50 Jahre Speech-Acts. Группа авторов

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      Simon Meier / Lars Bülow / Frank Liedtke / Konstanze Marx / Robert Mroczynski

      50 Jahre Speech Acts

      Bilanz und Perspektiven

      Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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      © 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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      ISBN 978-3-8233-8347-5 (Print)

      ISBN 978-3-8233-0200-1 (ePub)

      50 Jahre Speech Acts – Einleitung

      Simon Meier, Lars Bülow, Frank Liedtke, Konstanze Marx & Robert Mroczynski

      Abstract: Speech act theory, that has received its canonic form 50 years ago in John Searle’s seminal book Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language (1969), is among the most key approaches of linguistic pragmatics. The contributions of this volume address the status of speech act theory in the field of contemporary linguistics. In our introduction, we trace the career of speech act theory as a basic theory, not least from the perspective of some critical objections speech act theory is faced with since its very beginning. Then we focus on recent developments concerning both theoretical and empirical issues. Finally, we give summaries of the contributions in this volume.

      1 Sprechakttheorie als linguistische Grundlagentheorie

      Die Sprechakttheorie, die vor 50 Jahren in John Searles Buch Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language (1969) ihre kanonische Form gefunden hat, gehört zweifellos zu den zentralen Theorieansätzen der linguistischen Pragmatik. Als Theorie des sprachlichen Handelns kann sie als Explizierung des Terminus „Pragmatik“ (griech. pragma = ‚Handeln, Handlung‘) überhaupt gelten, und zusammen mit den Theorien der Deixis und der Implikaturen ist sie essentieller Bestandteil jeder noch so knappen Darstellung pragmatischer Forschungsgegenstände. Aber auch in ausführlicheren Einführungs- oder Überblickswerken zur Pragmatik steht die Sprechakttheorie buchstäblich an vorderster Stelle (vgl. etwa Finkbeiner 2015; Liedtke/Tuchen 2018). Die Grundannahmen und Grundbegriffe der Sprechakttheorie gehören zu jeder linguistischen Grundausbildung und haben auch andere Teildisziplinen wie die Textlinguistik oder die Soziolinguistik maßgeblich beeinflusst. Darüber hinaus spielen auch in Spezialfeldern wie der Politolinguistik (vgl. Girnth 2015) oder der Internetlinguistik (vgl. Dresner/Herring 2010; Marx/Weidacher 2014) sprechakttheoretisch inspirierte Analysen eine wichtige Rolle, und sogar neurolinguistische Studien untersuchen die neuronalen Prozesse bei der Verarbeitung von Sprechakten (Egorova/Shtyrov/Pulvermüller 2016). Sprechakttheoretisch fundierte Theoreme und Perspektiven sind seit vielen Jahren in der linguistischen Pragmatik omnipräsent, und sei es nur in kritischer Abhebung wie etwa in der Conversation Analysis (vgl. etwa Hutchby/Wooffitt 2008, S. 18). Tatsächlich hat die Sprechakttheorie immer schon kritische Gegenstimmen auf den Plan gerufen, und doch ist wohl nicht zuletzt durch die hierdurch ausgelösten Debatten und Profilschärfungen alternativer Ansätze die linguistische Pragmatik von Grund auf sprechakttheoretisch geprägt.

      Der 50. Jahrestag des Erscheinens von Speech Acts scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, die Karriere der Sprechakttheorie als linguistische Grundlagentheorie zu reflektieren. Welchen Status hat sie im gegenwärtigen Feld der Pragmatik, welche Schwerpunktsetzungen und Neuakzentuierungen wurden gerade auch im Lichte der kritischen Einwände und Gegenentwürfe vorgenommen, und welche empirischen Fragestellungen werden typischerweise im sprechakttheoretischen Framework adressiert? Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Band.

      Im Folgenden sei zunächst die Karriere der Sprechakttheorie als pragmalinguistische Grundlagentheorie in groben Zügen nachgezeichnet, wobei die Geschichte der Sprechakttheorie vor allem auch als Geschichte kritischer Einwände erzählt werden muss. Danach wird der Blick auf aktuelle Tendenzen sprechakttheoretischer Theoriebildung wie auch der sprechakttheoretisch fundierten empirischen Forschung gelenkt.

