Nachtdenken. Martina Bengert

Nachtdenken - Martina Bengert


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ce regard vide, exigeant, qui réclamait on ne savait quoi et qui errait sans contrôle […].3

      Das Bedrohliche dieses Blickes scheint seine unerklärbare Absicht zu sein, die im unkontrollierten Suchen nach einem Objekt das Subjekt als Ursprung des Blickes verschwinden lässt, sodass der Blick als die reine Aufforderung des Kontaktes im Raum ist. Beantwortet wird diese Aufforderung mit einem weiteren Rückzug der anderen Gäste, was synekdochisch an Anne gezeigt wird. Ihr Verhältnis zu Thomas ist über die Lichtkonstellation dargestellt: So bildet sie für Thomas einen Lichtblick im Sinne der Hoffnung auf Nähe sowie einen Blick, der durch ihr Licht eine gewisse Sichtbarkeit in Form von Fühlbarkeit bekommt. Thomas scheint aus der Unsichtbarkeit heraus zu agieren und Anne in seinem Blick als Wahrnehmung (und nicht als Realität) erscheinen zu lassen. Wie die Wahrnehmungen in seinem Blick erscheinen, werden sie auch wieder ausgelöscht und in Unsichtbares verwandelt. Es ist daher davon auszugehen, dass es einen Nexus zwischen Thomas’ Blick und den äußerlichen Lichtverhältnissen gibt, denn simultan zu seinem Blicken beginnt alles dämmrig zu werden, sodass ebenfalls Annes faszinierender Glanz verschwindet. Was bleibt, ist die Faszination, welche Thomas’ Blick umso mehr erfasst, als er in Annes inneres Knochenphosphoreszieren eindringt. „En s’acharnant avec indécence dans sa contemplation, l’on ne pouvait que s’enfoncer dans un sentiment de solitude où, si loin qu’on voulût aller, l’on se perdrait et continuerait à se perdre.“4

      Die Vertiefung bewirkt keine irgendwie geartete Form der inneren Versenkung, sondern ein der Einsamkeit unaufhörliches Ausgesetztsein. Sowohl der auffällige Wechsel von der Beschreibung Thomas’ in die neutrale Person des „on“ in diesem Abschnitt, als auch die versenkende Betrachtung, wie der Weg in die unendliche Einsamkeit, findet sich in Blanchots Essay „La solitude essentielle“ als Beschreibung der Faszination. Dort heißt es:

      Le regard est entraîné, absorbé dans un mouvement immobile et un fond sans profondeur. […] La fascination est le regard de la solitude. […] Ce milieu de la fascination, où ce que l’on voit saisit la vue et la rend interminable, où le regard se fige en lumière, où la lumière est le luisant absolue de l’œil qu’on ne voit pas, qu’on ne cesse pourtant de voir […] lumière où l’on s’abîme, effrayante et attrayante.5

      Der faszinierte Blick wird von seinem Spiegelblick in die grundlose Tiefe der Einsamkeit gezogen, welche der Ursprung des Lichts wie des Begreifens ist, und erfährt dadurch sein eigenes nichtendes Moment, sofern er sich auf diese Weise als Urheber und Resultat des Lichts erfährt. Für das Subjekt hat dies eine Auflösung seiner Machtbefugnisse zur Konsequenz, die erkenntnistheoretisch darauf hinauslaufen, dass es nicht mehr als Instanz eines Ichs aufzutreten vermag, sondern sich auf ein unpersönliches „on“ zurückzieht, welches, nebenbei bemerkt, den Anderen in der Alternative des „on“ zum „nous“ als konstitutiven Bestandteil des Eigenen in sich beherbergt, ohne dabei zum Plural der 1. Person werden zu können.

      Thomas trägt, wie bereits festgestellt, die Spuren der verstörenden Tiefenerfahrung der ‚autrenuit in sich. Diese Dunkelheit, deren Aspekte sich im Laufe des Textes stetig weiter entfalten, offenbart sich auch in seinem Beinamen: ‚l’Obscur‘. Vieles an und in ihm ist und bleibt dunkel bis unsichtbar. Jedes Licht, das ihm entspringt oder von ihm wahrgenommen wird, fußt auf dem verborgenen dunklen Aspekt seiner Person. Im 3. Kapitel wird der Versuch einer Rückkehr in die Menschenwelt unternommen, der jedoch deutlich macht, wie groß die Entfernung zwischen ihm und dem Rest der Welt ist. Doch gerade diese Entfernung aufgrund der Erfahrung der Einsamkeit ist es, die den Blick und mit ihm eine andere Form des Weltzugangs erst möglich macht. Sein alles durchdringender Blick erweist sich als nichtend, da er nicht nur Blick, sondern selbst eine Art Licht zu sein scheint, das der Dunkelheit jenseits der Subjektivität entspringt. Thomas der Dunkle ist der, der die Dinge durch seinen Blick auftauchen lässt. Da Thomas jedoch kein Subjekt ist, sondern ein literarischer Gegenentwurf zum Subjektdenken, verliert sich die Spur der Rückführung des Blickes auf einen Ursprung in der Dunkelheit. Thomas gibt einerseits als der Dunkle Dinge oder Personen zu erkennen, verwandelt sie jedoch andererseits auch wieder in Unsichtbares, indem der Blick schwenkt und keine Erinnerung an gerade Beleuchtetes erzählt wird. Das Gesehene wird dadurch ausgelöscht. Von ihm erfasst zu werden bedeutet Auflösung durch den Übergang in ein Gesehen-Werden, das im Falle der Faszination wieder auf den Blickenden zurückfällt.

