50 Jahre Speech-Acts. Группа авторов
Analysen an objektiver Gesetzmäßigkeit orientieren, während die moderne Sprechakttheorie versucht, die Regeln und Klassifikationen von Sprechhandlungen in einzelnen psychologischen Zuständen wie Präferenzen und Interessen zu begründen. So erweisen sich einige Vorannahmen der modernen Sprechakttheorie als zeitgebundene und mentalitätsgeschichtlich deutbare Prägungen.
Die folgenden beiden Beiträge widmen sich der Frage nach der Integration interaktionslinguistischer Konzepte in die Sprechakttheorie. Frank Liedtke setzt sich in seinem Beitrag „Sprechhandlung und Aushandlung“ mit einem zentralen Kritikpunkt an der Sprechakttheorie auseinander: Der Fokus auf die Intention eines Sprechers/einer Sprecherin blendet den interaktiven Charakter in Kommunikationssituationen ebenso aus wie die Sprecher-Hörer-Beziehung. Er unterbreitet einen Vorschlag dazu, wie eine Analyse erstellt werden kann, die das Ergebnis von Aushandlungen oder Ko-Konstruktionen berücksichtigt, ohne auf Begriffe wie illokutionäre Wirkung und Sprecherabsicht zu verzichten. Zu diesem Zweck wird der Begriff der kollektiven oder Wir-Intention für die Analyse fruchtbar gemacht; ebenso werden systematische Unterscheidungen unter anderem zwischen komplementären und kompetetiven sowie symmetrischen und asymmetrischen Gesprächssituationen vorgestellt.
Leonard Kohl veranschaulicht in seinem Beitrag „Sprechakte in der Interaktion“, wie die Sprechakttheorie (SAT) so modifiziert und durch gesprächsanalytische Konzepte erweitert werden kann, dass sie zur Analyse von verbaler Interaktion eingesetzt werden kann. Dabei soll aber der sprechakttheoretische Fokus auf die in den meisten gesprächsanalytischen Ansätzen abgelehnten Sprecherintentionen möglichst erhalten bleiben. An authentischen WhatsApp-Chatdaten wird dabei unter anderem veranschaulicht, wie illokutionäre Kräfte von den Teilnehmer*innen in der Interaktion gemeinsam konstruiert oder verhandelt werden.
Grundlagentheoretische Detailstudien sind das Thema der beiden folgenden Beiträge. Expressive Sprechakte, mit denen sich Rita Finkbeiner in ihrem Beitrag „Expressive Sprechakte revisited“ auseinandersetzt, stellen eine Herausforderung für ihre Klassifikation und Beschreibung dar, unter anderem deshalb, weil letztlich alle Sprechakte als Ausdruck einer propositionalen Einstellung gelten können. Es geht dann darum, das Spezifische dieser ausgewählten Klasse herauszuarbeiten, wobei für diese Aufgabe unterschiedliche Strategien gewählt werden können. Im Zuge einer kritischen Diskussion werden ältere und rezente Ansätze zu Expressiva behandelt, bevor eine Auseinandersetzung mit der semantisch geprägten Erklärungsstrategie, im Sinne von David Kaplans Begriff eines use-conditional meaning, vorgenommen wird. Aus einer sprechakttheoretischen Sicht wird demgegenüber das Spezifikum von Expressiva in der Ausformung der Einleitungsbedingung des Sprechakts gesehen. Die Voraussetzungen für seinen Vollzug im Sinne spezifischer Angemessenheitsbedingungen werden als Teil dieser konstitutiven Bedingung definiert.
Daniel Gutzmann und Katharina Turgay streben in ihrem Beitrag „Fiktionale Aussagen als Assertionen?“ eine Explikation dessen an, was eine fiktionale Äußerung ist bzw. welche definierenden Eigenschaften sie hat. Die von Searle vorgelegte pretense-Theorie des fiktionalen Diskurses, die davon ausgeht, dass für Assertionen in fiktionalen Kontexten entscheidende konstitutive Regeln außer Kraft gesetzt sind, wird mit dem Argument kritisiert, dass auch auf fiktionale Äußerungen konstitutive Regeln zutreffen. Demgegenüber werden schaffende fiktionale Äußerungen als fiktionale Deklarationen aufgefasst, beschreibende fiktionale Äußerungen als fiktionale Assertionen. Fiktionale Assertionen schaffen keine neuen Sachverhalte, sondern stellen einen Vorschlag von S dar, den jeweils für S und H geltenden Common Ground um diese Assertion zu erweitern. Um den Unterschied zwischen nicht-fiktionalen und fiktionalen Assertionen abzubilden, werden unterschiedliche Common Grounds angenommen, in diesem Fall ein realer und ein fiktionaler Common Ground.