      2 Zur Karriere der Sprechakttheorie in der linguistischen Pragmatik

      Als eigentlicher Begründer der Sprechakttheorie kann bekanntlich John L. Austin mit seinen 1955 gehaltenen und 1962 unter dem Titel How to do things with words publizierten William James-Lectures gelten (vgl. Austin 1962). Zwar haben jüngere Forschungsarbeiten auf zahlreiche Vorläufertheorien etwa bei Adolf Reinach hingewiesen, die sprechakttheoretische Grundeinsichten vorwegnehmen (vgl. Smith 1990; Meier in diesem Band), doch erst mit den luziden und durch die gewählten Beispiele ausgesprochen lebensnahen Ausführungen Austins wurde eine allgemeine und auch ausdrücklich so genannte „Theorie der ‚Sprechhandlung‘“ (Austin 1968, S. 153) greifbar.

      Austins Entfaltung der Sprechakttheorie ist ausgesprochen linguistisch perspektiviert und reflektiert beispielsweise ausführlich mögliche grammatische und lexikalische Unterscheidungsmerkmale performativer Äußerungen (vgl. Austin 1962, S. 55). Gleichwohl ist die Sprechakttheorie erst mit ihrer Systematisierung durch Searle auch seitens der Linguistik breit rezipiert worden. Hatte Austin seine Position noch mäandernd und die eigenen Erkenntnisse immer wieder prüfend und revidierend entwickelt, baut Searle seine Fassung der Sprechakttheorie auf ganz systematische Weise auf. Seine grundlegende Annahme lautet, mit Sprechakten die „basic or minimal units of linguistic communication“ (Searle 1969, S. 16) bestimmen zu können, die sich darüber hinaus als Funktion der Bedeutung von geäußerten Sätzen (vgl. Searle 1969, S. 18) beschreiben lassen. Somit erscheinen „linguistic characterizations“ (Searle 1969, S. 5) als Grundelemente einer allgemeinen Kommunikationstheorie.

      Dieser enge Anschluss von Linguistik und Kommunikationstheorie oder genauer: die Erhebung von Linguistik zu einer Kommunikationstheorie dürfte damals ausgesprochen attraktiv gewesen sein. Auch die weiteren theoretischen Festlegungen Searles wie etwa die Aufgliederung von Austins lokutionärem Akt in den Äußerungsakt und den propositionalen Akt (und diesen wiederum in Referenz und Prädikation) lassen sich gut an linguistische Fragenkomplexe anschließen. Vor allem aber die Engführung der Austin’schen Glückensbedingungen als „semantic rules for the use of any illocutionary force indicating device“ (Searle 1969, S. 62) – neben den zentralen Kommunikationsverben nennt Searle auch andere, linguistisch klar beschreibbare Phänomene wie Wortstellung, Betonung, Intonation, Interpunktion und Verbmodus – macht Searles Fassung der Sprechakttheorie für die Linguistik interessant. Sprachoberflächenbezogene Phänomene werden durch ihre Rollenzuweisung für den Vollzug von Sprechakten semantisch gedeutet und zugleich durch die Beschreibung von Gebrauchsregeln und den Einbezug von kontextuellen bzw. situationalen Faktoren wie Intentionen und Präferenzen der Beteiligten grundlegend pragmatisch konturiert.1 Für eine pragmatische Semantik mit deutlichen Schnittstellen zur Grammatik ist damit ein theoretisches Fundament gelegt.

      So sind denn auch die frühen linguistischen Reflexe im deutschsprachigen Raum besonders auf Indikatoren der illokutionären Rolle fokussiert, die an bekannte grammatische Kategorien wie etwa die des Satztyps angeschlossen werden können (vgl. etwa Wunderlich 1976). Searles 1976 erstmals vorlegte Klassifikation von Sprechakten (vgl. Searle 1976), die sich ebenfalls mit Satztypen in Verbindung bringen lässt, dürfte das noch weiter vorangetrieben haben (vgl. Gärtner/Steinbach in diesem Band). Hinzu kommen zahlreiche Studien kleinerer und größerer Dimension, die ganz im Stile der Searle’schen Analysen einzelne Sprechakte wie Drohungen oder Bewertungen (vgl. etwa die Beiträge in Weber/Weydt 1976; Sprengel 1977) untersuchen oder auch die in einer Sprache verfügbaren Ausprägungen von Sprechakttypen und ihre sprachlichen Realisierungsformen inventarisieren (vgl. Hindelang 1978; Liedtke 1998). Die 1983 erstmals publizierte, spezifisch germanistisch linguistische Einführung


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