VARIATIONslinguistik trifft TEXTlinguistik. Группа авторов

VARIATIONslinguistik trifft TEXTlinguistik - Группа авторов


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der Intertextualität abgehandelt (vgl. als Übersicht Adamzik 2016: Kap. 8). Zugleich sind sie ein besonders prägnantes Beispiel für funktionale Variation auf der Textebene. Von solchen Phänomenen ist aber auch in der Variationslinguistik selten die Rede. Überhaupt sind die Beziehungen zwischen den auf dieser Tagung zusammengebrachten Forschungsrichtungen wenig entwickelt. Im vorliegenden Beitrag geht es darum auszuloten, wo Berührungspunkte und Divergenzen liegen. Dabei ist das Ziel keineswegs, Kooperation zu forcieren, darin liegt m. E. kein Wert an sich. Es scheint mir aber geraten, Teildisziplinen näher miteinander bekannt zu machen, die sich allzu oft gegenseitig als fremd bzw. abgelegen empfinden. Zugleich kann der Blick von einer anderen Warte auch zur Selbstreflexion beitragen, denn sowohl Variationslinguistik (oder Varietätenlinguistik?) als auch Textlinguistik treten selbst in sehr verschiedenen Spielarten auf.

      2 Variations- und Textlinguistik vs. Systemlinguistik?

      Auf den ersten Blick könnte man meinen, Variations- und Textlinguistik seien sozusagen natürliche Verbündete, die sich gleichermaßen die Untersuchung des Sprachgebrauchs zum Ziel setzen und sich damit gegen die sog. Systemlinguistik wenden; beide finden sich dieser auch regelmäßig entgegengestellt. Schon in den 1960er Jahren erschien die Textlinguistik allerdings den einen als Weiterentwicklung des Strukturalismus, den anderen dagegen als Gegenbewegung dazu (vgl. Adamzik 2016: 7). Und auch heute noch sind die Vorstellungen darüber, was aus der Sicht einer ‚Sprachwirklichkeitslinguistik‘ (vgl. Löffler 2016: 79) die Systemlinguistik eigentlich ausmacht, ziemlich vielfältig:

      Eine erste besteht darin, dass die Systemlinguistik sich überhaupt nicht mit tatsächlichen Äußerungen, der Saussure‘schen Parole, beschäftige, sondern nur mit Regeln für den Gebrauch sprachlicher Einheiten. Bei gewissen Publikationen drängt sich dieser Eindruck auch tatsächlich auf. Allerdings ist so etwas natürlich grundsätzlich nur möglich, wenn wir es mit bereits beschriebenen Sprachen zu tun haben, der Forscher sich mit dem entsprechenden Datenmaterial begnügt und/oder sich selbst als kompetenten Sprecher betrachtet. Ansonsten kommt man um das ‚sprachliche Rohmaterial‘ natürlich nicht herum:

      „[…] die aktuelle Ebene der Äußerung, des Diskurses/Texts, auf der die sinnlich wahrnehmbaren sprachlichen Materialien erscheinen, [ist] natürlich notwendig Ausgangspunkt für alle sprachwissenschaftlichen Fragen nach den sprachlichen Techniken von Einzelsprachen oder auch Dialekten, den Diskurstraditionen und der Sprechtätigkeit“ (Oesterreicher 2010: 29; Hervorhebungen im Orig.).

      Zugleich wendet sich Oesterreicher aber sehr vehement gegen die „radikalen Korpuslinguisten und datenverliebten Variationslinguisten“, die „einem gravierenden wissenschaftstheoretischen Missverständnis“ (ebd.: 37) aufsäßen, wenn sie meinen, mit dem bloßen empirischen Material hätten sie schon irgendwelche linguistischen Fakten vor sich. Mit einem Motto unterstreicht Oesterreicher dieses ‚systemlinguistische‘ Credo, dass nämlich Einzeläußerungen nicht als solche interessieren, sondern nur als Grundlage für die Rekonstruktion sprachlicher Techniken: De singularibus non est scientia.

      Im geraden Gegensatz zu dieser Auffassung, nach der Abstraktionen über Einzelfällen notwendige Aufgabe sprachwissenschaftlicher Forschung sind, steht die Annahme, dass nur das jeweils Realisierte in seiner Materialität wirklich sei, das Sprachsystem also einer Schimäre gleichkomme.1 Recht prominent ist eine solche Auffassung derzeit in diversen Ansätzen einer breit gefassten Textlinguistik, die neuen Formen der Multimedialität (oder Multimodalität) besonderes Interesse entgegenbringen und dabei die Bedeutung von Sprachlichem stark herabstufen oder gar die ,Existenz‘ abstrakter sprachlicher Einheiten bestreiten, die sich analytisch von ihrer Materialität trennen lassen:

      „Sprache ist […] auf konkrete Realisierungsformen angewiesen […]: Sprachliche Kommunikation existiert nur in mündlicher oder schriftlicher Form, als Vokalisierung oder Visualisierung. Sprache muss materialisiert sein, um als Medium fungieren zu können.“ (Hagemann 2013: 41; vgl. dazu Adamzik 2016: 67 und insgesamt ebd.: Kap. 2.5.1.–2.5.3. und 4.4.1.).