      Im Zustand der Faszination verbinden sich Sehen und Berühren, d.h. der Sehende wird durch das Angesehene, das er mit seinem Blick berührt, selbst berührt und begriffen. Das neutre, welches sich in der Faszination zeigt, kann Umkehrungen der Blickrichtung bewirken oder auch eine Unentscheidbarkeit darüber provozieren, wer wen anblickt oder ob überhaupt noch gesagt werden kann, dass jemand und nicht etwas blickt. In der Faszination befinden sich Subjekt und Objekt in einem beziehungsverschiebenden Zwischenraum, dessen Parallelen zu Maurice Merleau-Pontys Begriff der Zwischenleiblichkeit im nächsten Punkt aufgezeigt werden soll.

      3.3 Zwischenleiblichkeit: Blicken und Berühren (Merleau-Ponty)

      Eine der Grundannahmen der Phänomenologie ist, dass der Mensch stets in irgendeiner Form eine Verbindung oder Kontakt mit der ihn umgebenden Welt hat. Martin Heidegger verwendet dafür den Begriff „In-der-Welt-sein“1, Maurice Merleau-Ponty spricht in Anlehnung an Heidegger von einem „être-au-monde“, welches als „Zur-Welt-sein“ übersetzt werden kann und demnach über die Gerichtetheit des Seins und die damit verbundene Intentionalität einen feinen Unterschied zu Heideggers Weltbezug aufweist.2 Der Mensch ist in beiden Fällen weder isoliert von der Welt, noch von seiner Umgebung zu betrachten, denn als Gemisch aus Eigenem und Fremden steht seine körperliche wie geistige Geschlossenheit spätestens seit Edmund Husserl in Frage. Daraus folgt für Merleau-Ponty, dass die phänomenologische Reduktion als Weg zu einem sauberen und vorurteilsfreien Beginn der Reflexion niemals gänzlich gelingen kann, sofern eben das Eigene immer schon mit dem Fremden beweglich verbunden ist, was unsichtbare Kräfte impliziert, die das erkennende Subjekt nicht steuern kann. Merleau-Ponty betont in der Weiterführung von Husserls Denken, dass es neben dem Sichtbaren auch noch Unsichtbares gebe, das unsere Wahrnehmung und infolgedessen unsere Vernunft beeinflusse. Dieses Unsichtbare oder „Unreflektierte“ ist das, was eigentlich das Sehen bedingt oder sogar steuert. Letzteres entspringt dem Leib als eine von vielen Formen der Wahrnehmung. So schreibt er in seinem, aufgrund des plötzlichen Todes Fragment gebliebenen, Hauptwerk Le visible et l’invisible, dass „la perception ne naît pas n’importe où, qu’elle émerge dans le recès d’un corps […].“3 Die Beziehung des Menschen zur Welt umfasst weit mehr, als es das Denken im Verhältnis zu seinem Gegenstand auszudrücken fähig wäre. Sie ist durch konkrete Erfahrungen geprägt, die sich nach Merleau-Ponty noch vor der Arbeit des Verstandes in den Leib einschreiben.

      Der Leib

      Merleau-Pontys Phänomenologie verknüpft im Ausgang vom Leib1 (im Französischen corps propre = Eigen-Körper oder eigener Körper) die von der Subjektivität ausgehende Bewusstseinsphilosophie mit der Objektivität anstrebenden Naturwissenschaft, denn der Leib ist für ihn sowohl höchstsubjektive Innerlichkeit (phänomenaler Leib) als auch eine von außen wahrnehmbare Materialität (objektiver Leib). „Der Leib hat damit einen Doppelcharakter und eine Zwischenstellung, die gleichermaßen eine Beziehung zur Welt als auch ein eigenes Erleben gewährleistet.“2 Auf diese Weise ist der Leib als Medium und Ausgangspunkt Merleau-Pontys Versuch, den Subjekt-Objekt-Dualismus mit all seinen Semantisierungen zu unterlaufen.

      Chiasmus und Zwischenleiblichkeit

      In seinem Spätwerk findet Merleau-Ponty für diesen Zwischencharakter des Leibes den Begriff des Chiasmus, der die Reziprozität von Subjekt und Umwelt berücksichtigend dem Vorwurf einer ontologischen Hierarchisierung von Leib und Subjekt zu Gunsten des Ersteren entgegenzuwirken intendiert.1 Auch bewirkt die Beschreibung der Relation von Subjekt und Umwelt als Chiasmus, dass dieses Verhältnis nicht statisch oder dualistisch zu sehen ist, sondern in stetiger Bewegtheit durch wechselseitige Überkreuzungen und Überlagerungen: „Der Leib wird zu einem Ort der Überkreuzung von Beobachter und Beobachtetem.“2 Merleau-Ponty formuliert diese Besonderheit des Leibes als „intercorporéité“


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