Inspiration Schweiz. Группа авторов

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Pariser Beispiel und erliess ebenfalls einen Haftbefehl gegen den Autor. Zuflucht fand dieser im Neuenburgischen, das damals unter der Herrschaft des aufgeklärten Preussenkönigs Friedrich des Grossen stand.

      Doch die erhoffte Ruhe hatte Rousseau auch im kleinen Môtiers im Val de Travers nicht. Voltaire verbreitete in einem anonymen Pamphlet, dass Rousseau seine fünf Kinder ins Findelhaus gegeben hatte, und der Pfarrer von Môtiers hetzte von der Kanzel gegen den Ungläubigen. Schon äusserlich war Rousseau ein Fremder: Er trug nur noch, was er sein «habit arménien» nannte, einen langen, kaftanähnlichen Rock, dazu eine Pelzmütze, wie er es bei einem Schneider aus Armenien gesehen hatte.

      Die Dörfler rüsteten zur Hatz auf den unheimlichen Kauz. Als eines Nachts Steine gegen seine Wohnung flogen, fühlte sich Rousseau des Lebens nicht mehr sicher. Selbst die ausdrückliche Protektion des preussischen Königs konnte ihn offenbar nicht schützen, und die von der Polizei einvernommenen Zeugen wussten von nichts oder gaben zu verstehen, Thérèse Levasseur, Rousseaus Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder, die er als seine Haushälterin ausgab, habe die Steine wohl selbst geworfen.

      Am Tag nach der «Steinigung», wie Rousseau den nächtlichen Angriff nannte, verliess er Môtiers. Die St. Petersinsel, auf der es ein einziges Haus gab, ein ehemaliges Kloster, schien das ideale Exil zu sein – hätte sie nicht den gnädigen Herren von Bern gehört, die Rousseaus Schriften ebenfalls verboten und den Autor zur Persona non grata erklärt hatten. Rousseau wusste es, hoffte aber auf stillschweigende Duldung.

      Trotz ständig drohender Ausweisung war es Rousse­aus «glücklichste Zeit». Sicher prägt Selbststilisierung den Rückblick des «Fünften Spaziergangs». Abgeschieden von der Aussenwelt, in bewusstem Verzicht auf Arbeit, auf Bücher und Schreibzeug, will der Asylant einzig seinen neuen Leidenschaften, der Botanik und den Träumereien, gelebt haben. Die Briefe zeigen, dass er nicht ganz so radikal war; selbst die Zeitung liess sich Rousseau übers Wasser bringen. Und durch eine Bodenklappe, die heute noch im Rousseauzimmer auf der Insel zu sehen ist, soll er sich vor Besuchern gerettet haben.

      Aber die «Rêveries» wollen nicht als Dokument, sondern als literarischer Text gelesen werden. Rousseau schildert sich als Traumwandler einer neuen Art, als ein Träumer mit gesteigert wachem Bewusstsein, der nichts weiter tut als Pflanzen sammeln oder auf der kleinen Nachbarinsel Hasen aussetzen, im Übrigen aber die Unschuld des Farniente geniesst: «Solange dieser Zustand dauert, sind wir uns selbst genug, wie Gott.»

      Allerdings, die Gesellschaft, wie sie ist, macht die «süssen Ekstasen» des Wachträumens nicht erstrebenswert. «Vita activa», ein rastloses, auf Erwerb gerichtetes Leben, ist angesagt. Nur «ein Unglücklicher, der aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen ist», einer wie Rousseau also, mag in diesen Träumereien eine Entschädigung für entgangene Freuden finden.

      Der Preis ist hoch. Das Exil muss zum Paradies (v)erklärt werden. «Die Verfolgung scheint einem geheimen Wunsch Rousseaus zu entsprechen. Sie enthebt ihn des Handelns und seiner Folgen», schreibt Jean Starobinski in seinem Rousseaubuch. So erbittet der Flüchtling folgerichtig von den Berner Herren lebenslängliche Einschliessung. «Ich wag­te den Wunsch auszusprechen und vorzuschlagen», be­richtet er in den «Confessions», «dass man mich eher zu ständiger Gefangenschaft verurteilen möge, als mich ständig auf der Erde herumirren zu lassen». Der Wunsch wurde abgelehnt, die Berner haben Rousseau am 25. Oktober 1765 vertrieben. Die St. Petersinsel aber blieb sein Traumge­fängnis.

      Peter Müller

      Vetternwirtschaft in der Stadt, Monotonie im Gebirge

hegel-layout_01.tif Georg Wilhelm Friedrich Hegel

      Von 1793 bis 1796 arbeitete der künftige Philosoph Hegel ­als ­Hauslehrer in Bern. Er stiess sich an den politischen Verhältnissen. Nicht mal die Natur bot Trost.

      Als Hegel 1831 in Berlin unerwartet starb, galt er als der grösste Philosoph seiner Zeit; sein Begräbnis wurde zum Defilee angesehener Persönlichkeiten und trauernder Studenten. Berlin war aber nur die letzte Station einer alles andere als geradlinigen Reise, deren frühere Etappen Heidelberg, Nürnberg, Bamberg, Jena, Frankfurt waren – und die ihren mühevollen Anfang in der Schweiz nahm.