      Einer anderen Stoßrichtung entspricht das Argument, die Systemlinguistik beschränke sich auf Innersprachliches und lasse insbesondere die kommunikative Funktionalität von Äußerungen außer Betracht. Diese eng mit der sog. pragmatischen Wende verbundene Auffassung ist in textlinguistischen Ansätzen sehr verbreitet, da man sich hier (besonders im deutschsprachigen Raum) speziell an die Sprechakttheorie anlehnt (vgl. Adamzik 2016: Kap. 5.3. und 365ff.). Daraus ergibt sich eine Fragestellung, die selbst vor allem an Regeln und stark konventionalisiertem Sprachgebrauch interessiert ist. Es geht wesentlich um die Klassifikation von Textsorten als ‚konventionell geltenden Mustern für komplexe sprachliche Handlungen‘ (vgl. Brinker u. a. 2014: 139; zuerst Brinker 1985: 124), und zwar meist auf der Grundlage von Searles Sprechakttypologie. Textsorten ließen sich „als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben“ (ebd.). Wenn man sich darauf konzentriert, geläufige Muster zu beschreiben, blendet man aber die Variation gerade aus:

      „Die Texte und Gespräche, die aufgrund signifikanter Ähnlichkeiten als zusammengehörend wahrgenommen werden, zeichnen sich auf pragmatischer Ebene durch konsistente Routinen [!] der Aufgabenbewältigung in bestimmten Lebenssituationen aus, also durch die prototypische Abfolge von Sprachhandlungen (z. B. beim Wetterbericht darstellende Sprachhandlungen über Ist-Zustand und Prognose). Ausdrucksseitig sind diese Routinen durch wiederkehrende Muster auf der Sprachoberfläche und ihre moderate [!] Variation gekennzeichnet.“ (Felder 2016: 34)

      Man darf sich fragen, welchen Stellenwert diese Behauptung von der moderaten Variation von Texten hat. Soll damit unterstellt werden, dass dies für Textsorten schlechthin gilt? Dafür spricht, dass neben Fahrplanauskunft und Strafzettel u. a. auch die Vernehmung von Zeugen vor Gericht und Fachaufsätze als Beispiele angeführt werden. Es gehört allerdings schon zum Alltagswissen, dass die Bewältigung dieser doch recht ungleichen Aufgaben unterschiedlich anspruchsvoll ist und dementsprechend die Variationsbreite – oder anders herum gesehen: der Standardisierungsgrad – ganz verschieden ausfallen.

      Selbst für Wetterberichte bedarf es keiner groß angelegten empirischen Untersuchung, um Folgendes feststellen zu können: Wetterberichte sind Serientexte, die von bestimmten Institutionen periodisch produziert werden. Ihre Gestalt hängt zunächst wesentlich davon ab, welche medialen Ressourcen zur Verfügung stehen, ob sie nämlich in Zeitungen, im Radio, Fernsehen oder im Rahmen von Internetauftritten erscheinen. Auch bei gleichen Ressourcen konkurrieren jedoch verschiedene Anbieter miteinander und versuchen, eine Rezipientenbindung herzustellen. Deswegen ist ihnen daran gelegen, sich (nicht nur beim Wetterbericht, aber z. B. auch durch dessen Gestaltung und Platzierung) jeweils ein eigenes, wiedererkennbares Gesicht zu geben. Es gilt daher nur für die Wetterberichte eines Anbieters, dass sie lediglich moderate Variation aufweisen – eventuell sogar mit Subtypen, z. B. je nach der Person, die den Wetterbericht präsentiert. Außerdem weisen sie diese relative Stabilität auch nur über eine bestimmte Zeit hin auf; für Medientexte ist es charakteristisch, dass gewisse Neuerungen abrupt erfolgen, man nämlich in mehr oder weniger großen Abständen das ganze ‚Design‘ umstellt.

      Verbindet man die textlinguistische mit einer variationslinguistischen Fragestellung, so ist anstelle des Musterhaften gerade relevant, worin sich die Wetterbericht-Schemata verschiedener Anbieter und/oder eines Anbieters zu verschiedenen Zeiten unterscheiden und welche Funktionen den Varianten zugeschrieben werden können. Eine besteht gerade in der ‚Individualisierung‘ von Mustern; die periodische Neugestaltung soll u. a. das Bemühen um Modernität signalisieren. Beide Funktionen sind im Set der sprechakttheoretischen ‚Grundfunktionen‘ nicht vorgesehen und lassen sich am besten der Bühler‘schen Ausdrucks-/Symptomfunktion zuordnen, die ja grundsätzlich für gezielte Variantenwahl eine große Rolle spielt. Für Strafzettel kommt eine solche Zusatzfunktion natürlich nicht in Frage. Sie werden zwar auch periodisch modernisiert, es existieren hier aber (innerhalb eines Hoheitsgebiets) keine Varianten, die verschiedene Institutionen als miteinander konkurrierende Produzenten anbieten.

      Auch in anderer Hinsicht bleiben viele Textlinguisten Denkweisen verpflichtet, die sich


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