Die beiden folgenden Beiträge fokussieren den sprechakttheoretischen und später von Searle (1983) sogar zum eigenständigen Thema erhobenen Grundbegriff der Intentionalität. Am Beginn des Beitrags von Tilo Weber zu „Intentionalität und Äußerungsbedeutung“ steht die für Searles Sprechakttheorie wie auch für die klassische linguistische Pragmatik insgesamt zentrale These, dass die sprachliche Bedeutung auf den Intentionen der einzelnen Sprecher basiert. Jacques Derrida hat diese These grundlegend in Frage gestellt. Die daraus resultierende Diskussion (Searle-Derrida-Debatte) wird in dem Beitrag genauer beleuchtet. So erfährt man, dass auf beiden Seiten in der Diskussion auf harsche persönliche Angriffe und aggressive Formulierungen nicht verzichtet wurde. Allerdings zeigen sowohl Derridas „Dekonstruktion“ des Intentionalismus als auch Searles konsequente Gegenargumentation Risse und brüchige Stellen. Obwohl man Derrida in einigen Punkten recht geben könne, sollte man Weber zufolge zumindest aus der Hörendenperspektive eine enge Korrelation zwischen Intentionen und Bedeutung annehmen.
Der intentionalistischen Auffassung sprachlicher Äußerungen, die von einer vorgängigen Intention ausgeht, stellt Joschka Briese in seinem Beitrag „Intentionalität ohne Intentionalismus?“ ein alternatives Konzept gegenüber, das diese Vorgängigkeitsannahme vermeidet und grundsätzlich die soziale und zeichenvermittelte Natur einer prozessualen Intentionalität hervorhebt. Die Grundlage des entwickelten Konzepts einer diskursiven Intentionalität bildet einerseits die Theorie der inferenziellen Semantik von R. Brandom, andererseits wird auf die zeichentheoretische Konzeption von T. L. Short rekurriert, um die bei Brandom nicht ausbuchstabierte linguistische Komponente zu ergänzen. Das in diesem Beitrag vorgestellte Modell verbindet beide Ansätze zu einem Gesamtbild der Intentionalität sprachlicher Äußerungsvollzüge in ihrer sozialen und diskursiven Einbettung.
Schnittstellen zur kognitiven Linguistik und zur Grammatikforschung werden in den folgenden drei Beiträgen beleuchtet. Hans-Martin Gärtner und Markus Steinbach greifen in ihrem Beitrag „Zum Verhältnis von Satztyp- und Illokutionstypinventaren“ die spätestens seit Searle (1976) virulente Frage nach dem Verhältnis von Satztypen und Illokutionstypen auf. Anhand neuerer Ansätze aus der kognitiven Linguistik, welche Sprechaktklassifikationen in einer Belief-Desire-Intention-Psychology fundieren, diskutieren sie mögliche Anschlüsse wie auch Diskrepanzen zu typologiebasierten Forschungsergebnissen und erarbeiten einen modifizierten Vorschlag, der sich eng an das Searle’sche Konzept der Aufrichtigkeitsbedingungen anschließt. Wie die Autoren zeigen, ist damit auch der Weg geebnet, um die Diskussion um Satz- und Illokutionstypen an neuere Erkenntnise aus der experimentellen Pragmatik anzubinden.
Andreas Trotzke zeigt in seinem Beitrag „How cool is that! Ein neuer Sprechakt aus Sicht der Grammatik/Pragmatik-Schnittstelle“, dass es eine Subklasse der W-Exklamativa gibt, welche als Affirmationsorientierte Pseudofragen (APQs) bezeichnet werden können. An den Beispielsätzen How cool is that! und der deutschen Entsprechung Wie geil ist das denn!, zeigt er, dass in den beiden Sprachen die APQ-Funktion der Äußerung durch unterschiedliche Indikatoren angezeigt wird: Im Englischen übernimmt dies die interrogative Syntax, im Deutschen sind es die Modalpartikeln. Die APQs zeigen eine gewisse Offenheit für die affirmative Reaktion des Hörers an, welche der übergeordneten Klasse W-Exklamativa abgeht. Aus diesem Grund plädiert Trotzke für eine Unterscheidung in der Sprechaktklasse der EXKLAMATIONEN durch die Merkmale „[+Adressaten-Orientierung]“ und „[-Adressaten-Orientierung]“.
Der Beitrag von Pawel Sickinger über „Sprechakte als prototypisch strukturierte Überkategorien sprachlicher Problemlösungen“ befasst sich mit der Abgrenzungsproblematik von Sprechakten. Fokussiert werden aber nicht primär die Defizite der Sprechakttheorie, sondern Vorschläge zu deren Ergänzung bzw. Rekonzeptualisierung. Sickinger unterbreitet im Wesentlichen zwei Modifizierungsvorschläge im Sinne der angewandten linguistischen Pragmatik: Zunächst argumentiert er dafür, Sprechakte als Prototypenkategorien im Sinne der kognitiven Linguistik zu konzipieren. Darauf aufbauend ist sein zentraler Punkt für die empirische Pragmatikforschung, dass die Beschreibungen von kommunikativen Handlungen auf der Ebene der sogenannten communicative tasks und den entsprechenden solutions ansetzen sollte. Die communicative tasks sind allerdings kein Gegenentwurf zum Sprechaktkonzept, sondern konstituieren Sprechaktkategorien vielmehr ‚von unten‘.
Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von Astrid Tuchen „Too little, too late – Der Sprechakt KONDOLIEREN auf Twitter durch Donald