Das Erzählwerk Cécile Wajsbrots. Herbert Huesmann

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pensée.“13 Loïc zeigt Verständnis dafür, dass er – nach zweifachem Rücktritt von den gemeinsamen Reiseplänen – in den Augen Agathes seine Vertrauenswürdigkeit verloren hat. Gleichzeitig bekundet er Agathe seine Liebe und beteuert, immer ehrlich gewesen zu sein und unter seinen Lebensbedingungen genauso wie Agathe zu leiden.14 Warum Agathe Saint-Thomas eine so große, ihm unangemessen erscheinende Bedeutung beimesse, könne er nicht nachvollziehen. – Agathe widerspricht keineswegs der Aussage Loïcs, die Wahrheit bzgl. seiner ehelichen Beziehungen nie verborgen zu haben, vielmehr gesteht sie sich selbst ein: „[…] c’était elle qui changeait, qui était infidèle à quelque chose […]“.15 Zugleich betont sie jedoch: „Le fond du problème, ce n’est ni Saint-Thomas ni toi ou moi – elle n’arrivait pas à dire notre amour comme lui, naturellement, simplement – c’est Lucie.“16 Loïc ist für sie mal ein „[…] héros tragique victime de circonstances contre lesquelles il ne pouvait rien, enfermé dans une vie avec Lucie et sa mystérieuse maladie […]“, mal ist er „[…] enfermé en lui-même, barricadé dans une vie qui, finalement, lui convenait comme elle était, avec d’un côté une part de stabilité peut-être un peu trop stable et de l’autre, une aventure aux risques limités […]“17.

      Agathe gelangt daher zu der Schlussfolgerung, dass „die Geschichte von Saint-Thomas“ für sie und Loïc zunächst einen weiten, sich von der Gegenwart abhebenden Zukunftshorizont erschlossen habe. Die Vorstellung, dass er selbst sich für etwas öffnen könne, habe Loïc sodann jedoch veranlasst, sich dem Neuen endgültig zu verschließen, was schwer zu ertragen sei.18 Hatte Agathe Saint-Thomas bislang mit Loïc identifiziert, insofern sie hoffte, dort zumindest für kurze Zeit die in Paris trennend zwischen ihnen stehende „Mauer“19 überwinden und das Leben uneingeschränkt und „exklusiv“ mit ihm teilen zu können, wendet sie sich nun mit dem Eingeständnis: „Je ne peux plus, Loïc, je ne peux plus continuer“20 grußlos und ohne zurückzuschauen von ihm ab. Die Erzählung lässt allerdings in der Schwebe, ob Agathes Erklärung nur für den Augenblick oder für immer gilt. Verstärkt wird diese Unsicherheit durch den Hinweis darauf, dass Agathe Loïc in jenem Café verlassen habe, in dem Jeanne und Eric wieder zueinander gefunden haben. Somit werden die Lesererwartungen implizit einerseits bereits auf das Ende der Romanhandlung gelenkt. Andererseits jedoch wird das Leserinteresse auf die unmittelbare Gegenwart fokussiert und damit auf die nun anstehende, in ihrer Bedeutung noch unbestimmte Reise Agathes und Marcs nach Saint-Thomas. Dass in der Vorstellung Agathes beim Verlassen des Cafés „[l’image] d’exilés silencieux chassés de quelque part et se dirigeant vers nulle part […]“21 auftaucht, unterstreicht, dass Saint-Thomas für sie weiterhin das Ziel einer immer schon als Flucht aus Paris verstandenen Reise ist.22 Diese hat jedoch nicht mehr jenen besonderen Reiz und die klare Funktion, die sie ursprünglich für Agathe besaß.

      Agathe und Marc auf dem Weg nach bzw. in Saint-Thomas

      Der Wandel in den Erwartungen, die Agathe mit der Reise verbindet, wird bereits im ersten Absatz des in der Mitte des Romans platzierten 7. Kapitels deutlich, in dem die Fahrt nach Saint Thomas und der Beginn des Aufenthalts ebendort erzählt werden. In einer Mischung aus auktorialem Erzählstil und erlebter Rede vermittelt der Text einen Einblick in die Gedanken und Gefühle, von denen Agathe im Moment der Abreise nach Saint Thomas beherrscht wird. Als sie vor ihrer Haustür auf Marc wartet, freut sie sich keineswegs auf die nun beginnende Reise mit ihm, sondern stellt sich vor, wie kostbar ein gemeinsamer Aufbruch mit Loïc gewesen wäre:

      Qu’aurait été cette journée, cette matinée, ce réveil, si au lieu de partir avec Marc, elle était partie avec Loïc, se demandait Agathe, quelle excitation aurait-elle éprouvée au lieu de ce calme en l’attendant sur le trottoir, devant chez elle sous un ciel mitigé qui annonçait la pluie, une pluie prévue pour les jours à venir […]1

