte: eine Armini. Sie fühlte sich im voraus und hintendrein entschädigt für ein Leben, das sie im Schatten der Schwägerin und Fremden hatte verbringen müssen, verloren, verblaßt, aufgeopfert. Brach Orsanna mit dem alten Brauch, der verlangte, daß die ledigen Schwe­stern des Meisters seiner Frau dienten, dann waren alle Armini-Töchter bis zurück zum Anfang, von dem niemand mehr wußte, gerächt. Sie wurde aufgeräumt und guter Dinge. Man sah sie oft auf der Wiese nach jungen Löwenzahnblättern suchen. Sie füllte ihre Schürze damit und wisperte vor sich hin: «Oh, das Schleckermaul!»

      Orsanna begriff, daß die Alte ihr Geheimnis erraten hatte. Es beunruhigte sie, denn sie traute der Tante keine Verschwiegenheit zu. Hätte sie sagen sollen, was sie als Folge eines Geschwätzes mehr fürchtete, ihren Heiratsplan gefährdet zu sehen oder ihre Nächte mit Giovanni, sie wäre in Verlegenheit geraten. Denn das war zweierlei. An eine Heirat mit Giovanni hatte sie gedacht, ohne ihn zu lieben. Eine Heirat war eine Sache für sich: die Möglichkeit, sich die erste Stelle auf der Bargada zu erobern. Nun liebte sie aber Giovanni. Und das wiederum war eine Sache für sich.

      Es gab Tage, an denen alles andere dagegen verblaßte. Wie im Traum verrichtete sie ihre Arbeit, eilte hin und her, gab Auskunft, ordnete an, aber ihre Gedanken waren nicht dabei. Wenn sie nachts endlich ihre Kammer aufsuchte, brach die mühsam zurückgehaltene Leidenschaft hervor. Sie warf sich vor dem Bett auf die Knie, wie zum Gebet, sie zitterte und stöhnte, rollte ihren Kopf, daß ihre Zöpfe sich lösten, und biß in die Kissen. Mit stechender Lust überließ sie sich der Erinnerung an die Freuden ihrer letzten Nacht, genoß sie in ihrer Vorstellung wieder und wieder, bis ihr Sinn sich verwirrte und ihr Herz in wilden Schlägen zuckte, als wollte es zerspringen. Dann trieb es sie, davonzuschleichen und zum Geliebten zu eilen, um sich zu vergewissern, ob auch er ihrer Liebe gedenke. Die Furcht, jüngere und schönere Mädchen könnten ihn ihr abspenstig machen, quälte sie grausam und ließ ihr keine Ruhe. Vor allem jene Alda, die nach des Vaters Plan als Bernardos Frau auf den Hof hätte ziehen sollen und ihr schon damals ein Dorn im Auge war, gab ihr jetzt wieder und ärgeren Grund zu Eifersucht. Es hieß von ihr, sie erlaube den Burschen mehr, als sich schicke. Orsanna hatte bemerkt, dass Giovanni gerne seine Arbeit unterbrach, um mit ihr zu schäkern, wenn sie zufällig des Weges kam. War es zufällig? Sicher wußte sie es zu berechnen und einzurichten, daß sie ihn tagtäglich irgendwo an der Straße traf, während sie, Or­sanna, auf dem Hof festgehalten war. Sicher trieben es die beiden zusammen, lachten wohl über sie, die alte Jungfer, der die Liebe so den Verstand geraubt hatte, daß sie nicht mehr klar sah. Doch halt, so weit war es noch nicht. Sie stellte sich das Mädchen vor: blond wie ein ­Sonnenstrahl, von weißer Haut und zierlich gedreht. Und sie dagegen? Sie betrachtete sich im Spiegelchen. Schwarze flackernde Augen unter fast zusammengewachsenen Brauen; graue, eingefallene Wangen, trockene Lippen. Sie befühlte ihren Körper. Er war von der schweren Arbeit mager und sehnig geworden. Vergebens, nach verführerischer Rundung zu suchen. Wie ein schimmliges Stück Schwarte, verglichen mit einem knusperigen Zuckerbrötchen, dachte sie, vom Neid gegen die Bevorzugte durchbohrt, daß sie aufschrie.

