Inspiration Schweiz. Группа авторов

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Einstein spätestens im Frühjahr 1913 die Grundlagen für die Allgemeine Relativitätstheorie (art), einer Theorie der Gravitation, welche die herkömmliche Vorstellung von Raum und Zeit noch gründlicher revidierte. Die dabei benötigte mathematische Unterstützung fand er beim einstigen Studienfreund Marcel Grossmann, mittlerweile Professor für Mathematik an der eth Zürich: «Grossmann, du musst mir helfen, sonst werd’ ich verrückt.»

      Und Grossmann half. Er wies Einstein auf die geeig­neten mathematischen Techniken hin, mit denen er seine Ideen von Raum, Zeit und Materie in Formeln giessen konnte. Abschliessen konnte Einstein die art aufgrund einiger Irrwege allerdings erst 1915 nach seinem Ruf an die Preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin. Die art gilt als eine der grössten Meisterleistungen der Wissenschaftsgeschichte. Spätestens nach deren Bestätigung durch den britischen Astrophysiker Sir Arthur Eddington im November 1919 war der namenlose Patentbeamte zu einem der renommiertesten Physiker der Welt geworden – einem Popstar der Wissenschaft.

      Joachim Laukenmann

      Was sind schon verschneite Alpengipfel gegen einen ­Venushügel?

casanova-layout_01.tif Giacomo Casanova

      Ein Gockel auf Reisen oder Wie die Schweizerinnen dem Frauenhelden Giacomo Casanova das Leben schwer machten.

      «Casanova in der Schweiz» klingt wie der Titel einer komischen Oper – und ist ja auch eine: 1943 wurde Paul Burkhards Werk in Zürich uraufgeführt. Tatsächlich hat der grosse Verführer die kleine, sittenstrenge Schweiz mehrfach mit seinen erotischen Abenteuern beehrt, im Sommer 1760 sogar fünf Monate lang.

      Casanova scheint mit seinen schneidigen Attacken, frivolen Ratschlägen und wohl auch mit seiner Pornosammlung – als Mann von Welt führte er stets «gewisse Miniaturbilder» bei sich – selbst bei ehrbaren Eidgenossen auf lebhaftes Interesse gestossen zu sein; ihre Frauen und Töchter lagen ihm ohnehin zu Füssen.

      In Baden macht man für den Gigolo eine Ausnahme vom Sonntagstanzverbot. In Bern trinken die wackeren Ratsherren den Gast, der eher Limonade und Schokolade bevorzugt, fröhlich unter den Tisch. Selbst Albrecht von Haller, der Naturforscher, dessen «mannhafter sittlicher Ernst» Casanova beeindruckt, empfängt den Freigeist freundlich. In Solothurn beteiligen sich Ärzte, Honoratioren und französische Gesandte begeistert an seinem generalstabsmässig geplanten Versuch zur Erstürmung der Festung Mada­me von Roll.

      Selbst wenn man dem Prahlhans nicht alles glauben darf (der Solothurnaufenthalt ist unter Historikern umstritten): Die Leporello-Liste seiner Schweizer Eroberungen ist lang. In Genf will Casanova beim Bunga-Bunga-Souper mit dem Syndikus drei Damen auf einen Streich beglückt haben. In der Käsekammer vernaschte er dann noch eine fromme Helene und ihre Nichte, die «hübsche Theologin», die mit aparten Gottesbeweisen und ihrem üppigen Busen brilliert. In Bern geht er einer dreizehnjährigen Lolita an die Wäsche und philosophiert über die Vorzüge der Verschleierung: Wäre es nicht natürlicher, vorteilhafter und «besonders vernünftiger», wenn die Frauen statt ihres Körpers ihre Gesichter verhüllten?

      Casanovas grösster Schweizer Coup ist die Schauspielerin Dubois, die man ihm als «Haushälterin» quasi ins Nest legte. Das «Geschöpfchen» inspiriert Casanova zu ernstlichen Herzenswallungen und einem Heiratsantrag. Weniger Erfolg hat er bei Ludovica von Roll. Schon in Zürich versucht er sich, als Kellner und Stiefelknecht verkleidet, den schönen Waden der «Amazonin» zu nähern. In Solothurn geht er dann zum Angriff über, aber der misslingt: Morgens muss Casanova zu seiner Scham feststellen, dass er sich im Dunkeln zwei Stunden lang auf einer hinkenden Witwe, die ihn schon lange verfolgte, abgearbeitet hat.

      Welch «ungeheuerlicher Missgriff meiner Sinne»: Mit einem «Scheusal» Liebe machen und sich dabei auch noch glücklich schätzen! Madame ist erbost, dass man sie mit einer mageren, übel riechenden Hexe verwechselt hat. Zwar kann er sich mit einer elegant eingefädelten Intrige für die Schmach rächen, aber die Schweizerinnen machen es dem grössten Liebhaber aller Zeiten wirklich nicht leicht. In London wird er 1763 in einem 18-jährigen Luder aus Bern seine Meisterin finden; Andrew Miller hat die vielleicht schmerzlichste Niederlage Casanovas in seinem Roman «Eine kleine Geschichte, die von der Liebe handelt» verewigt.