      Die gezielte Zuspitzung auf „ce réveil“ in der als Trikolon formulierten Aufzählung des ersten Satzes, der Agathes Resignation und Enttäuschung ausdrückt, erinnert an ihre Hoffnung auf den Anfang eines gänzlich neuen Lebensabschnitts und einer anderen Lebensweise. In der Begleitung Marcs jedoch verkümmert das Projekt zu einer von Leere gekennzeichneten „Ersatzreise“, die obendrein durch Regen beeinträchtigt zu werden droht.2 Mit und für Loïc hätte dies kein Problem bedeutet, da er, ähnlich wie „das fremde Kind“ in E.T.A.Hoffmanns gleichnamigem Märchen, dem Regen etwas Magisches abzugewinnen vermag.3

      Mit der Präsenz Loïcs in den Gedanken und Gefühlen Agathes und dem äußerlich atmosphärischen Element des Regens sind leitmovische Elemente genannt, die in allen Abschnitten der Reise – von der Hinfahrt bis zum Abschied von Saint-Thomas – integraler Bestandteil der Darstellung sind.

      Die Situation Agathes und Marcs bei der Abfahrt nach Saint-Thomas ist insofern vergleichbar, als sie Loïc bzw. Véronique jeweils nicht darüber informiert haben, wohin und mit welcher Begleitung sie zu reisen gedenken. Während Marc darin kein Problem sieht, ist Agathe irritiert: „[…] la superposition de la présence de Marc et l’absence de Loïc, donnait un caractère étrange à ce départ.“4 Als belastend empfindet sie auch, dass sie das von ihr für Loïc und sich selbst vorbestellte Zimmer – […] cette chambre vers laquelle ses désirs convergeaient […] qui devait être le prélude à d’autres chemins ensemble […] – nun mit Marc wird teilen müssen, dessen Wohlbefinden jedoch, wie er zweimal betont, durch diese Erwartung mitnichten beeinträchtigt wird.5

      Im Hinblick auf die konkrete Situation des Aufbruchs skizziert die Erzählinstanz den Vorzug der Distanzierung von Gewohntem und der Öffnung für neue Lebensweisen, um sogleich die von den „Loïcs, Lucies und Vätern von Lucie“ bevorzugte Alternative eines „einzigen“, immer in denselben Bahnen verlaufenden, Sicherheit garantierenden Lebens vorzustellen. Führt schon die unbedeutendste Reise zu einem möglicherweise irritierenden Vergleich zwischen dem „ici“ und „là-bas“, also den Vorzügen und Nachteilen des Herkunfts- und Zielorts, so bleibt den Nichtreisenden jegliche aus einer solchen Gegenüberstellung resultierende Irritation erspart.6

      Diese in die Darstellung des Handlungsablaufs eingefügte auktoriale Reflexion spiegelt die von Agathe bereits durchlebten und sie auch weiterhin quälenden Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Reise nach Saint Thomas wider. Gleichwohl entfernen sich Agathe und Marc mit zunehmendem Abstand von Paris auch von ihrem dort geführten Leben. Mit der Nähe zu Saint-Thomas erreichen sie einen Punkt, an dem „[…] l’espace et le temps se confondent pour former une sorte de pont suspendu entre un aller et un retour, entre deux rives d’une même vie […]“.7 Mit der Brücken- und Ufermetapher gelangt sowohl das Vorübergehende als auch das qualitativ Besondere dieses Augenblicks zum Ausdruck. Die Wirklichkeit wird zwar keineswegs ausgeblendet, aber von beiden Figuren anders wahrgenommen. Loïc und Véronique scheinen entrückt „[…] comme les silhouettes d’une ville lointaine, les habitants d’une contrée délaissée […] les personnages d’un roman qu’on aurait commencé de lire mais qu’on reposerait quelque temps pour en entreprendre un autre, plus facile d’accès“.8 Wird somit die von Agathe und Marc real erlebte Vergangenheit als romanhaft bezeichnet, da sie von beiden in der Rückschau des von der Nähe zu Saint-Thomas beherrschten Augenblicks als unwirklich empfunden wird, so präsentiert sich auch die unmittelbare Zukunft in all ihrer vagen Unbestimmtheit als romanhaft und unwirklich. Mit welcher Entschiedenheit Agathe und Marc sich von Vergangenem zu lösen versuchen, unterstreicht in diesem aus ihrer gemeinsamen Perspektive erzählten Abschnitt der Übergang von der dritten zur ersten Person Plural des Personalpronomens (Ils > nous) bzw. zum indefiniten Pronomen „on“, ein Vorgang, der die interne Fokalisierung zusätzlich steigert und damit die innere Befindlichkeit Agathes und Marcs im Moment der Ankunft in Saint-Thomas unmittelbar zum Ausdruck bringt.9

      Aufenthalt in Saint-Thomas

      Vor diesem Hintergrund wirkt die – aus dem Blickwinkel Agathes erfolgende – Beschreibung der Ankunft in Saint-Thomas wie ein inhaltlicher Kontrapunkt. Wohl unter dem Eindruck einer heranbrandenden Welle wird das Meer mit einer aufbrausenden Musik verglichen. Sodann weckt das Meer, darin vergleichbar mit Eisbergen, die aus dem Nichts auftauchen und an denen Segelschiffe vorbeigleiten, „[…] la sensation contradictoire d’une exaltation et d’un apaisement, d’être


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