      Gewann mit dem dämmernden Morgen der Tag wieder Macht über ihr aufgerissenes Wesen, wies sie mit Zorn die Verwirrung von sich, ­verwarf das Bild des Geliebten und stand auf, um ihren Geschäften nach­zugehen. Doch ach, der Liebe konnte sie nicht mehr entrinnen. Die Liebe hatte sie unterworfen und gebunden, sie war so wirklich, so nah, so dringlich, daß alles andere daran verging, daß auch Verdacht und ­Zweifel wie Schatten verblaßten.

      Sie tat Giovanni mit ihrem Mißtrauen Unrecht. Wohl hatte er für alle hübschen Mädchen ein Auge, und wohl auch ein Herz, aber Orsanna allein gebot seinem Blute, denn immer brannte er danach, zu erfahren, wie ihr hartes Wesen für ihn in Seufzen und Beben hinschmolz, immer wieder, nie genug. So dachte keines von ihnen weiter als bis zur nächsten Nacht. Ihre einzige Sorge war, Verhinderungen zu beseitigen und sich häufiger zu treffen. Beide waren ungestüm, heftig und ganz ineinander verstrickt, daß Fragen nach der Zukunft sie kaum streiften.

      Erst mit der Zeit tauchte der Gedanke einer Heirat deutlicher auf und nahm Gestalt an. Ihr Zusammensein endete oft in vagen Vorschlägen, die eher ein gemeinsames Träumen als ein Pläneschmieden waren. Ob eine Ehe zwischen ihnen möglich wäre, wann und wie, das gab zu raten. Sie lachten noch über ihre Einfälle. Sie stritten im Scherz, als wäre die ganze Übung nur ein Spiel, ob Orsanna zu ihm ins Haus, oder aber ­Giovanni auf die Bargada zu ziehen hätte. In den Beteuerungen Giovannis, es sei keine Frage, daß die Frau dem Manne zu folgen habe, war aber je ein solcher Ernst, daß Orsanna stutzig wurde. Sie prüfte ihre Lage. Sie malte sich aus, wie es wäre, wenn sie von der Bargada weg zu Giovanni zöge, in das armselige Haus, es mit seiner Mutter, die fast ihre Schwester sein konnte, und seinen kleinen Geschwistern zu teilen und die Armeleutearbeit aufzunehmen, die sie dort erwartete: Im Gemeindewald Holz sammeln, bei Reicheren taglöhnern, hinter ein paar mageren Ziegen ­herziehen … nein … unmöglich … Der Geliebte hatte zu parieren. Und bald scheute sie sich nicht mehr, Giovanni mit einem deutlichen Antrag zu Leibe zu rücken. Er wehrte sich. Es kam zum Streit.

      So, er wolle also nicht auf den Hof einheiraten. Warum nicht?

      Um nicht derjenige zu sein, der mit leeren Händen gekommen, nur eben geduldet würde. Froh wäre man um seine Arbeitskraft.

      Nur solange Friede herrsche. Bei der ersten Meinungsverschiedenheit müßte er hören, auch von Orsanna selber hören, er sei ein armer Schlucker und habe nicht mitzureden, sondern zu gehorchen. Er begehre nicht, der Knecht der eigenen Frau zu sein. Und wäre er das etwa nicht?

      Orsanna wurde böse. Was fiel dem Jungen ein, ihr Hindernisse in Form dummer Empfindlichkeiten in den Weg zu legen? Natürlich war sie der Meister, wer sonst? Und natürlich hatte Giovanni, der so viel jüngere, ihr zu gehorchen, doch nicht umgekehrt! Heiratete sie etwa, um sich von einem Fremden im eigenen Hause befehlen zu lassen? Sie gab Giovanni ihre Enttäuschung über seinen Eigensinn zu fühlen, verschloß ihm ihre Türe und grollte, bis die Angst, ihn


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