      Dennoch, 1760 zeigt sich Casanova noch in Hochform. Die Schweiz im Unterrock: «Gott, welche Reize!» Mit 35 Jahren stand er in der Blüte seiner Manneskraft, und auch wenn Murten oder Solothurn nicht gerade Paris oder London sind, so bieten sie doch eine brauchbare Bühne für ­Casanovas Liebhabertheater – und Stoff genug für seine umfangreichen Memoiren. Hatte er nicht dem Fürstabt von Einsiedeln die Komödie des reuigen Sünders so überzeugend vorgespielt, dass ganz Zürich nur noch von der «neuen Ehrbarkeit» des Wüstlings sprach? Hatte er nicht in Genf Voltaire im Rededuell über Gott, den Aberglauben und Ariost an den Rand einer Niederlage gebracht? Und selbst wenn es nicht ganz so war: Gut erfunden und gut erzählt ist es schon, wie da zwei eitle Gockel lauernd umeinander herumstreichen. Für die landschaftlichen Reize der Schweiz hatte der Chevalier de Seignalt weder Augen noch Zeit. Was sind schon verschneite Alpengipfel gegen Venushügel?

      1769, bei seinem letzten Besuch in der Schweiz, findet Madame von Roll ihren alten Verehrer gealtert. Casanova kann nicht widersprechen. In Lugano, von wo aus er mit einer dreibändigen Apologie der venezianischen Republik seine Rückkehr in die geliebte Heimatstadt erzwingen will, bricht er sich beim Sturz vom Pferd beinahe den Hals. Der grosse Casanova ist nur noch ein müder, heimwehkranker Schatten seiner selbst. 1798 stirbt er, einsam und vergessen, im Schloss von Dux.

      Martin Halter

      «Ich halte die zwei Monate für meine

      glücklichste Zeit»

rousseau-layout_01.tif Jean-Jacques ­Rousseau

      Nur wenige Wochen verbrachte Jean-Jacques Rousseau auf der ­St. ­Petersinsel im Bielersee. In seinen «Träumereien eines einsamen Spaziergängers» wird sie zum Paradies.

      «Mein Herz kann sich nicht halb geben», gesteht Jean-Jac­ques Rousseau im zwölften Buch seiner «Confessions» (Bekenntnisse). Immer war der Denker Feuer und Flamme, ob in Liebe oder Hass. Preisgesang und Pamphlet reihten sich nahtlos, und manchmal galten sie dem gleichen Gegenstand, etwa der Vaterstadt Genf, die bald beispielhafte Republik, bald Heimat finsterster Laster war. Nie aber hat Rousseau seine Meinung über die St. Petersinsel im Bielersee geändert, auf der er am 12. September 1765 Zuflucht fand – für sechs Wochen.

      «Die kleine Insel, auf der ich mich befinde, schien mir passend für meinen Rückzug», schrieb er zwei Wochen nach der Ankunft, «sie ist sehr angenehm; man findet hier weder Kirchenleute noch von diesen aufgehetzte Gauner». Zwar klagte der 53-jährige über Krankheiten, das Alter, und manchmal störte ihn die Betriebsamkeit der Ernte. Aber die Abende seien ruhig, berichtet er Briefpartnern, und auf den einsamen Winter freue er sich schon jetzt. Rousseau richtete sich insgeheim darauf ein, auf der Insel den Lebensabend zu verbringen, wie er bei seiner Ausweisung dem Berner Magistraten und Schlossherrn Emmanuel von Graffenried gestand.

      Im Rückblick wuchs die Begeisterung noch. 1777, zwölf Jahre nach dem Verlassen der Petersinsel, erinnerte sich der Flüchtling in seinem letzten Werk noch einmal an sie. Die Cinquième Promenade, der fünfte Spaziergang, in den «Rêveries d’un promeneur solitaire» (Träumereien eines ein­samen Spaziergängers) ist einer von Rousseaus schönsten Texten. Die Nöte sind nicht vergessen, aber weggerückt. Was in der Erinnerung zählt, ist die neue Erfahrung, die der Verfolgte in seinem Inselexil machte: «Ich halte diese zwei Monate für meine glücklichste Zeit.»

      Rousseau, der umstrittenste Philosoph der Aufklärung, spaltete seine Zeit. Seine Anhänger und vor allem Anhängerinnen verehrten ihn wie einen Popstar, bedrängten ihn mit Briefen und Besuchen, noch auf der Petersinsel, die damals nur per Schiff erreichbar war. Zahlreicher noch waren die Feinde. Konkurrenten wie Voltaire gehörten dazu, vor allem aber Obrigkeiten aller Art. In Paris hatte man 1762 von Staats wegen Rousseaus Erziehungsroman


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