      Im Oktober 1793 trat der 23-jährige Hegel seine Stelle als «Hofmeister» im Hause des Berner Patriziers Carl Friedrich von Steiger an, für ein monatliches Salär von 25 Louis d’or. Das Studium der Philosophie und der Theologie hatte er kurz zuvor in Tübingen abgeschlossen, wo er sich mit Schelling und Hölderlin angefreundet hatte. Er genoss ei­nen Ruf als guter Gesellschafter, und das nicht nur beim intellektuellen Gespräch, sondern auch beim Kartenspiel und beim Wein; gegenüber den Mädchen soll er «küsselustig» gewesen sein. Mit den Türen von Steigers Haus, einem prächtigen Gebäude an der Berner Junkerngasse 51, öffnete sich ihm nun eine unbekannte – und in vielerlei Hinsichten auch unvermutete – Welt.

      Hegels Hauptaufgabe bei der Familie von Steiger war das Unterrichten der beiden Kinder, des sechsjährigen Friedrich Rudolf und der achtjährigen Maria Catharina. Ihnen musste er die Grundbegriffe der französischen Literatur, Geschichte, Geografie, Arithmetik und Musik beibringen. Diese pädagogische Arbeit dürften aber eine Enttäuschung gewesen sein; in einem Brief an Hölderlin vom November 1796 schreibt Hegel, dass es zwar gewöhnlich gelinge, die Köpfe der Zöglinge «mit Worten und Begriffen zu füllen»; «aber auf das Wesentlichere der Charakterbildung wird ein Hofmeister nur wenig Einfluss haben können, wenn der Geist der Eltern nicht mit seinen Bemühungen harmoniert».

      Hegel scheint in seiner Umgebung schlecht integriert gewesen zu sein. Zwar liessen ihm seine Pflichten als Hofmeister genug Zeit fürs Studium und das Schreiben (in ­diesen Jahren entstanden seine ersten Schriften, darunter ein «Leben Jesu» und die Abhandlung «Die Positivität der christlichen Religion»).

      Dennoch beklagte er sich in seiner Korrespondenz immer wieder über seine «Entfernung von mancherlei Büchern» und «von den Schauplätzen literarischer Tätigkeit». Er fühlte sich im Bern fehl am Platz, abgeschnitten vom lebendigen Strom jenes intellektuellen Lebens, an dem seine Freunde zu Hause teilhaben konnten und von dem sie ihm in ihren Briefen auch enthusiastisch berichteten.

      Das Gefühl der Isolation dürfte von Hegels aufgeklärtem Blick auf die Berner innenpolitischen Zustände erst recht verstärkt worden sein. Diese verurteilte er in einem Brief an Schelling scharf: «Alle 10 Jahre wird der conseil sou­verain um die etwa 90 in dieser Zeit abgehenden Mitglieder ergänzt. Wie menschlich es dabei zugeht, wie alle Intrigen an Fürstenhöfen durch Vettern und Basen nichts sind gegen die Kombinationen, die hier gemacht werden, kann ich Dir nicht beschreiben. Der Vater ernennt seinen Sohn oder den Tochtermann, der das grösste Heiratsgut zubringt, und so fort.» Es waren erdrückende Zustände für den jungen Hegel, der an die Ideale der Französischen Revolution glaubte – und sich nach dem Brauch der Zeit als «Ihr gehorsamster Diener» an seinen Hausherrn wenden musste.

      Im Sommer 1796 unternahm Hegel zusammen mit drei sächsischen Hofmeistern eine Reise durch die Berner Alpen. Landschaftliche Beschreibung und Introspektion mischen sich in seinem Reisetagebuch. So notierte er an einer bemerkenswerten Stelle, dass «weder das Auge noch die Einbildungskraft … auf diesen formlosen Massen irgend einen Punct» finde, «auf dem jenes mit Wohlgefallen ruhen oder wo diese Beschäftigung oder ein Spiel finden könnte.» Nur der «Mineralog», den er hier als Musterbeispiel des fantasielosen Menschen zitiert, könne diese Gebirge interessant finden. Der reflexive Geist dagegen werde zur Melancholie getrieben von der traurigen Monotonie: «Der Anblick dieser ewig toten Massen», so fasste Hegel seine Eindrücke ­zusammen, «gab mir nichts als die einförmige und in die Länge langweilige Vorstellung: Es ist so.»

      War es die innere Wahrnehmung, die hier den bewussten Weltbezug prägte? Jedenfalls meinten seine Freunde aus der Tübinger Zeit, Spuren einer beunruhigenden psychischen Verwandlung bemerkt zu haben. Jeder versuchte auf seine Weise, Hegels Lebensfreude zu wecken: «Du scheinst», so schrieb Schelling, «gegenwärtig in einem Zustand der Unentschlossenheit und sogar Niedergeschlagen­heit zu sein, der Deiner ganz unwürdig ist. Pfui! ein Mann von Deinen Kräften.» Viel sanftmütiger


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